EU geht gegen Diskriminierung von Roma in Ungarn vor

Alltagsrassismus gegen Sinti und Roma auch in Deutschland / Verein kritisiert Antiziganismus

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Brüssel. Die EU-Kommission geht gegen Ungarn vor, weil das Land Roma-Kindern Chancen in der Bildung verbaue und so gegen ein Gesetz zur Rassengleichheit verstoße. Es wurde ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, wie die Kommission am Donnerstag in Brüssel mitteilte. Budapest muss nun innerhalb von zwei Monaten reagieren, dann wird die Lage erneut beurteilt.

Konkret verlangt die EU, dass Ungarn seine nationalen Rechtsvorschriften über Gleichbehandlung und Bildung mit einem EU-Gesetz in Einklang bringt, das die Diskriminierung aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft im Bildungsbereich untersagt. Zudem müsse das in der Praxis auch durchgesetzt werden. Derzeit haben nach Einschätzung der Kommission Roma-Kinder in Ungarn nicht denselben Zugang zu hochwertiger Bildung wie andere Schüler. Die Kommission wies darauf hin, »dass der Anteil der Roma-Kinder an speziellen Schulen für geistig behinderte Kinder unverhältnismäßig hoch ist und dass Roma-Kinder auch in den Regelschulen oft getrennt unterrichtet werden«.

Die EU-Kommission ist mit der Durchsetzung des EU-Rechts beauftragt. Sie strengt deshalb regelmäßig Verfahren in unterschiedlichsten Bereichen gegen verschiedene Mitgliedstaaten an. Das Verfahren gegen Ungarn ist im ersten Stadium. In letzter Instanz kann ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof landen. Auch gegen Deutschland laufen derzeit solche Verfahren.

Die Jugendorganisation Amaro Foro beklagt unterdessen auch in Deutschland eine anhaltende Diskriminierung von Sinti und Roma im Alltag. Antiziganistische Beleidigungen und Angriffe würden über all geschehen, sagt der Vorstandsvorsitzende von Amaro Foro e.V., Merdjan Jakupov.

Ein Drittel aller von der Organisation registrierten Fälle würden sich in Behörden zutragen, ein weiteres Drittel im Alltag. Eine empirische Registrierung von Rassismus gegen Sinti und Roma gebe es bislang nicht, so Jakupov. Seit 2015 sammelte Amaro Foro insgesamt 118 antiziganistische Vorfälle in Berlin. Die Dunkelziffer würde aber weitaus höher geschätzt.

»Eine Sensibilisierung für Rassismus gegen Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund ist in der deutschen Mehrheitsgesellschaft kaum vorhanden«, kritisiert Projektleiterin Diana Botescu. Auch in den Medien seien antiziganistische Klischees omnipräsent. Besonders in den immer wiederkehrenden Debatten über sogenannte Problemhäuser zeige sich »eine erschreckende Unwilligkeit zur Differenzierung und Reflexion und eine erstaunliche Hemmungslosigkeit, auf Stereotype zurückzugreifen«, erklärte Amaro Foro.

Konkret berichteten Vertreter der Jugendorganisation etwa über einen Fall, als in einem Supermarkt die Polizei gerufen, weil eine Frau ihre Einkäufe in der Hand hielt, anstatt sie aufs Band zu legen. Ihr sei von vornherein Betrug unterstellt worden. In einem anderen Fall sei ein junger Mann auf einer Polizeiwache zu Boden geworfen und als »Zigeuner« beschimpft. Dem Vorsitzenden einer bekannten Roma-Organisation sei zudem ein Mietwagen verweigert worden mit der Begründung, dass man nicht wisse, wohin er fahren werde. Seine Angabe, er wolle nach Köln fahren, wurde ihm nicht geglaubt, hieß es. Einer Familie sei im Jobcenter am Empfangsschalter gesagt worden: »Ich will Ihre Unterlagen nicht sehen, ich will mit Zigeunern nichts zu tun haben.«

Unlängst demonstrierten rund 200 Sinti und Roma am Mahnmal für die in der Nazizeit ermordeten Sinti und Roma für eine Verbleib in Deutschland. Wie das Netzwerk »Romani People« dokumentiert, hagelte es in Folge der Berichterstattung auf einigen Nachrichtenportalen rassistische und menschenverachtende Hasskommentare. fbr/Agenturen

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