Was geht, wenn nichts mehr geht?

Kollegen und Patienten leiden unter dem Personalmangel in Kliniken

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 4 Min.
Goly A. und Charlotte Matheis arbeiten als Krankenschwestern im Saarland und engagieren sich, damit die Krankenhäuser mehr Personal bekommen. Kann ein »Pflegepakt« Veränderung bringen?

Das saarländische Sozialministerium hatte am 31. Mai einen »Pflegepakt« angekündigt, der Personalnot lindern soll. Weil in dem Bundesland 3000 Fachkräfte an Kliniken fehlen, bereitet die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di einen Arbeitskampf für personelle Mindeststandards vor. Ministerin Monika Bachmann (CDU), die mit dem »Pflegepakt« nun ein Problem aufrollt, dessen Existenz sie lange bestritten hat, griff die ver.di-Pläne an: »Wir wünschen uns, dass die Gewerkschaft im Pflegepakt mitarbeitet. Das bringt mehr als auf Kosten der zu Pflegenden zu Arbeitsniederlegungen, Massenkündigungen und Schließung von ganzen Krankenstationen aufzurufen.«

Doch die Patienten leiden - so sehen es viele Beschäftigte - unter dem Normalzustand, ebenso wie die Pflegenden selbst. »Wir springen ein, wenn zusätzliche Arbeit anfällt, das wurde über Jahre ausgenutzt«, sagt die Krankenschwester Goly A. Zum Beispiel so: An dem kommunalen Krankenhaus St. Ingberts, in dem Goly A. arbeitet, gab es früher eine Person, die morgens die Patientenscheine in die Funktionsbereiche, also EEG und EKG beispielsweise, brachte und dort verteilte. Diese Person ging in Rente, ersatzlos. Jetzt macht das Pflegepersonal das zusätzlich. Es koste sie zwar nur zehn Minuten, aber selbst die sind oft schwer zu entbehren. Weil zu wenig Fachkräfte auf Station sind, weil Patienten älter und die Pflegeanforderungen komplexer werden und weil die doppelte Arbeit anfällt, wenn eine Kollegin krank wird. Und das passiert oft, denn die Bedingungen sind »nicht lange auszuhalten, nicht psychisch, nicht physisch«.

Auch Goly A. wurde krank. Dabei sei sie robust und »kein Mensch, der bei jeder Gelegenheit zusammenbricht.« Im Krankenrückkehrgespräch nach ihrer Reha wollte sie ansprechen, was für sie offensichtlich ist, nämlich, dass die Arbeitsbedingungen krank machen. Doch versuchte man, sie als schwach hinzustellen. So nach dem Motto: »Wenn sie das hier nicht packen, sollten Sie vielleicht besser das Haus wechseln.« Das brachte das Fass zum Überlaufen.

Heute ist Goly A. Teil einer noch jungen Bewegung für mehr Personal an den Saarländischen Krankenhäusern. Als ver.di-Tarifberaterin hält sie die Verbindung zwischen der Gewerkschaft und den KollegInnen in ihrem Krankenhaus. Und sie gewinnt MitstreiterInnen, damit ver.di im Herbst in einen Streik für mehr Personal ziehen kann.

Mit der Kampagne reagiert ver.di auf jahrelange Klagen aus der eigenen Basis. Charlotte Matheis, 60 Jahre, Krankenschwester seit 1976 am Uniklinikum Homburg, kann davon ein Lied singen. An sie als Mitglied der bundesweiten Tarifkommission hätten sich immer wieder KollegInnen gewandt. Der Tenor: »Hört uns auf mit euren paar Prozent Lohnerhöhung. Unser Problem sind die Arbeitsbedingungen.« Sie hätten dann überlegt, was gemacht werden könne, »und dann war die Charité.«

Die Auseinandersetzung an der Berliner Uniklinik Charité wurde im Saarland intensiv verfolgt. Dabei verfügt man dort durchaus über eigene Erfahrungen. Charlotte Matheis war auch dabei, als an ihrer Klinik im Jahr 2006 drei Monate lang gegen den Rauswurf aus dem Tarifvertrag der Länder gestreikt wurde. Damals waren die KollegInnen mit einer medialen Hexenjagd konfrontiert. Man lasse Menschen sterben, schrieb die »Bild«. Der Streik war zwar erfolgreich, doch das Lehrgeld hoch. So jedenfalls sieht es Matheis: »Ein Streik im Krankenhaus ist etwas ganz anderes als ein Streik am Fließband.«

Auch deshalb wurde der Fall Charité so begierig studiert. Dort wurde mit Bettenschließungen gearbeitet. Der Clou: Eine Notdienstvereinbarung legt fest, dass ver.di rechtzeitig ankündigt, welche Betten bestreikt werden, die Geschäftsleitung verpflichtet sich im Gegenzug, diese nicht neu zu belegen und Stationen zusammenzulegen.

Doch die Klinikbetreiber haben offenbar verstanden, dass diese Streikform die Beschäftigten stärkt und lehnten die Notdienstvereinbarung im April bei Warnstreiks ab. Im Saarland kommt ein zweites Problem hinzu: Viele Beschäftigte an den kirchlichen Häusern ziehen noch nicht mit. Matheis kennt die Ängste. »Gott kann man nicht bestreiken, heißt es immer wieder. Das schafft Unsicherheit.«

Damit ist die alte Frage erneut auf dem Tisch: Wie kann das gehen? Wie kann mehr Personal erkämpft werden? Bleiben die Klinikbetreiber bei der Notdienstvereinbarung hart, ist der für Herbst geplante Streik gefährdet. So kam es zu der Idee mit den Massenkündigungen. Ministerin Bachmann sprach empört von einem »schlechten Scherz«.

Goly A. sieht das anders: »Unter diesen Arbeitsbedingungen gehen ohnehin viele früher oder später. Dann könnten wir das eigentlich auch als Kampftaktik einsetzen, wenn es mit dem Streiken nicht klappt.« Wie es klappen kann mit dem Streik, das treibt auch Charlotte Matheis um. »Jetzt müssen wir ganz viel kommunizieren und dann sehen wir weiter«, sagt sie. Der Optimismus ist da, die Fragezeichen aber auch.

Klar ist, dass sich ein Zug in Bewegung gesetzt hat. Ob die Versprechen der Sozialministerin diesen noch aufhalten werden, ist hingegen fraglich. Man freue sich, dass auch die Landesregierung das Problem endlich erkenne, kommentierte ver.di den »Pflegepakt«. »Aber unabhängig davon werden wir unser Vorhaben, auch tariflich Entlastung zu erreichen, weiter betreiben.« Ein verbindlicher Personalschlüssel nämlich, wie ver.di ihn fordert, ist nicht geplant.

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