Armenien-Resolution

INTERNATIONALE PRESSE

  • Lesedauer: 3 Min.

T24, Türkei

Ignoranz und Nationalismus

Die ganze Welt hat die Ereignisse von 1915 als Genozid anerkannt. Das ist nicht zu leugnen. Doch selbst wenn man es nicht Völkermord nennt, so könnte man mit Rücksicht auf die Überlebenden zumindest sein Beileid bekunden. Beim türkischen Premier Binali Yildirim sind solche Gefühle nicht zu finden. Er wagt es, 1915 als gewöhnliches Ereignis zu bezeichnen. Ist soviel Emotionslosigkeit ein Produkt der Ignoranz? Oder eine bewusste Haltung, um nationalistische Stimmen zu ergattern? Es ist mir egal. Aber einst war die AKP-Führung anders. Doch seitdem ist viel Zeit vergangen. Ist das überraschend? Nein. Denn in diesen Tagen entsteht ein islamistisch-nationalistisches Bündnis.

El País, Spanien

Doppelte Standards

Die Anerkennung des Völkermordes ist ein Akt der Gerechtigkeit, auch wenn es mit mehr als einem Jahrhundert Verspätung geschieht. Es fällt aber auf, dass man es mit den Menschenrechten nicht so genau nimmt, wenn es darum geht, mit Ankara ein für die Türkei sehr vorteilhaftes Abkommen zur Visafreiheit zu unterzeichnen, damit das von Erdogan angeführte Land eine Schlüsselrolle bei der Lösung der Flüchtlingskrise einnimmt. In den vergangenen Monaten hat Erdogan seine Angriffe auf die Pressefreiheit, gegen die kurdische Minderheit und gegen die Opposition intensiviert. Und er lässt nicht die geringste Kritik zu, weder innerhalb noch außerhalb seines Landes.

Rossijskaja Gaseta, Russland

Merkels Fernbleiben

Aus Sicht der Bundesregierung war der Zeitpunkt für die Resolution unglücklich gewählt. Berlin fürchtet einen Bruch der Vereinbarungen mit der Türkei in der Flüchtlingspolitik. Um eine Verschlechterung der Beziehungen zu Ankara zu vermeiden, hatte Merkel bereits im Frühjahr einen beispiellosen Schritt gemacht: Sie hatte Ermittlungen gegen den deutschen Satiriker Jan Böhmermann zugestimmt, der den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in einer humoristischen TV-Sendung beleidigt hatte. Dieser Schritt hatte Merkels Beliebtheit klar geschadet. Die Abstimmung hätte den Ruf der Kanzlerin wieder aufpolieren können. Doch Merkel erschien nicht im Parlament. Sie hatte Wichtigeres zu tun.

Neue Zürcher Zeitung, Schweiz

Gut zu Gesicht

Man kann darüber streiten, welche Motive die deutschen Parlamentarier hegten, dass sie die längst überfällige Völkermord-Resolution erst jetzt verabschiedeten, nachdem sie 2015 darauf verzichtet hatten. Der Wunsch, Präsident Erdogan eins auszuwischen oder auch der Bundesregierung, die seit langem unter Verdacht steht, vor dem türkischen Machthaber zu kuschen, spielte sicher eine Rolle. Dennoch steht es dem Bundestag gut zu Gesicht. Genauso wichtig war es, sich zur deutschen Mitschuld zu bekennen. Sich nur weiter zurückzuhalten, wäre letztlich nichts anderes als feige gewesen - und hätte den Vorwurf der Erpressbarkeit erst recht verstärkt.

La Repubblica, Italien

Die deutsche Schuld

Ein Schweigen des Bundestages zum Genozid an den Armeniern hätte wie eine historische Komplizenschaft der Deutschen mit den Türken erscheinen können. Die Geschichte verfolgt uns, und manchmal tauchen ihre Dämonen wieder auf. Während elf europäische Parlamente den Völkermord bereits anerkannt hatten, hatte jenes in Berlin geschwiegen. Fast so, als wäre es mit einer Schweigepflicht gegenüber dem alten und neuen Alliierten Türkei belegt. Aber der Verdacht hat sich nicht bestätigt. Die deutschen Abgeordneten wissen, wie wichtig es ist, die eigene Schuld anzuerkennen.

Pravda, Slowakei

Weg zur Versöhnung

Jetzt sind die Deutschen zu den mehr als zwei Dutzend Ländern hinzugekommen, die sich trauen, das Geschehene beim Namen zu nennen. Wenn Erdogan behauptet, es sei »unsinnig, dass auf der Türkei der Schatten eines sogenannten Genozids liege«, dann sollte er diese belastende Frage nicht mehr unter den Teppich kehren, sondern aufzuarbeiten versuchen. Einen anderen Weg zur wirklichen Versöhnung gibt es nicht.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.