Der Karneval gibt sich politisch
Trotz Wetterkapriolen feiern Hunderttausende beim Straßenumzug am Pfingstsonntag
Tanzend, trommelnd oder rollschuhfahrend reihen sich Samba-Formationen mit aufwendigem Federschmuck an koreanische Trachtengruppen und jonglierenden Kindern aus einem Jugendzirkus. Die Aufzugstrecke verwandelt sich in eine Festmeile. Es riecht nach Grillwürstchen, elektronische Beats wabern durch die Straßen. Bier und Rum fließen in Strömen, einer der zahlreichen Verkaufsstände am Rand bietet als besonderes Angebot bei der Bestellung von vier Cocktails einen Strohhut gratis.
Es dürfte die größte Straßenparty des Jahres gewesen sein, als am Sonntag der »Karneval der Kulturen« auf seiner gewohnten Strecke vom Hermannplatz über den Südstern bis zur Möckernstraße durch Kreuzberg zog. 73 Gruppen und 5000 Aktive bahnten sich bis zum Abend mit ihren Festwagen den Weg durch ein dichtes Menschenspalier mit entgegengestreckten Handykameras. Die wiederkehrenden Regenschauer und Windböen trübten die Stimmung wenig.
Bei einigen Wagen ging es dezidiert politisch zu: Ein Thema war die Barrierefreiheit und Inklusion von Menschen mit Behinderung. Zwei Gruppen setzten das Konzept auch praktisch um: Rollstuhlfahrer, Menschen mit und ohne Behinderung tanzten gemeinsam. Andere protestierten gegen die Absetzung der Regierungschefin Brasiliens, Dilma Rousseff, sowie gegen die Panama-Papers und die Folgen der Immobilienspekulation für Kunst und Kultur in der Hauptstadt. Das präsenteste Thema war die aktuelle Flüchtlingsdebatte. So bezog sich das »Netzwerk Großbeerenstraße« auf seinem Wagen unverkennbar auf den Ausspruch der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem Slogan: »Wir wollen das! Wir können das! Wir machen das! Wir schaffen das!« Auch die Aktiven der italienischen Tanzschule »Tarantola« aus Kreuzberg positionierten sich eindeutig: Auf gebastelten Schildern, die Zigarettenschachteln nachempfunden waren, prangten Botschaften wie »Abschottung schadet der Kultur« und »Abschottung kann tödlich sein«. Großformatige Bilder im Graffitistil an einem Reggae-Wagen zeigten Fußabtreter mit dem Schriftzug der rassistischen »Pegida«-Bewegung sowie dem Parteilogo der AfD.
Pikantes Detail: Der Wagen von »Colombia Carnaval e.V.« war beidseitig mit Werbebannern der »Hasso von Hugo Maskenbildnerschule« versehen. Hasso von Hugo war bis 2014 stellvertretender Bezirksvorsitzender der AfD in Tempelhof-Schöneberg und stellte die Räume seiner Schule in der Lützowstraße für »Kennenlernen-Treffen« der Partei zur Verfügung.
Nicht alles verlief friedlich: Am Vorabend war es vor einer Bühne zu einem Übergriff auf zwei tanzende Frauen gekommen. Die beiden 17- und 18-Jährigen wurden einem Polizeibericht zu Folge am späten Samstagabend von zehn jungen Männern umringt, sexuell belästigt und bestohlen. Polizisten konnten drei Tatverdächtige vorläufig festnehmen und der Betroffenen ihr Handy zurückgeben.
Nicht geklärt ist weiterhin der Hintergrund einer Brandstiftung in der Nacht zu Donnerstag. Unbekannte hatten auf dem Hof der Röntgen-Schule in der Wildenbruchstraße einen Polizei-LKW in Brand gesetzt. Der bereits dekorierte Wagen sollte beim Karnevalsumzug mitfahren. Die Polizei geht von einem politisch motivieren Brandanschlag aus. Spender hatten die Teilnahme des Wagens kurzfristig ermöglicht, die Schüler der Röntgen-Schule bedankten sich dafür am Sonntag auf einem Plakat.
Der Karneval war früher bei antirassistische Gruppen umstritten, sie kritisierten »kulturalistische« und »exotisierende« Darstellungen, auch das so genannte »Blackfacing«, womit das Schwarzfärben des Gesichtes und die Imitation kultureller Praktiken durch Weiße gemeint ist.
Lange hatte die Großveranstaltung auf der Kippe gestanden, es gab Streit um Konzept und Finanzierung. Nachdem der Senat erklärt hatte, er wolle die Veranstaltung auf Dauer nicht mehr alleine bezahlen, hatte er Anfang des Jahres eine Kreuzberger Veranstaltungsfirma mit der Trägerschaft beauftragt. »Piranha Arts« löst damit die landeseigenen »Kulturprojekte Berlin« als Veranstalter ab.
Ob der Karneval für nächstes Jahr finanziell gesichert ist, ist umstritten. Während Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) die fehlenden 330 000 Euro »eine relativ kleine Lücke« nannte, sagte Nadja Mau, Leiterin des Organisationsteams: »Wir haben für 2017 noch keine Lösung, doch wir brauchen Planungssicherheit.«
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