»Nichts entschieden, bis alles entschieden ist«
Ein kleiner Schritt und dicke rote Linien: SYRIZA-Regierung sieht in Eröffnung der Debatte über Schuldenerleichterungen wichtigen Schritt / Grünen-Politiker Schick: Schäuble kommt mit seiner Linie nicht mehr durch
Auf eine Einigung zur Auszahlung der vereinbarten Kredittranche hatte vor dem Treffen der Euro-Finanzminister am Montag schon niemand mehr wirklich gehofft. Zu deutlich waren im Vorfeld die Signale dafür ausgefallen, dass das politische Tauziehen an mehrere Stricken noch weitergehen wird. Zwar solle die Frage der Auszahlung »in den kommenden Tagen« beantwortet werden. Eine wirksame Entscheidung wird es aber nicht vor dem nächsten Treffen der Euro-Finanzminister am 24. Mai geben. Das bedeutet auch: Der Druck steigt weiter, denn die SYRIZA-geführte Regierung muss bereits Anfang Juni knapp 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds zurückzahlen, im Juli werden insgesamt 3,666 Milliarden Euro an den IWF, an die Europäische Zentralbank und andere Gläubiger fällig. Zudem muss Athen bis zum Jahresende jeden Monat Staatsanleihen neu finanzieren.
Bis zum nächsten Treffen der Finanzminister muss die griechische Regierung nun noch weitere Maßnahmen umsetzen – darunter eine Art Vorratsgesetz, mit dem automatisch neue Auflagen in Kraft treten würden, sollte Griechenland die von den Gläubigern aufgestellten Haushaltsziele 2018 verfehlen. Der Chef der Eurogruppe, der niederländische Finanzminister Jereon Dijsselbloem, sagte, diese »Notfall«-Maßnahmen müssten vorab gesetzlich beschlossen werden. Sein griechischer Kollege Efklidis Tsakalotos begrüßte, dass die Eurogruppe bei den Notfall-Maßnahmen grundsätzlich den griechischen Vorschlag als Diskussionsgrundlage akzeptiert habe. Er sprach sogar von einer »sehr guten Eurogruppe« für sein Land und für Europa – und zeigte sich optimistisch, dass eine Einigung bis zum 24. Mai stehen könnte – wobei Tsakaltoso vor allem die Frage der Schuldenerleichterungen im Blick hat, die »Teil des Gesamtbildes« seien müssen.
Hierin sieht auch der Regierungschef und SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras einen Pluspunkt für die griechische Seite. Die Gläubiger hätten »zum ersten Mal die notwendigen Etappen für eine Schuldenerleichterungen« festgelegt. Das ist richtig, doch dieser Fahrplan sieht Beschlüsse über mögliche Schuldenerleichterungen im Grunde erst ab 2018 vor. Ein Vorschlag, der in der Eurogruppe auf dem Tisch lag: Bis zum Ende des derzeit laufenden Kreditprogramms im Jahr 2018 werden der griechischen Regierung nur kleinere Anpassungen »zur Optimierung des Schuldenmanagements« in Aussicht gestellt, so formulierte es Dijsselbloem nach dem Treffen am Montagabend. Dazu könnten »spezifische Maßnahmen« wie ein späterer Tilgungsbeginn und längere Rückzahlungsfristen für die griechischen Kredite geprüft werden. Erst ab 2018 will Dijsselbloem dann auch über die langfristige Tragfähigkeit der griechischen Schulden sprechen - falls dies nötig sei. Dabei gebe es zudem »zwei rote Linien«, die nicht überschritten werden dürften: Ein nomineller Schuldenschnitt wird weiter ausgeschlossen, zudem pocht die Eurogruppe auf eine Umsetzung der umstrittenen Auflagen.
Die Frage der Schuldenerleichterungen spaltet die Gläubiger. Die Bundesregierung hält gar nichts davon - Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble reiste kommentarlos von dem Treffen der Eurogruppe ab, er hatte sich stets gegen Schuldenerleichterungen ausgesprochen. Der Internationale Währungsfonds hatte zuletzt aber ultimativ auf Schuldenerleichterungen gedrängt und diese schon früher zur Voraussetzung erklärt, um an dem laufenden Kreditprogramm überhaupt teilzunehmen – was die Bundesregierung und Schäuble unbedingt anstreben, da sie erst mit diesem Versprechen die Zustimmung der Unionsfraktion zum Deal von Brüssel im vergangenen Sommer erreichten. Inzwischen hat auch SPD-Chef Sigmar Gabriel die Forderung nach einer Verringerung der griechischen Schuldenlast erhoben.
