Frankreichs Polizisten sehen sich als Opfer

Ordnungskräfte protestieren gegen Gewalt, die von Demonstrationen gegen die Arbeitsrechtsreform ausgehe

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die französischen Polizeigewerkschaften ist klar, wer die Schuld an den jüngsten Ausschreitungen trägt. Sie selbst seien es nicht, obwohl auch gegen Beamte wegen Gewalttaten ermittelt wird.

Die Wahl des Ortes ist provokant. Ausgerechnet auf dem Pariser Platz der Republik, wo seit Wochen Abend für Abend friedlich über die Zukunft Frankreichs diskutiert wird, will die Polizei an diesem Mittwoch eine Demonstration abhalten. Hass und Gewalt gegen die Beamten wollen die Polizeigewerkschaften anprangern, die zu der Aktion aufgerufen haben. Sie sind durchweg dem rechten bis rechtsextremen politischen Lager zuzuordnen und verweisen darauf, dass in den vergangenen Wochen bei einer regelrechten »Eskalation der Gewalt« am Rande von »Nuit Debout«-Demonstrationen gegen die Arbeitsrechtsreform rund 300 Polizisten und Gendarmen verletzt worden seien. »So etwas habe ich in den 15 Jahren, die ich bei der Polizei bin, noch nie erlebt«, stellt der Unteroffizier Stéphane Chapuis fest, der zu einer CRS-Sicherheitseinheit gehört.

»Wir haben es heute mit einer Mischung aus Anarchisten, Autonomen und anderen linksextremen Leuten zu tun, die Banken und andere Symbole des Kapitalismus angreifen, sowie sozial entwurzelten Jugendlichen aus den Vorstädten, die mit der Polizei den Staat treffen und ihre Frustrationen abreagieren wollen«, schätzt Kommissar Christophe Rouget ein. Als Beispiel führt er einen Vorfall von Anfang Mai an. Am Rande einer Demonstration wurde ein abseits seiner Leute stehender Polizist umringt, seines Helms beraubt und mit einer Eisenstange geschlagen. Der Offizier erlitt einen Nasenbruch und eine schwere Gehirnerschütterung. Bei einer folgenden Demonstration konnte ein Täter erkannt und verhaftet werden. Der 19-jährige Gymnasiast, der seine Beteiligung an dem Überfall gestanden hat, wird wegen versuchten Totschlags verfolgt.

Die Zeiten, als nach dem Terroranschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo im Januar 2015 Menschen auf der Straße Polizisten geküsst haben, um ihnen zu zeigen, wie dankbar sie für deren Rolle als Schutzmacht sind, scheinen endgültig vorüber zu sein. Wie es zu diesem Riss gekommen ist, dafür haben die Demonstranten ihre eigenen Erklärungen. »Ich wollte anfangs nur meine Ablehnung der Reform zeigen«, sagt der 15-jährige René, »doch die Gewalt, mit der die Polizei von Mal zu Mal brutaler gegen unsere Demonstrationen vorgegangen ist, hat mich immer wütender gemacht. Jetzt müssen die sich nicht wundern, wenn wir zurückschlagen.« Der 23-jährige Arbeitslose Dominique ergänzt: »Die Arbeitsrechtsreform ist eine Form von Gewalt gegen uns. Das provoziert umgekehrt Wut und Gewalt.«

Auch auf Seiten der Demonstranten aus der »Nuit Debout«-Bewegung gab es in den vergangenen Wochen mehrere Dutzend Verletzte. In Paris hat Ende März ein Polizist vor einer Schule einen Jugendlichen, den zwei seiner Kollegen festhielten, brutal zusammengeschlagen. In Nantes hat Ende April ein 18-Jähriger durch ein Hartgummigeschoss ein Auge verloren. Bei der Kontrollinstanz IGPN laufen mehrere Dutzend Verfahren wegen des Vorwurfs ungerechtfertigter Gewaltanwendung.

Solche Übergriffe der Polizei werden von den Vorgesetzten und den politisch Verantwortlichen damit erklärt, dass die Ordnungskräfte durch den nun schon mehr als ein halbes Jahr andauernden Ausnahmezustand überanstrengt und erschöpft seien. Zudem führe die Konfrontationsbereitschaft der Demonstranten eben manchmal zu Überreaktionen.

Der Linksfrontpolitiker Jean-Luc Mélenchon beschuldigt die Polizei, die überwiegend friedlichen Demonstranten mit Gummiknüppeln und Tränengas zu attackieren und bewusst Zusammenstöße zu organisieren. Das weist Innenminister Bernard Cazeneuve zurück. Er habe Polizei und Gendarmerie angewiesen, »Gewalt nur proportional einzusetzen«. Schläger unter den Demonstranten sollen isoliert und verhaftet werden, um sie vor Gericht zu bringen. Das verfassungsmäßige Recht auf Demonstrationen soll gewahrt bleiben, »vorausgesetzt, ihr Schutz durch die Polizei kann gewährleistet werden«.

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