Nicht nur Parolen herausbrüllen

Zur Forderung eines Aktionsplanes, zur »Revolution der Gerechtigkeit« und zu den Mühen der Ebenen, in denen die Linkspartei sich bewegt. Ein Debattenbeitrag von Antje Feiks

  • Antje Feiks
  • Lesedauer: 8 Min.

Der bevorstehende Bundesparteitag, aber auch der Landesparteitag lassen allzu bekannte Forderungen wieder auferstehen. »Wir brauchen eine Aktionsprogramm«, ja, sogar der Ruf zur Revolution hallt durch die eigene Partei.

Nun ist richtig, dass insbesondere der anstehende Bundesparteitag in Augen vieler Genoss*innen ein Zeichen setzen sollte. In die eigenen Reihen, aber auch nach außen. Nach den letzten Wahlergebnissen wird schlichtweg erwartet und offensiv gefordert, dass es ein »Weiter so« nicht geben darf, dass wir anfangen müssen, wieder ein diskutierende Partei zu sein, dass wir wieder mutiger werden müssen, weniger Angst vor Wahlniederlagen ausstrahlen sollten, wieder Positionen miteinander ausdiskutieren müssen, der kommunikative Stillstand beendet werden muss, wir mit unseren Kräften haushalten müssen und und und …

Ob allerdings Revolution nun die richtige Schlussfolgerung ist, bezweifle nicht nur ich, sondern bezweifeln auch Genoss*innen meines Landesverbandes. Ich maße mir diese Behauptung an, da ich viel unterwegs bin, in Ortsverbänden, Basisorganisationen – jenseits der sogenannten Führungsebene. Was ich höre ist: »Revolution. Ja. Wäre schön. Aber die Zeichen der Zeit sehen gerade anders aus. Die Anzahl derer, die bei unserer Revolution derzeit mitrennen würden, ist doch eher gering.« Oder auch schön: »Revolution. Okay! Und welchen Plan haben wir, wenn wir gewonnen haben?«

Nun ist mir bewusst, dass die Parteivorsitzenden mit der »Revolution der Gerechtigkeit« eine semantische Verschiebung herbeiführen wollen, um auf gesellschaftliche Verschiebungen und Empörung zu reagieren. Nur bleibt die Frage, ob das, was gewollt ist bei den Genoss*innen und potentiellen Wähler*innen ankommt oder rein sprachlich nicht eine Überforderung mehr bedeutet.

Was ich höre und für richtig halte, ist die Forderung, dass wir für die Probleme der Zeit Konzepte entwickeln müssen und nicht nur Parolen herausbrüllen sollen. Das wäre doch mal ein Anfang. Viel zu lange haben wir uns gescheut, ein linkes Einwanderungsgesetz zu diskutieren oder aber konzeptionell aufzuzeigen, wie Integration funktionieren kann und dass diese nicht von Millionen Ehrenamtlichen geschultert werden wird, zumindest nicht auf Dauer. Viel zu lange scheuen wir schon den Streit, wie wir uns denn eine sanktionsfreie Mindestsicherung genau vorstellen, ob diese ein (bedingungsloses) Grundeinkommen sein kann oder wir eine ganz andere Lösung finden. Viel zu lange reden wir über diese ominöse Internet wie einen Fremdkörper, statt uns konzeptionell Gedanken zu Datensicherheit, zu Büro 4.0, zu Industrie 4.0 usw. zu machen – die Themen klopfen nicht erst an die Tür, sondern die Gesellschaft wird davon überrannt und es gibt keine Idee, wie man mit dieser sich veränderten Lebenswelt für Nutzer*innen, Arbeitnehmer*innen, Schüler*innen, Eltern, gewerkschaftlich Engagierte, Arbeitgeber*innen, Mittelständler*innen, die kleinen Handwerker*innen um die Ecke usw. umgehen kann. Stattdessen wiederholen wir getreulich immer wieder unsere Forderungen.

