Entgeltstreit im Transitverkehr

Europäische Gewerkschaften fordern die Zahlung von Schweizer Löhnen auf Güterfahrten durch die Schweiz

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einer symbolischen Besetzung jeweils einer Lok auf den beiden Seiten des Gotthard-Basistunnels protestieren Gewerkschaften gegen Lohndumping im internationalen Güterverkehr.

Gewerkschaften blicken auf die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels mit Sorge. Sie befürchten, der grenzüberschreitende Bahnverkehr könnte von Unternehmern ausgenutzt werden, um die Löhne und Sozialstandards zu drücken. Der neue Tunnel eröffnet für deutsche Bahnunternehmen die Möglichkeit, mit eigenem Personal in die Schweiz oder durch die Schweiz zu transportieren. »Wir fordern deshalb, dass für die Zeit eines grenzüberschreitenden Einsatzes die Löhne des Landes gezahlt werden, in dem der Einsatz erbracht wird - vorausgesetzt, diese sind nicht niedriger als im Herkunftsland«, sagte der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Alexander Kirchner. Konkret: Wenn ein Lokführer der Deutschen Bahn durch die Schweiz fährt, erhält er für diesen Zeitraum auch den in der Schweiz gültigen Lokführerlohn.

Eisenbahngewerkschaften aus Italien, Deutschland, Österreich und der Schweiz protestieren in der Sache gemeinsam. Am vergangenen Freitag besetzten Gewerkschafter der EVG und der Schweizer Bahngewerkschaft SEV symbolisch eine Lok in Muttenz bei Basel. Ihre italienischen und österreichischen KollegInnen taten es ihnen auf der anderen Tunnelseite in Chiasso gleich. Ihre Forderung: »Schweizer Löhne auf Schweizer Schienen - erst recht am Gotthard«. Die in der Europäischen Transportarbeiterföderation (ETF) organisierten Gewerkschaften wollten mit der Aktion darauf hinweisen, dass für ausländisches Personal Löhne und Bedingungen des Landes gelten müssen, in dem die Arbeit geleistet wird.

Wenn dereinst auch der südlich vom Gotthard gelegene Ceneri-Tunnel betrieben werde, kann ein Lokomotivführer ohne Pause und ohne Verletzung von Arbeitszeitvorschriften die Schweiz durchqueren, sagte SEV-Präsident Giorgio Tuti. Vizevorsitzende Barbara Spalinger betonte: »Wir haben im Binnenverkehr mit den Gesamtarbeitsverträgen eine gute Absicherung des fahrenden Personals, und das Urteil im Fall Crossrail sichert uns dies auch im grenzüberschreitenden Verkehr zu.« Im Crossrail-Fall hatte das Schweizer Bundesverwaltungsgericht Ende 2015 entschieden, dass ausländische, in der Schweiz ansässige Unternehmen auch die in der Schweiz geltenden Löhne zahlen müssen. Das müsse auch für den Transitverkehr erreicht werden, so Spalinger. Aber wie?

Ein EVG-Sprecher erklärte die zwei möglichen Varianten gegenüber »nd«: Die Gewerkschaften schließen in den vier Ländern jeweils Tarifverträge ab, in denen sie mit ihren Unternehmen regeln, dass auf Transitfahrten Schweizer Löhne gezahlt werden. »Es wäre wünschenswert, dass wir das selber hinbekommen, denn wir sehen es nicht so gerne, dass der Gesetzgeber über unsere Löhne entscheidet«, so der Gewerkschafter. Denn das wäre die zweite Alternative. »Idealerweise gibt es Tarifverträge, realistischer ist aber, dass der Schweizer Gesetzgeber das regelt und die Europäische Union es anerkennt«, sagt ein SEV-Sprecher gegenüber »nd« und verwies auf das aus Gewerkschaftssicht erfolreiche Crossrail-Urteil vom Dezember.

Ein interessanter Aspekt dieser Geschichte: Wenn wieder einmal jemand das Lamento anstimmt, man müsse doch verstehen, dass die internationale Konkurrenz dafür verantwortlich sei, dass auch hoher Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen herrsche, sei auf die Schweiz verwiesen. Was die einen vielleicht als Protektionismus verschreien, sichert für die anderen die Arbeitsbedingungen, die dann noch international gelten könnten.

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