Flüchtlinge als Akteure unsichtbar
Kompetenzzentrum: Kommunen grenzen Migranten zu oft aus, statt sie einzubeziehen
Im Vorfeld der Landtagswahl vom 13. März erlebte Sachsen-Anhalt eine bundesweite Premiere: Erstmals durften hier auch nicht eingebürgerte Migranten sowie kommunal bereits zugewiesene Flüchtlinge an die Urnen treten. In 14 Städten eröffneten dazu spezielle Wahllokale. Fünf Parteien hatten sogar ihre Programme in sieben Sprachen übersetzt. Organisiert wurde diese »Probewahl«, deren Auszählung natürlich keinen Einfluss auf das Sonntagsergebnis hatte, vom Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt e.V. Dessen Sprecher Mamad Mohamad verfolgte damit mehrere Ziele: Neben einem »Beitrag zu mehr politischer Bildung und Integration« wollte er auch ein Zeichen senden. Denn der Syrer, der mit seiner Familie in Halle lebt und arbeitet, empfindet es auch als ein »Problem für das politische System der Bundesrepublik«, wenn knapp ein Zehntel der Wohnbevölkerung nicht an Landtags- und Bundestagswahlen und »rund 5,5 Prozent an überhaupt keinen Wahlen teilnehmen dürfen und somit formell nicht in Parlamenten repräsentiert« wären.
Mohamad trifft sich hier mit Intentionen, wie sie auch die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) in Bonn verfolgt. Denn jenes Kompetenzzentrum - es arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - kreiert seit 2001 Strategien und gestaltet Programme zu Themen wie kommunale Partnerschaften, Migration und Entwicklung. Dazu werden örtliche Akteure u.a. durch Qualifizierungs-, Informations- und Beratungsangebote unterstützt. Zugleich setzt die SKEW eigene Modellprojekte um und gibt Hilfe bei der finanziellen Förderung von Dialogplattform und Kommunalpartnerschaften mit den »Ländern des Südens«.
Denn zu oft wird in den Kommunen noch unterschätzt, dass gerade Flüchtlinge auch Akteure im besten Wortsinne sind. Nicht nur, dass sie sich oft unter lebensgefährlichen Umständen bis Deutschland durchgeschlagen haben. Viele von ihnen unterstützen nun von hier aus daheimgebliebene Angehörige mit Geld, nicht wenige fahren sogar in die alte Heimat, um selbst zuzupacken, wenn sich akute Not auftut. So starteten in Deutschland lebende Roma 2014 eine eigene Hilfsaktion, als sich zeigte, dass von der Flut in Bosnien und Herzegowina betroffene Roma keine staatliche Unterstützung erhalten. Sie sammelten Geld, Kleidung, Lebensmittel und Medikamente, beluden damit Lieferwagen und fuhren nach Bosnien und Serbien, um vor Ort zu helfen, heißt es hierzu in dem Gutachten »Partizipation von Flüchtlingen in der kommunalen Entwicklungspolitik«, das die SKEW zusammen mit der Engagement Global gGmbH ganz aktuell herausgegeben hat.
Allerdings hätten jene Migranten »zu keinem Zeitpunkt daran gedacht, die Kommune, in der sie hier leben, oder die kommunalen Vertretungen um Unterstützung zu bitten«, konstatieren die Autoren. Und dies aus nachvollziehbarem Grund, wie sie finden: »Das Verhalten der Kommunen ihnen gegenüber erleben sie überwiegend als ausgrenzend ...« Paternalistische Sichtweisen paarten sich da mit »restriktiven Politiken gegenüber eigenständigen Handlungsmöglichkeiten von Flüchtlingen«.
Eben damit wären »zahlreiche Aktivitäten von Flüchtlingen nahezu unsichtbar«, heißt es in dem Gutachten. Sie passten einfach nicht in das »übliche Wahrnehmungsraster«, das die Mehrheitsgesellschaft auf Flüchtlinge habe. Deshalb raten die Autoren in »ersten Handlungsempfehlungen« an die Kommunen: Man müsse jetzt das vielerorts schon kommunal etablierte Thema Migration und Entwicklung »um eine Akteursgruppe erweitern« - eben jene der Migranten und Flüchtlinge. Zügig sollten die Kommunen hierzu die »Sichtbarkeit« jener Menschen stärken, das entwicklungspolitische Engagement von Flüchtlingen unterstützen und auf diese Weise »die Themen Flucht und Entwicklung auch kommunal zusammenführen«. Auch über mehr demokratische Partizipation.
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