Der Wettstreit der Missetaten

Das IOC vermeldet viele Dopingfälle aus der Vergangenheit und wird gedrängt, russische Sportler zu sperren

Noch ist unklar, welche 31 Olympiastarter 2008 gedopt waren. Derweil rückt ein Ausschluss Russlands von den Spielen 2016 näher.

Thomas Bach dürfte sich längst daran gewöhnt haben, dass im Vorfeld von Olympischen Spielen negative Schlagzeilen die Medien bestimmen. Geht es dabei sonst meist um Baumängel, exorbitante Ausgaben oder Umweltschäden, scheint in den knapp 80 Tagen bis zur Eröffnung der Sommerspiele von Rio de Janeiro Doping im Wettstreit der Missetaten zu gewinnen. Und da der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees nicht immer nur als Gejagter dastehen will, sorgte das IOC mit seiner Mitteilung, 31 potenzielle Dopingsünder der Spiele 2008 in Peking enttarnt zu haben, am Dienstag selbst für ein kleines Nachrichtenbeben.

Natürlich sieht die olympische Familie darin keineswegs eine schlechte Meldung, sondern vielmehr die positive, dass Betrüger irgendwann doch entdeckt werden und saubere Athleten noch zu ihren Medaillen kommen würden. Noch ist nicht klar, welche Sportler oder Nationen betroffen sind, und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat keinen blauen Brief vom IOC erhalten. »Ich hoffe, dass das so bleibt«, sagte der DOSB-Vorstandsvorsitzende Michael Vesper am Mittwoch. Selbst wenn dieser Wunsch in Erfüllung ginge, wäre das Zittern nur aufgeschoben, denn das IOC kündigte an, die Ergebnisse der Nachtests aus London 2012 schon in der kommenden Woche bekanntzugeben. Ein neuerliches Beben droht also.

Dabei wackelt die Sportwelt ohnehin noch mächtig nach den Enthüllungen des Leiters im Dopingtestlabor der Winterspiele 2014 in Sotschi. Grigori Rodtschenkow hatte berichtet, wie in seinem Labor mit hoher krimineller Energie ein angeblich von höchster Stelle angeordneter Dopingbetrug russischer Athleten vertuscht wurde. Mittlerweile ermittele laut »New York Times« sogar schon die US-Justiz wegen möglicher Verschwörung und Betrugs. Russische Offizielle, Athleten, Trainer sowie Antidoping-Verantwortliche seien im Visier der Ermittler, heißt es. Die dürfen bereits bei geringsten Verbindungen in die Vereinigten Staaten Anklage erheben oder wenn Geld über eine US-Bank geflossen ist.

Der Sprecher von Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte »mit Skepsis und Unverständnis«. Russland würde eine Anklage als weiteren Versuch der USA werten, die Zuständigkeit ihrer Gerichte auf andere Länder auszudehnen, sagte Dmitri Peskow am Mittwoch. Russland sei zwar zur Zusammenarbeit mit internationalen Ermittlern bereit. Es müsse aber die Unschuldsvermutung gelten. Sauberen Sportlern sollte die Teilnahme an Wettbewerben nicht verwehrt werden, sagte Peskow.

Die Worte waren mit Bedacht gewählt, denn nach all den Enthüllungen der vergangenen Monate steigt der Druck auf das IOC, alle russischen Sportler von den Spielen in Rio auszuschließen. »Die olympische Idee ist in Gefahr«, sagte Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Bundestagssportausschusses. Das IOC könne sich nicht immer nur auf die Welt-Antidoping-Agentur WADA berufen und müsse selbst die Entscheidung treffen, »ob es ganze Nationen nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen lässt«, so Freitag.

Die Möglichkeit schließt auch Thomas Bach nicht mehr aus. »Sollte es Hinweise auf ein organisiertes und flächendeckendes Dopingsystem geben, müsste das IOC die schwierige Entscheidung zwischen kollektiver Verantwortung und individueller Gerechtigkeit treffen«, schrieb Bach in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«. Bach sagt, er sammele allerdings noch Fakten. Dass die Untersuchungen der WADA bis zur Eröffnungsfeier von Rio abgeschlossen sein werden, könne er jedoch nicht versprechen.

In einem weiteren Statement betonte der IOC-Präsident, derzeit keinen Kontakt zur russischen Führung zu haben. Spätestens jetzt fällt dem Deutschen das allzu große Kuscheln mit Putin während der Spiele in Sotschi auf die Füße. Beobachter zweifeln noch immer daran, dass sich das IOC trauen würde, Russland komplett zu sperren. Doch Bach beginnt zumindest rhetorisch, sich auf diesen Schritt vorzubereiten.

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