Wie vertrackt die Lage ist, zeigt eine Äußerung Dijsselbloems – der auf die Frage, ob die Schuldenerleichterungen nun auf jeden Fall kämen, antwortete: Nichts sei entschieden, bis alles entschieden sei.
Um was es bei möglichen Schuldenerleichterungen gehen könnte, ist im Grunde kein Geheimnis – aber es gibt wesentliche Unterschiede zwischen verschiedenen Modellen. Am Montag wurde unter anderem über einen Vorschlag des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM gesprochen, in dem die langfristige Schuldentragfähigkeit Athens mit »ernster Sorge« betrachtet werde, wie das »Handelsblatt« berichtet. Auch darin geht es um längere Kreditlaufzeiten, eine Deckelung der Tilgung und niedrigere Zinsen.
Die durchschnittliche Laufzeit für die Kredite aus dem Rettungsprogramm II wird um fünf Jahre verlängert; die Tilgung dieser Kredite wird bis 2050 auf maximal ein Prozent vom griechischen Bruttoinlandsprodukt begrenzt; die Euro-Zone sichert Griechenland zu, für diese Darlehen bis 2050 nicht mehr als zwei Prozent Zinsen zu verlangen. Die drei Maßnahmen würden auf Kredite in Höhe von 130,9 Milliarden Euro angewandt. In dem ESM-Vorschlag werde überdies angeregt, Griechenland weiterhin die Zinsgewinne zu überweisen, die die Notenbanken mit griechischen Staatsanleihen erzielen, so das »Handelsblatt«. Außerdem werde darüber nachgedacht, dass der ESM die vergleichsweise hoch verzinslichen IWF-Kredite an Griechenland übernehme, und dem Land dafür dann niedrigere Zinsen berechne.
Damit steht auch der ESM auf der Schuldenposition des IWF: Ohne Erleichterungen geht es nicht. Das erhöht den Druck auf die Bundesregierung – und die äußerte sich umgehend. »Die hohe Schuldenlast ist gegenwärtig nicht Griechenlands Problem«, behauptete Unionsfraktionsvize Ralph Brinkhaus in der »Rheinischen Post«. Griechenland gehe »jetzt nicht pleite, nur weil es ab 2020 mit der Rückzahlung von Schulden an die Europäer beginnen soll«. Brinkhaus pochte zudem darauf, dass vor einer Debatte um Schuldenerleichterungen noch weitere Auflagen durch die SYRIZA-geführte Regierung umgesetzt werden müssten – Brinkhaus nannte unter anderem Privatisierungen und Schritte zur Verwaltungsmodernisierung.
Der finanzpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Gerhard Schick, begrüßte mögliche Schuldenerleichterungen für Griechenland. Dem Sender RBB sagte er, »bisher hat sich die Bundesregierung genau dieser Verhandlungslinie, dass man wirklich über Schuldenerleichterungen spricht, massiv entgegenstellt. Und jetzt scheint es das erste Mal so zu sein, dass der Bundesfinanzminister merkt, dass er mit dieser Linie nicht mehr durchkommt«.
Der Linkenpolitiker Alexander Ulrich hatte vor dem Treffen der Finanzminister allerdings einen sofortigen Schuldenerlass verlangt. »Das geplante Vorratspaket mit weiteren Kürzungsvorschriften würde Rezession und Verarmung in Griechenland über 2018 als Normalmodus festschreiben«, kritisierte der Bundestagsabgeordnete. Statt weiterer konjunkturabwürgender Kürzungsprogramme sei nun ein deutlicher Schuldenerlass nötig.
In einem Offenen Brief hatten sich zudem zahlreiche Intellektuelle und linke Politiker dafür ausgesprochen, »dass noch in diesem Jahr eine Umstrukturierung der griechischen Schulden in eine für das Land erträgliche Form (langfristige Schuldpapiere mit niedriger Verzinsung) eingeleitet wird«. Es gehe »darum, das Ersticken Griechenlands und seiner demokratisch gewählten Regierung unter dem Druck ständiger Schuldendienstnachforderungen der Verhandlungspartner zu verhindern«, so der Appell. mit Agenturen
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