Analog ist der neue, alte Schlüssel zum Erfolg
»Die Revolution der sozialen Gerechtigkeit« kann mehr sein als bloße Parole, meinen Daniel Anton und Janis Ehling. Ein Kommentar zu Antje Feiks »Nicht nur Parolen rausbrüllen«. Ein Plädoyer für eine Partei neuen Typs
Antje Feiks stellt die Strategiedebatte der Linken vom Kopf auf die Füße. Die Perspektive des Basismitglieds ist leider eine neue in der Strategiedebatte. Feiks weist auf den anstrengenden Parteialltag und die Überlastung vieler Mitglieder in den Kreis- und Bezirksverbänden der Partei hin. Damit zeigt sie die Defizite bisheriger Beiträge auf, die sich allein auf die großen Linien konzentrieren oder sich nur auf der Themenebene bewegen. Dabei vergessen viele aber, wer eigentlich die Strategien umsetzen muss und die Arbeit vor Ort macht.
Insofern lässt sich die Kritik von Antje Feiks am Papier der Parteivorsitzenden sogar zuspitzen: Wieder erscheint ein hervorragendes Papier. Wahrscheinlich wird es wieder seiner Umsetzung harren, weil diese Partei nicht gemeinsam handeln kann oder will. Das zeigt sich auch bei den Parteitagen. Die Beschlüsse der Parteitage haben eher den Charakter von Stimmungsbildern als einer politischen Willensbildung. Das zeigt sich auch daran, dass die Basis Beschlüsse kaum umsetzt, weil viele Aktive überlastet sind. André Brie nannte die Partei deshalb kürzlich einen Papiertiger. Das wird den tausenden von Aktiven zwar nicht gerecht, gibt aber einen Hinweis darauf wie wenig DIE LINKE dazu in der Lage ist überhaupt Themen zu setzen, Menschen zu begeistern und in die politische Arbeit einzubinden. Antje Feiks weist ebenso auf diesen Umstand hin, hat aber selber auch keine Lösungen vorzuschlagen. Das wollen wir nicht so stehen lassen.
Als kürzlich ausgeschiedene Kreisvorsitzende der zwei Kreisverbände mit den besten Ergebnissen bei den letzten Wahlen im März plädieren wir für eine Partei, die nicht als Elendsverwalterin agiert, sondern praktisch in die Offensive geht. Dabei wollen wir stärker das Große mit dem Kleinem verbinden.
Eine neue Generation betritt die politische Bühne
Seit Katja Kipping und Bernd Riexinger Vorsitzende der LINKEN sind, hat es eine massive Mitgliederfluktuation gegeben. 30 Prozent der Mitgliedschaft wurden seit 2012 ausgetauscht. Seit dem sind mehrheitlich 20-35 jährige in die Partei eingetreten. Das hat auch ein wenig mit Sanders, Corbyn und Podemos zu tun. In vielen Ländern des Westens glaubt wieder ein relevanter Teil der jungen Generation an Veränderung und will sich dafür engagieren. Das ist auch in Deutschland nicht anders. Wir merken das besonders als Aktive im Studierendenverband an den Unis. Es gibt wieder eine Linke auf die viele Menschen ihre Hoffnung setzen. Das ist angesichts eines jahrelangen politischen Abwärtstrends der gesamten Linken nicht wenig.
Manche von diesen politisch Interessierten engagieren sich wegen verschlechterter Arbeits- und Lebensperspektiven. Anderen macht die Rechtsentwicklung und die Entdemokratisierung durch Schuldenbremsen, TTIP und die Troikapolitik Angst.
So oder so – eine politisch schon abgeschriebene Generation politisiert sich. Hunderttausende gehen gegen TTIP und CETA auf die Straße. Viele Tausende helfen Geflüchteten. Auch in den Betrieben nehmen die Auseinandersetzungen zu. Die Zahl der Streiktage steigt seit ein paar Jahren immer weiter an. Die Gewerkschaften gewinnen erstmals seit Jahrzehnten wieder Mitglieder - gerade unter jungen Leuten. Die Neueintritte in DIE LINKE sind also ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wir erleben gerade eine Revitalisierung der Linken. Nur können wir als Partei DIE LINKE nicht viel damit anfangen. Wir schaffen es kaum diese Menschen zu halten und einzubinden.
Analog ist der neue, alte Schlüssel zum Erfolg
Um diese Menschen zu begeistern, wird auch die Antje Feiks angeregte Digitalisierung der Partei wenig Abhilfe schaffen. Mehr Mitbestimmung durch Onlineentscheide oder einen besseren Webauftritt kann die Partei sicher gebrauchen. Nur sind die Neuen Medien kein Allheilmittel. Auch bei Sanders, Podemos und Co spielt sich ein Großteil der Politik analog ab – auf Plätzen, Meetings, beim Häuserwahlkampf usw.
