Fragen von links nach dem Sinn der Grenzkontrollen
Einheitsliste in Dänemark sucht Balance zwischen Soforthilfe und einer auf Dauer gerechteren Regelung der Asylpolitik
»Hat jemand mal ausgerechnet, wie viele Flüchtlinge ein Dach über den Kopf bekommen könnten für die Kosten der Grenzkontrolle?« Diese Frage stellte Per Clausen, markanter Vertreter der alten Garde der Rot-Grünen Einheitsliste, als die Kontrolle an der deutsch-dänischen Grenze im Januar eingeführt wurde. Die Antwort steht aus, und die linke Kritik am Umgang mit der Flüchtlingskrise hält an.
Diese Kritik beschränkt sich nicht auf die liberale Regierung und deren bürgerliche Stützen im Parlament, sondern trifft auch die Sozialdemokraten, die diese Politik im Wesentlichen teilen: Begrenzung der Migrantenzahlen, Ablehnung von europäischen Quoten innerhalb der EU und Stopp an den Außengrenzen.
Die Zahl der Asylbewerber ist kräftig gesunken, weshalb die Grenzkontrollen und die Verabredungen mit der Türkei Erfolg betrachtet werden, doch die Volkssozialisten wie die Einheitsliste weisen darauf hin, dass das Problem von Menschen in Not damit nicht verschwindet. Die Einheitsliste hat nun Vorschläge unterbreitet – für sofortige und langfristige Maßnahmen.
Für die bereits Angekommenen sollen menschenwürdige Bedingungen geschaffen werden. So widersetzte sich die Einheitsliste bereits erfolgreich gemeinsam mit den Sozialdemokraten und anderen Parteien der Einrichtung von speziellen Flüchtlingsdörfern. Mit diesen würde eine Integration in die dänische Gesellschaft unmöglich gemacht. Es mangelt jedoch weiterhin an geeigneten Wohnungen, so dass Hunderte Flüchtlinge, insbesondere Männer, in Zeltdörfern untergebracht sind. Um den Bau von Sozialwohnungen zu finanzieren, hat die Liste die Erhöhung der Erbschaftssteuer vorgeschlagen. Die geforderten 10 000 neuen Wohnungen sollen auch sozial schwachen Dänen ein besseres Zuhause ermöglichen. Bei der Einheitsliste ist man sich durchaus im Klaren darüber, dass Hilfe allein für Flüchtlinge in Not einen Neideffekt auslösen würde, der nur den Rechtsparteien dienlich wäre.
Die Einheitsliste widersetzte sich ebenso der Einführung der sogenannten Integrationshilfe, die geringer als die Sozialhilfe ist. Zwar sagt die Regierung, sie wolle damit zur Arbeitssuche anspornen. Allerdings geht es wohl vor allem darum, Migranten davon abzuschrecken, nach Dänemark zu kommen.
Zur Entlastung der südeuropäischen Länder schlägt die Einheitsliste vor, dass die EU Empfangszentren in der Türkei einrichtet. Die Asylbehandlung sollte dort vor sich gehen. Dies würde nicht nur den Menschenschmugglern das Handwerk legen, sondern auch die Flüchtlinge vor der Gefahr des Ertrinkens bewahren. Johanne Schmidt-Nielsen, bis vor kurzem Frontfigur der Einheitsliste, betonte, dass sie keinen Idealplan zur Lösung der Flüchtlingskrise habe, es aber kein Verschanzen in der Festung Europa geben sollte.
»Wir haben ein Dilemma. Wir müssen Menschen in Not helfen, können die größte Last aber nicht den Ländern überlassen, die zufällig an der Außengrenze liegen. Deshalb müsse die Dublin-Konvention abgeschafft werden. Darüber hinaus sollte die EU jenen unmittelbar angrenzenden Ländern, in denen die meisten Flüchtlinge ankommen, finanzielle Hilfe leisten.«
Im Führungsgremium der Einheitsliste hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Institution der EU, die man ansonsten bekämpft, der Schlüssel zur europäischen Lösung ist. »Das gegenwärtige Asylsystem ist eine große Ungerechtigkeit. Nur die Stärksten mit den größten Ressourcen kämpfen sich durch nach Europa, aber die sind nicht notwendigerweise die am meisten bedrohten. Der UNO gelang es in den 70er Jahren, die vietnamesischen Bootsflüchtlinge zu verteilen. Etwas Ähnliches müssen wir heute wieder versuchen. Die Flüchtlinge kommen in jedem Fall«, skizzierte Schmidt-Nielsen gegenüber dänischen Medien die Haltung der Einheitsliste.
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