Die stete Wiederholung ist gut, wichtig. Aber sie sollte uns nicht daran hintern, auch unsere Positionen weiterzuentwickeln und Themenfelder der Zukunft zu besetzen, des Parteifriedens willen oder aus welchem Grund auch immer. Es war, ist und bleibt organisationspolitisch ein Fehler, Debatten nicht zu führen und diese auszusitzen. Mehr noch haben die Mitglieder das Gefühl, dass sie überhaupt nicht mehr gefragt werden.

Was unsere innerparteiliche Verfasstheit angeht, haben wir es bis heute nicht geschafft – und diese Kritik richte ich auch an mich selbst – beteiligungsorientierte Instrumente in der Gestalt auszubauen, dass unsere altersmäßig und lebensweltlich heterogene Mitgliedschaft besser einbezogen werden kann. Wir haben die Möglichkeit des hochformalisierten Mitgliederentscheides, der bis heute keine elektronische Abstimmungsvariante vorsieht. Weitere Instrumente der Mitgliedereinbindung sind nicht erprobt – brauchen wir aber, wenn wir zumindest für den Osten zur Kenntnis nehmen, dass uns die Strukturen wegbrechen.

Wenn man davon ausgeht, dass die geäußerten Sorgen der Genoss*innen nichts anderes sind, als der eigenen Angst Ausdruck zu verleihen, dann sind all diese gerechtfertigt. Auch die oft unkonkreten, selten konkreten Vorschläge. Ich verstehe auch den Wunsch nach einem Aktionsplan. Aber …

Wollen wir einmal mehr die folgenden Punkte beschließen?

  • Wir sind in Vereinen und Initiativen aktiv.
  • Wir sind in Gewerkschaften aktiv.
  • Wir stehen an der Seite derer, die Rassismus ablehnen.
  • Wir beteiligen uns an Großdemonstrationen und organisieren selbst welche zu diversen Themen.
  • Wir bespielen die Kampagne »Das muss drin sein.«
  • Aktionen zum Frauentag und Frauenkampftag unterstützen.
  • »Raus zum 1. Mai.«
  • »Raus zum 8. Mai.«
  • Wir beteiligen uns an CSDs.
  • Wir sind präsent, wenn Beschäftigte streiken und demonstrieren.
  • Wir begleiten die Regionaltouren der Abgeordneten.
  • Wir veranstalten in allen Kreisverbänden und Stadtverbänden Touren, um flächendeckend einmal im Jahr präsent zu sein.
  • Wir gehen zu lokalen Festen und Veranstaltungen und sind dort als LINKE präsent (Infostand, Redner*innen, Begrüßung als offizieller Gast).
  • Wir setzen uns für die Öffentliche Präsenz (regional relevante) Schwerpunkte.
  • Wir sind in den sozialen Netzwerken aktiv und arbeiten an der stetigen Aktualisierung unserer Webpräsenzen.
  • Wir stützen die Tafeln, soziale Vereine und engagieren uns in den entsprechenden Verbänden.
  • Wir bieten HartzIV – Beratungen an und bauen DIE LINKE. hilft aus.
  • Wir engagieren uns für Geflüchtete.
  • Wir bieten Veranstaltungen an und probieren dabei Formate aus, die zu Beteiligung einladen.
  • Wir versuchen für unsere Veranstaltung Personen zu gewinnen, die mit uns sympathisieren und erschließen uns so neue Personenkreise und Partner*innen.
  • Wir wollen die Themen XYZ, welche gerade im Bundesland, vor Ort, wo auch immer brennen, diskutieren.
  • Die regierenden und anderen Parteien kritisieren.
  • Für Sachsen: Wir arbeiten an einem alternativen Landesentwicklungskonzept.
  • Für Sachsen: Dieses Landesentwicklungskonzept entwickeln wir aus den Regionen heraus.
  • Für Sachsen: Wir wollen mit dem Landesentwicklungskonzept sowohl Menschen mit einbinden, die mit unserer Partei wenig zu tun haben, aber auch unsere eigene Parteibasis.

Hinzu kommen jetzt, wie zu lesen ist:

  • Wir machen Haustürbesuche.
  • Wir betreiben die Kampagne »Das muss drin sein« noch intensiver.
  • Der AfD die Stirn bieten.