Das Problem sind nicht unsere Kernthemen, sondern wie wir sie bearbeiten und thematisieren. Beispiel Freiburg: ein großer Teil der 8,7%, die DIE LINKE im Stadtgebiet gewählt haben, waren Menschen zwischen 18 und 25. Bei einer genaueren Wahlanalyse der Stadt Freiburg gaben 75% der Wähler*innen an, dass das entscheidende Thema für ihre Wahlentscheidung für die LINKE die »soziale Gerechtigkeit« war. Es waren keineswegs postmaterialistische Themen, für die wir laut Antje Feiks keinen Umgang haben.
Bei allem innerparteilichen Streit, wir sind programmatisch gut aufgestellt. Was wir brauchen ist eine Vision und ein realistischer Radikalismus, der den Menschen eine Antwort darauf gibt, welchen Mehrwert diese Partei für sie haben kann. Das ist einer der Punkte die wir von Sanders und Co lernen können: Die meist jungen Leute kommen ganz überwiegend, weil sie – platt gesagt – die Welt und ihre Lebensbedingungen verbessern wollen.
Diese neue politische Generation hat aber nie erlebt, dass Verbesserungen wirklich durchsetzbar sind. Sie haben nur erlebt, dass alles schleichend schlechter wurde und die Herrschenden sich nicht um ihre Belange scheren. Angesichts der allgegenwärtigen Sachzwänge ist es daher richtig auch mal groß von einer Revolution der Gerechtigkeit zu reden. Denn soziale Reformen für die Mehrheit durch parlamentarische Entscheidungen kennt unsere Generation nur noch aus den Geschichtsbüchern. Um progressive Veränderungen durchzusetzen, brauchen wir gewaltigen Druck aus der Gesellschaft. Und die Themen drängen sich unserer Generation mit Altersarmut, Jobunsicherheit und Wohnungsnot geradezu auf.
Es geht uns nicht um ein kritikloses Abfeiern der neuen linken Massenbewegungen. Auch über die Erfolge und Misserfolge der aufgezählten Kämpfe lässt sich streiten. Aber als LINKE müssen wir überlegen, welchen Standpunkt und welche Rolle wir innerhalb dieses gesellschaftlichen Klimas einnehmen. Wir können uns begnügen Zaungast zu sein (und darunter fallen ganz explizit Zaungäste in den Parlamenten), oder wir kommen in eine konstruktive Debatte darüber, wie wir einen sinnvollen Part in diesen Auseinandersetzungen übernehmen.
Antje Feiks hat recht, wenn sie darauf pocht das »Parolen herausbrüllen« niemandem hilft. Neben der fehlenden Strategie in ihrem Beitrag beschwört sie aber eine (selbsterfüllende) Prophezeiung des Stillstandes der Partei und der Gesellschaft. Diesen Stillstand gibt es aber nicht.
Die Zeit der Volksparteien ist vorbei
Antje Feiks benennt als A und O einer Partei die Präsenz vor Ort. An diesem Punkt sind wir uns mit ihr einig. Aber was bedeutet das konkret? Mit den Menschen direkt sprechen, ihnen zuzuhören, ist wichtig. Ihnen im Anschluss aber nur zu versprechen, dass wir uns drum kümmern, reicht nicht. Wir müssen ihnen in diesem Gespräch das Angebot machen, sich selbst zu ermächtigen und gemeinsam mit uns aktiv zu werden.
Die Zeit der reinen Interessenvertretung und des Kümmerns in den Parlamenten ist mit der SPD-Reformpolitik der 70er gestorben. Wir müssen aus diesen historischen Erfahrungen lernen und eine linke Mitmachpartei werden. Parlamente, Bewegung, die Kämpfe zwischen Arbeit und Kapital müssen mit den Themen der neuen sozialen Bewegungen zusammengedacht werden.
Gemeinsam streiten
In Marburg und Freiburg haben wir gute Erfahrungen im Zuge der Streiks bei den Sozial- und Erziehungsdiensten gemacht. In Freiburg etwa hat sich ein Solidaritätsbündnis unter starker Beteiligung der LINKEN zusammengefunden, eine Plattform für Beschäftigte, Gewerkschaftsaktivist*innen, Studierende und solidarische Einzelpersonen. Über Monate hinweg haben wir den Konflikt begleitet, haben träger-übergreifende Solidaritätsaktionen angeleiert, haben in der Öffentlichkeit den Konflikt bekannt gemacht und politisiert und waren als LINKE zuverlässige Partnerin in der Auseinandersetzung, während sich SPD, Grüne und Co. mit Solidaritätsadressen begnügten.
