Deutsche Beschäftigte streiken mehr
Streikjahr 2015 hebt Deutschland ins OECD-Mittelfeld
Köln. Deutschlands Arbeitnehmer sind in den vergangenen Jahren streikfreudiger geworden. Seine Spitzenposition als »Hort des sozialen Friedens« habe das Land verloren, heißt es in einer Langzeituntersuchung des »IW-Gewerkschaftsspiegels«, die der dpa vorliegt. 2015 hatten mehrere lange Streiks im Öffentlichen Dienst sowie bei Lokführern und Piloten die Ausfallzeiten in die Höhe getrieben.
Mit sieben durch Streiks ausgefallenen Arbeitstagen auf 1000 Arbeitnehmer pro Jahr liege Deutschland im OECD-Vergleich im gehobenen Mittelfeld. In Japan, Österreich, Polen, Schweden, der Schweiz und Ungarn ging es demnach im untersuchten Zeitraum von 2006 bis 2015 friedlicher zu.
Am meisten wird in Dänemark und Frankreich gestreikt, wie das arbeitgebernahe Institut der Wirtschaft Köln (IW) berichtet. In Dänemark fielen im Jahresdurchschnitt 120 Arbeitstage je 1000 Arbeitnehmer aus, in Frankreich waren es 117. Im westlichen Nachbarland sind anders als in Deutschland politische Streiks, mit denen staatliche Organe zu bestimmten Maßnahmen gezwungen werden sollen, erlaubt. Deshalb kommen schnell hohe Teilnehmerzahlen zusammen. Generell seien politisch motivierte Generalstreiks aber seltener geworden, schreiben die Studienautoren Hannah Busshoff und Hagen Lesch.
Am friedlichsten ging es in Japan, Österreich und der Schweiz zu. In Japan ging je 1000 Arbeitnehmer gerechnet gar kein Arbeitstag verloren, in der Schweiz war es lediglich ein Tag und in Österreich waren es zwei Tage. Mit vier bis fünf Ausfalltagen streiken auch Polen, Schweden und Ungarn weniger als die Bundesbürger. Deutschland liegt zusammen mit den USA und den Niederlanden im oberen Mittelfeld.
Die vielen Streiks im vergangenen Jahr hoben dabei den Durchschnittswert kräftig an. Nach Schätzungen des gewerkschaftlichen WSI-Tarifarchivs fielen 2015 über zwei Millionen Arbeitstage streikbedingt aus. An den Ausständen beteiligten sich rund 1,1 Millionen Menschen. So gingen 900 000 Arbeiter der Metall- und Elektroindustrie stundenweise in den Streik. Im Februar gab es einen neuen Tarifabschluss.
Auch beim Paketdienst der Deutschen Post wurde fleißig gestreikt: Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di erreichte einen Bestandsschutz für Paketfahrer. Neu angestellte Kollegen müssen aber bei neu gegründeten Billigtöchtern der Post zu geringeren Gehältern anfangen.
Die Erzieher im Öffentlichen Dienst hielten 2015 ebenfalls wochenlang durch - mit Erfolg. Laut ver.di erzielten sie mit einem Tarifplus von 3,7 Prozent ein überdurchschnittliches Ergebnis.
Viel gestreikt wurde auch bei Verkehrsanbietern: Das Zugpersonal der Deutschen Bahn AG setzte den Konzern unter Druck. Nach mehreren Streikwellen musste die Bahn die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer als zweite Gewerkschaft neben der EVG akzeptieren. Die Piloten der Lufthansa setzten ihre 2014 begonnenen Streiks fort, bis das Landesarbeitsgericht Hessen sie im September stoppte. Seitdem wird wieder verhandelt. Im November 2015 traten die Flugbegleiter in den mit sieben Tagen bislang längsten Streik in der Geschichte der Lufthansa. Der Konflikt ist noch nicht gelöst. dpa/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.