Höhn appelliert an Linkspartei: »Haltung zeigen«
Bundesgeschäftsführer meldet sich in Strategiedebatten zu Wort: »Gerechtigkeit: für alle, oder es ist keine« / Partei zu »ein wenig Demut« aufgerufen - Warnung vor Verzettelung
Berlin. Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, hat seine Partei zu »ein wenig Demut« aufgerufen. Falsche Bescheidenheit wäre zwar fehl am Platze, aber »niemand mag Besserwisser. Neugier und Offenheit sind weitaus sympathischer«, schreibt Höhn in einem Papier zur aktuell laufenden Strategiedebatte der Partei. Man dürfe sich »nichts vormachen«, auch die Linkspartei sei von der aktuellen Akzeptanzkrise der Parteien betroffen. »Es ist eine Mischung aus Enttäuschung, Hoffnungslosigkeit, bis hin zur Verachtung des gesamten politischen Systems und der Demokratie schlechthin.« Höhn warnte davor, dass Linke in dieser Lage »die verbliebenen sichtbaren Instrumente funktionierender Demokratie unter einem allgemeinen Urteil über das Schlechte dieser Welt gleich mit verschwinden zu lassen«. Die Linkspartei müsse »unsere Demokratie von links« kritisieren, »weil wir sie bewahren und ausbauen wollen. Wir haben sehr viel zu verlieren, in Deutschland und Europa«.
Die Linkspartei stagniert seit längerem in den Umfragen. Der Rückgang der Zustimmung bei der SPD schlägt sich nicht in Zugewinnen nieder. Bei den Frühjahrswahlen blieb sie klar hinter ihren Zielen. Vor dem Bundesparteitag Ende Mai wird deshalb innerhalb der Linken über die Strategie gegen gesellschaftlichen Rechtsruck, Bündnisfragen und die politischen Schwerpunkte diskutiert.
»Unser Problem ist nicht zuerst, dass wir gravierende programmatische Lücken haben«, so Höhn in seinem Papier. »Wenn Werte und Grundsätze einen Sinn haben, dann im Wandel auch Verlässlichkeit und Orientierung zu geben, der Partei wie (potenziellen) Wählerinnen und Wählern«, schreibt der Bundesgeschäftsführer und diagnostiziert: »Es ist eines der grundlegenden Probleme der Politik dieser Zeit, zu wenig Orientierung, zu wenig Linie vorzuzeichnen, an denen sich Einstellungen reiben, Bindungen aufbauen, Interessen geweckt werden können.«
Absage an jegliche Obergrenzen für Menschenrechte
Für Höhn besteht diese »Haltung« der Linken vor allem darin, »Gleichheit aller zum Ausgangspunkt allen politischen Handelns zu machen«. Hierin liege der entscheidende Gegensatz zu anderen, nicht nur zum Rechtspopulismus. »Gerechtigkeit: für alle, oder es ist keine.« Die Linkspartei müsse deshalb wieder ihren »Markenkern für soziale Gerechtigkeit mit klaren Botschaften und mobilisierungsfähigen Projekten wieder sichtbarer untersetzen.« Mehr Konzentration, so die Losung des Wahlkampfleiters: »Teilweise machen wir zu viel, was das Bild verschwimmen lässt.«
Die Grundüberzeugungen der Linken, Höhn spricht hier unter anderem das Eintreten für eine solidarische Flüchtlingspolitik, eine weltoffene und menschliche Gesellschaft sowie die konsequente Absage an jegliche Obergrenzen für Menschenrechte, seien »nicht verhandelbar. Hier geht es um Grundsätzliches, um eine Haltung, um linke Grundwerte. Sie basieren auf unserem Verständnis von Freiheit, Solidarität und der Gleichheit aller Menschen. Diese Identität verstecken wir nicht«, so Höhn - auch dann nicht, »wenn alle anderen Parteien mehr oder weniger nach rechts taumeln« und die Linkspartei in manchen Fragen eine Minderheitenposition vertrete.
Höhn warnte auch vor Überforderung: »Wir müssen das Rad nicht immer neu erfinden«, schreibt er. »Wir schaffen nicht alles. Wir müssen unsere Kräfte konzentrieren, das permanente Fahren auf Verschleiß muss ein Ende haben. Dazu gehört vor allem auch, nicht über jeden Stock zu springen, nicht jede Demo zu organisieren, nicht jeden Zettel zu drucken, nicht jede Debatte zu führen, nicht alles zu kommentieren«.
»Ein linkes Lager existiert nicht«
Zur Bündnisfrage äußerte sich Höhn auch. Angela Merkels »langfristiger Kurs einer strategischen Neuausrichtung der CDU zeitigte mindestens zwei Folgen: Zum einen schuf er Raum am rechtskonservativen Rand, der zunehmend gefüllt wird. Er hat aber zum anderen die Nach-Schröder-SPD derart marginalisiert, dass eine auf Dauer angelegte CDU-Kanzlerschaft derzeit als ausgemacht gilt.« Weder die Linkspartei noch die Linken in der SPD dürften sich aber »damit abfinden«. Der Niedergang der Sozialdemokraten könne auch »Sozialisten nicht erfreuen«, wenn die Aussicht laute, dass es auf Dauer keine Möglichkeit gibt, die Union aus dem Kanzleramt zu verdrängen und einen Politikwechsel einzuleiten.
»Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Ein linkes Lager, geschweige denn eines, das wirkungsmächtig wäre, existiert nicht«, so Höhn. Dennoch gebe es aber »inhaltliche Schnittmengen über Parteigrenzen hinweg«. Diese könnten trotz der gegenwärtigen politischen Defensivlage Ansatzpunkte dafür sein, Politik über gesellschaftliche Milieus hinweg zu bündeln. »Ganz ohne ein parteipolitisches Lager links der Mitte wird sich auch kein gesellschaftliches Lager herausbilden« lassen, schreibt der Bundesgeschäftsführer in dem Papier.
Eine Option zum Mitregieren ist für Höhn dabei kein Selbstzweck, hat aber auch eine mobilisierende Funktion. »Wenn es derzeit häufig heißt, dass wir einige Dinge von« dem neuen Labourchef Jeremy Corbyn, vom linken US-Demokraten Bernie Sanders und von der spanischen Linkspartei Podemos »lernen können, stimme ich dem durchaus zu. Der entscheidende Punkt wird aber oft vergessen. Alle drei Akteure sind in der Lage, Perspektiven für die Durchsetzung ihrer Politik sichtbar zu machen« - sie treten als mögliche künftige Regierende auf. Der Aufbruch an der Basis und die Begeisterung für neue, selbstbestimmte Politikansätze habe »eben auch etwas damit zu tun, dass diese Politik gesellschaftlich wie machtpolitisch als potenziell durchsetzungsfähig wahrgenommen wird«. tos
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