Was kommt nach Idomeni?
Griechenland: Die Umsiedlung von Tausenden Flüchtlingen sorgt Unruhe und Angst
Erst in der Nacht vom 18. Mai kam es zu heftigen Ausschreitungen, als Flüchtlinge versuchten, mit einem Bahnwaggon als Rammbock die Grenze zu durchbrechen. Schnell wurden Pläne laut, Idomeni zu schließen. Doch eine Umsiedlung des Camps ist schon lange geplant.
In der Nähe des kleinen Dorfes Idomeni nahe der mazedonischen Grenze liegt seit 2014 das Flüchtlingscamp, in dem zeitweise bis zu 15 000 Menschen lebten, vor allem aus Syrien, Afghanistan aber auch aus Irak, Bangladesch, der indischen Kaschmir-Provinz, Marokko oder Kurdistan. Erst im Februar 2016 verstärkten mazedonische Soldaten den Grenzzaun, um weitere Zuwanderung in das eigene Land und nach Europa zu verhindern. Die Menschen in Idomeni sitzen seitdem fest. Es gab zwar Versuche, die Grenze illegal zu überqueren, um nach Europa zu gelangen, aber die Flüchtlinge wurden meist von mazedonischen Soldaten festgenommen und wieder nach Griechenland deportiert.
»Wieso hat Deutschland die Grenze geschlossen?« ist eine der am häufigsten gestellten Fragen, wenn ich den Menschen mitteile, dass ich aus Deutschland komme. Viele von sind von Deutschland und vor allem von den europäischen Politikern enttäuscht. Sie fühlen sich vergessen. Sie sind gestrandet im Nirgendwo und ihre Zukunft ist ungewiss. Manche harren seit Monaten in Idomeni aus.
»Als wir Syrien verließen, waren die Grenzen noch offen und wir haben uns Hoffnung gemacht, nach Europa zu kommen und hier ein friedliches Leben zu beginnen«, berichtet Wissam Alwaked (30), ein ehemaliger Lehrer aus Damaskus. »Aber als wir hier in Griechenland nach einer beschwerlichen Reise ankamen, waren die Grenzen geschlossen und wir können nicht mehr zurück. Wir haben alles verloren und unser Haus wurde von Assads Bomben zerstört.«
Wie Wissam geht es vielen Flüchtlingen in Idomeni. Sie haben durch den Krieg in ihrer Heimat nicht nur ihre Vergangenheit, sondern durch die politische Planlosigkeit in der EU im Umgang mit den Flüchtlingen auch ihre Zukunft verloren.
Am 4. Mai beschlossen die griechischen Behörden, das illegale Lager zu räumen und auch die Bahngleise wieder frei zu machen, die für den Export eine wichtige Rolle spielen. Am folgenden Tag kam es zu Ausschreitungen, als die Polizei einige Zelte von den Gleisen räumen wollte. Doch es wichen nur wenige. Die Behausungen haben sich dennoch merklich gelichtet, aber der Bahnhof ist weiter mit Zelten belegt und die Räumlichkeiten werden von Flüchtlingen bewohnt. Die Proteste dauern an. Vor ein paar Tagen eskalierte die Frustration in den wohl heftigsten Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und der griechischen Polizei. Es flogen Steine, die Beamten setzten Tränengas ein.
Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR hat begonnen, die Menschen in Camps umzusiedeln, die vom Militär kontrolliert werden. Viele weigern sich. Der 25-jährige Hussam aus Syrien hat kein Interesse, in ein solches Militärcamp zu ziehen. »Wieso sollte ich das tun? Hier ist es sehr offen und dort ist alles eingezäunt. Die Situation dort soll noch viel schlimmer sein als hier, habe ich gehört.«
Die Gerüchteküche brodelt natürlich in einem Ort wie Idomeni und auch Wissam Alwaked ist skeptisch bei den Militärcamps: »Es gibt dort kaum etwas zu essen und hier in Idomeni werden wir gut versorgt. Auch wenn die Lage hier schlecht ist, geht es uns hier sicher viel besser als in den anderen Camps. Ich habe viele Leute getroffen, die von den anderen Camps geflohen und wieder hierher zurückgekommen sind.«
Laut der Schutzbeauftragten des UNHCR, Elodie Lemal, ist die Versorgung der Flüchtlinge in den Militärcamps gesichert. Es sind dort internationale Hilfsorganisationen tätig, die für die Verteilung von Lebensmitteln und für die Gesundheitsversorgung zuständig sind. Sie unterstreicht: »Es ist notwendig, die Flüchtlinge in die anderen Camps zu transportieren. Es sind hier mittlerweile 32 Grad und die Zustände sind miserabel. Und wir haben erst Mai. Wie soll es nächsten Monat aussehen, wenn es noch wärmer wird?«
Am 12. Mai beschwerten sich im UNHCR-Büro von Thessaloniki bereits fünf Flüchtlinge aus dem Ende April angelegten offiziellen Lagkadikia-Camp über die Zustände dort. Ein Besuch des offiziellen Flüchtlingscamps Nea Kavala in der Nähe von Idomeni wurde mir vom Militär verweigert, so dass es mir unmöglich war, mich selbst ein Bild zu machen.
Es gibt jedoch zahlreiche Aussagen, dass die Lebensumstände in den vom Militär kontrollierten Camps unhaltbar seien und sogar schlimmer als in Idomeni.
Die Flüchtlinge werden alleine gelassen in ihrer Not, der sie eigentlich entfliehen wollten. Ihre Zukunft ist ungewiss und niemand kann ihnen sagen, was als Nächstes kommen wird. Dabei könnte alles so einfach sein, wie Wissam zielsicher sagt: »Es sind doch nur 50 000 Flüchtlinge in Griechenland gestrandet. Europa ist groß und hat 28 Mitgliedsstaaten. Griechenland selbst ist wirtschaftlich arm und kann die ganzen Menschen nicht versorgen. Wieso verteilt die EU die Flüchtlinge nicht gleichmäßig auf alle Mitgliedsstaaten? Damit hätten wir eine Basis, um ein menschenwürdiges Leben zu beginnen und das Problem der Flüchtlinge wäre erst einmal gelöst.«
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