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Verwaltungsreform in Berlin: Der Konsens des Vierteljahrhunderts
Großes Einvernehmen über Verwaltungsrefom im Abgeordnetenhaus
Auf der Ziellinie: Nach Jahren der Debatte erreicht die Verwaltungsreform das Landesparlament. »Berlin schreibt heute Zukunft«, sagte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) am Donnerstag vor dem Plenum des Abgeordnetenhauses. Er versprach einen »Neustart für Berlin«. »Ein Vierteljahrhundert lang« sei über eine grundlegende Reform des Berliner Behördendschungels diskutiert worden. Nun sei ein Lösung zum Greifen nah.
Tatsächlich ist der schwarz-rote Senat nicht der erste, der sich an dem Mammutprojekt versucht hat. Über Legislaturen hinweg gab es immer wieder Initiativen und Expertenkommissionen. 2023 einigte sich die damalige rot-grün-rote Koalition kurz vor der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahlen noch auf ein Eckpunktepapier, das viele Elemente der jetzigen Verwaltungsreform vorwegnahm.
Der entscheidende Vorstoß kam am Ende jedoch erst nach dem Regierungswechsel zustande. Wegner erklärte die Reform zur Chefsache und trieb die Verhandlungen voran. Er änderte auch den rot-grün-roten Plan, die Reform in einen Teil, der mit einfachen Gesetzen beschlossen werden kann, und einen weiteren, für den eine Verfassungsänderung notwendig ist, aufzutrennen. Stattdessen berät das Abgeordnetenhaus nun über ein großes Gesamtpaket, das nicht nur das bisherige Allgemeine Zuständigkeitsgesetz komplett ersetzt, sondern auch die Landesverfassung ändert.
Im Zentrum der Reform steht nach wie vor die Verteilung von Aufgaben zwischen den verschiedenen Behörden. »Wir schaffen Ordnung in der Berliner Verwaltung«, kündigte Wegner an. Künftig sollen die thematischen Zuständigkeiten der Ressorts dauerhaft festgeschrieben werden. So beende man die »politisierte Zuständigkeitslogik«, die dafür gesorgt habe, dass mit jeder neuen Legislatur die Verantwortungen zwischen den Senatsverwaltungen wanderten. »Was zusammengehört, bleibt auch zusammen«, so Wegner.
So soll das berüchtigte Berliner »Behörden-Pingpong« beendet werden. Bislang streiten sich die verschiedenen Ämter immer wieder darüber, wer wofür zuständig ist. Bei der Erhebung der Aufgaben der Behörden hatte sich herausgestellt, dass es allein 400 Aufgaben gibt, für die es gar keine klare Zuständigkeit gibt.
Wegner stellte eine »klare gesamtstädtische Steuerung« in Aussicht. Die Bezirke sollen aber nicht nur Aufgaben abgeben, sondern auch in anderen eine freiere Hand bekommen. Sie können sich sogar Hoffnung auf eine Finanzspritze machen: »Wer den Bezirken neue Aufgaben gibt, muss dafür auch die Mittel bereitstellen.« Dank diesem »Konnexivitätsprinzip« sollen die Bezirke künftig zusätzlich Geld und Personalmittel erhalten, wenn ihnen Aufgaben übertragen werden.
»Wir schaffen Ordnung in der Berliner Verwaltung.«
Kai Wegner (CDU) Regierender Bürgermeister
Weil die Stimmen der Opposition notwendig sind, damit die Landesverfassung geändert werden kann, ging Wegner früh auf Grüne und Linke zu und band sie in Verhandlungen ein – auch das ein Unterschied zu Reformversuchen vorheriger Senate. Dass Opposition und Regierung in dieser Frage konstruktiv zusammenarbeiten könnten, sei »ein Wert für sich« und »ein starkes Signal an die, die die Demokratie abschaffen wollen«.
Da überrascht es wenig, dass die demokratischen Oppositionsfraktionen die Reform einhellig lobten. Werner Graf, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, kritisierte aber, dass Schwarz-Rot auf den letzten Metern noch Teile des Kompromisses abgeändert hatte. »Es entspricht eben nicht alles den bisherigen Absprachen«, sagte Graf. Nun liege es am Parlament, die offenen Fragen zu klären.
Der größte verbliebende Streitpunkt ist die geplante Einigungsstelle, die auch in der Verfassung festgeschrieben werden soll. Sie soll Kompetenzstreitigkeiten zwischen Senat und Bezirken schlichten. Grüne und Linke fordern, dass die Einigungsstelle möglichst weitreichende Entscheidungsbefugnisse erhalten soll. Die Koalition sah das aus juristischer Perspektive skeptisch – denn die Einigungsstelle könnte so den Senat überstimmen, den die Landesverfassung als oberstes Organ der Exekutive bestimmt. In der neuen Fassung heißt es daher, der Senat könne bei »zu begründenden gewichtigen Einzelfällen« die Einigungsstelle überstimmen.
»Es ist ganz menschlich, dass man eingreifen will«, sagte Graf. Das führe aber dazu, dass sich Senatoren zu Mikromanagement verleiten lassen könnten. Genau das habe die Verwaltungsreform aber verhindern wollen. Die aufgeweichte Regelung bei der Einigungsstelle könne nun dazu führen, dass »die klare Aufgabenteilung jeden Tag ein bisschen weniger eindeutig wird«.
»Wir brauchen ein System, das uns vor dieser menschlichen Neigung schützt«, appellierte Graf. Er wird zumindest noch etwas Zeit haben, um seine Vorschläge einzubringen: Die Verwaltungsreform soll nun zunächst in den Ausschüssen beraten werden, auch eine Expertenanhörung ist geplant. Beschlossen werden soll das Gesetzespaket noch vor der Sommerpause, eventuell sogar noch im Mai.
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