Alles richtige Punkte. Und ganz sicher ist die Aufzählung noch lange nicht vollständig. Aber: Auch hier behaupte ich, dass die Genoss*innen, die sich irgendwie dazu in der Lage fühlen und das ist trotz hohen Altersdurchschnitts die übergroße Mehrheit, genau all diese Sachen machen. Mehr noch halten die Genoss*innen in Ortsverbandsversammlungen, bei Kreismitgliederversammlungen, bei Landesvorstandssitzungen, bei Treffen inhaltlicher Zusammenschlüsse usw. die Partei statutengerecht am Laufen. Wollen wir jetzt noch zehn weitere Punkte beschließen, die auch noch zu leisten sind?

Mein Befürchtung ist eher, dass bei noch mehr Anforderungen Genoss*innen schlichtweg von der Fahne gehen. Denn sie können nicht mehr. Und statt eines Dankes für ihr Engagement – sowohl das finanzielle als auch das zeitliche – bekommen sie immer wieder neue Aufgaben. Das geht so nicht. Vielmehr sollten wir all das, was wir haben, auf den Prüfstand stellen. Und damit meine ich Alles.

Um wirksam zu werden könnte es auch ein Ansatz sein, dass wir uns mehr konzentrieren und Dinge bewusst sein lassen. Das bedeutet aber, dass wir uns ehrlich machen müssen. Wie ist es um uns bestellt? Und was ist sinnvoll und machbar? Das sind meiner Meinung nach die Leitfragen, um einen solchen Prozess zu beginnen.

Wir brauchen keinen Aktionismus, sondern eine Bestandsaufnahme, was unsere Partei leistet. Wir brauchen eine realistische Einschätzung dessen, was leistbar ist. Und darauf sollten wir stolz sein. Und es benennen. Wir brauchen eine Kultur der Wertschätzung, des Dankesagens. Um weiterhin präsent zu sein, sollten wir uns auf wenige Punkte einigen, die uns wichtig sind. In Sachsen, meinem Landesverband, testen wir auch Konzepte zur flächendeckenden Präsenz, auch dort, wo wir nur wenige sind. Vielleicht sind genau hier übertragbare und leistbare Ansätze auch für andere Landesverbände dabei, die ein LINKES Grundrauschen sicherstellen.

Wir brauchen nicht zu beschließen, dass wir ab sofort direkt mit den Menschen sprechen. Im besten Falle tun wir das bereits. Dazu müssen wir sie vielleicht nicht direkt in der guten Stube heimsuchen. Vielleicht reicht ja auch einfach, sich einzumischen, Menschen dort anzusprechen, wo man sie trifft. Politische Diskussionen finden überall statt. Im Bus, beim Bäcker. Haben wir den Mut, dort mitzumischen. Und um dort mitzumischen brauchen es den Mut zum Bekenntnis: Ja, ich bin LINKE*R. Wenn wir das im täglichen Leben nicht schaffen, wie sollen wir den Mut aufbringen, Klingeln zu putzen?

Um inhaltlich weiter zu kommen, brauchen wir Mut. Eine Debatte wird unsere Partei nicht zerreißen, sondern beleben. Und unsere Debatten, die wir auf Grundlage des Erfurter Programmes und des Wahlprogrammes führen, werden uns nicht in ein strategisches Abseits stellen, sondern Andockpunkte für Menschen bieten, die vielleicht schon seit Jahren mit uns liebäugeln, denen aber der Stillstand bei uns zu groß ist.

Um insbesondere all jenen, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, gerecht zu werden, ist an transparenten Beteiligungsinstrumenten zu arbeiten. Unsere Neuen und nicht mehr ganz so Neuen wollen mitmischen, das heißt auch relevant mitentscheiden.

Im Kern geht es darum, ob wir es schaffen, überlebensfähig zu sein, raus aus der neun Prozent-Stagnation zu kommen und mit unseren Ressourcen so zu haushalten, dass kein Frust entsteht, wir aber nicht nur den Hauch von Lebendigkeit simulieren, sondern es tatsächlich sind.

Antje Feiks, Jahrgang 1979, ist seit 2009 Landesgeschäftsführerin der Linkspartei in Sachsen und dort auch Landeswahlkampfleiterin.

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