In Marburg waren über Jahre Genoss*innen gegen die Krankenhausprivatisierung aktiv. Während die SPD das Bündnis gegen die Privatisierung gründete, wurde am Ende nur noch DIE LINKE zur Betriebsversammlungen eingeladen. Genauso selbstverständlich waren wir an allen anderen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen beteiligt. Das schafft über Jahre Vertrauen und wir erreichen darüber Menschen, die wir über Medien und Talksshows nicht mehr erreichen können. Das sind kleine Beispiele. Aber durch unsere Aktivitäten haben wir für die Menschen einen Mehrwert bekommen. Dieses Vertrauen drückt sich dann auch in Wahlergebnissen aus.
Der springende Punkt war aber nicht nur das Dabeisein, sondern eine Aktivität als Partei – nicht nur als Einzelmitglieder oder Mandatsträger*innen zu entwickeln. Es geht darum gemeinsam als Partei und mit den Menschen Auseinandersetzungen zu führen.
Es geht uns darum die Partei wieder offensiv als einen Ort des Lebens, der Kultur (über Veranstaltungen, Feste, Filmabende etc.) und der Aktivität erfahrbar zu machen. Das ist für Viele möglicherweise ein befremdlicher Gedanke: Aber ja, die Partei kann ein attraktiver Ort sein und wir glauben sie kann es auch für andere sein. Nur braucht das vielerorts einen Kulturwandel. Das macht viel Arbeit und ist sicher eher ein Konzept für die Städte als den ländlichen Raum.
Diese Partei neuen Typs ist für Manche sicher gewöhnungsbedürftig. Und dieser Wandel braucht Ressourcen und einen langen Atem. Er zahlt sich aber in mehr Aktiven und einer größeren Verankerung aus. Darüber lassen sich langfristig Hochburgen schaffen (oder alte zurück gewinnen).
Bundesweit konfliktfähig werden
Diese langfristige lokale Aufbauarbeit braucht aber gemeinsame bundesweite Fixpunkte und Ziele. DIE LINKE ist schließlich kein bloßer Zusammenschluss von lokalen Basisinitiativen. Daher finden wir den Ansatz für bundesweite Kampagnen richtig. Die Partei muss erstmal bundesweit auf ein Thema zielen und dieses solange bespielen bis wir es durchgesetzt haben. Der Nutzwert der Partei muss erfahrbar und klarer werden. Wir brauchen eine Durchsetzungsperspektive über unwahrscheinliche und wenig erfolgsversprechende Regierungskoalitionen hinaus.
Wir müssen raus aus der Selbstisolation des Wahlvereins und raus aus der kräftezehrenden Selbstüberschätzung. Wir können in unserem derzeitigen Zustand als Linke selber nur schwer Themen setzen. Daher plädieren wir für den Fokus auf eben die Arbeit, die uns stärker macht. Wir brauchen dafür eine langfristig ausgerichtete strategische Organisierung, die an den Orten der Widersprüche ansetzt, an den gesellschaftlichen Orten wo es rumort und sich bewegt.
Das Heilsversprechen des Kapitalismus lässt sich aktuell nur schwer aufrecht erhalten. Wir können jetzt daneben stehen und darüber resignieren das wir diese Aufgaben nicht packen oder eben versuchen der verbreiteten Unzufriedenheit und dem diffusen Antikapitalismus ein Gesicht und eine echte Organisationsperspektive geben.
Das ist angesichts der riesigen Aufgaben, der Abschaffung des Kapitalismus, nur ein kleiner Baustein im großen Puzzle linker Antworten auf die Überwindung dieses ineffizienten und ungerechten Systems. Aber sie ist bitternötig, denn die nächsten Jahrzehnte werden absehbar eine unsichere Zeit. Mehr als sonst brauchen wir für diese Zeit eine starke Linke. Das Potential ist mit der Formierung der LINKEN entstanden. Lasst uns dieses Potential gemeinsam nutzen, in Ost und West, Nord und Süd. Wer, wenn nicht wir, soll es sonst tun?
Daniel Anton war Kreisvorsitzender in Freiburg. DIE LINKE erreichte dort mit 8,7% ihr bestes Ergebnis bei den Landtagswahlen und ist außerdem beim SDS aktiv. Janis Ehling war Kreisvorsitzender in Marburg-Biedenkopf und ist aktuell Bundesgeschäftsführer des SDS. DIE LINKE in Marburg verdoppelte bei der Kommunalwahl im März ihr Ergebnis auf 13,8%.
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