Tortenwurf: Pyrrhussiege der judäischen Volksfront
Eine notwendige Polemik gegen linke Verrohung, die die Debattenkultur vergiftet und der AfD in die Hände spielt. Ein Debattenbeitrag von Alban Werner
Aus den Forschungen über die ›Deutschen Zustände‹ und die ›gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‹ kennt man den Begriff der ›rohen Bürgerlichkeit‹. Gemeint ist eine abwertende Ablehnung anderer Gruppen, die zugleich den eigenen sozialen Status absichern soll. In den vergangenen Jahren mehren sich nach meiner Beobachtung die Zeichen dafür, dass es eine verwandte Praxis auch im progressiven politischen Spektrum gibt: Eine ›linke Verrohung‹. Dabei geht es weniger um den Schutz materieller Besitzstände, als um die erbitterte Verteidigung der eigenen Deutungshoheit. Man beansprucht für die eigene Position ganz selbstverständlich politisch-moralische Überlegenheit, die ohne Rücksicht auf Verluste gegen politisch Nahestehende und GegnerInnen gleichermaßen geltend gemacht wird. Angetrieben wird diese ›der Zweck heiligt die Mittel‹-Einstellung von einer Verhärtung von Feindbildern.
Massiv verstärkt durch die Echokammern sozialer Netzwerke steigern sich auch linke Gruppen in totale Selbstvergewisserung hinein. Im Weltbild der linken Verrohung gibt es keine Grauzonen, keine uneindeutigen Sachlagen, sondern nur Schwarz-Weiß. Ältere ZeitgenossInnen fühlen sich wahrscheinlich an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert. Damals lautete die ›Gretchenfrage‹ schlechthin: »Wie hältst Du’s mit der Sowjetunion?«. Heute gibt es nicht mehr nur die eine Gretchenfrage, bei der keine Abwägungen oder nüchterne Gewichtungen angesetzt werden. Stattdessen werden politisch Identitäten aufgebaut und radikalisiert anhand der Ukraine-Krise, der Eurokrise und der sog. Flüchtlingskrise. Die Debattenkultur unter den gegnerischen Gruppen in diesen Fragen bereitet Außenstehenden wenig Lust darauf mit einzusteigen. Krisen vereinen kein progressives Lager, sondern schaffen zwei, drei, viele Linke, die dem Gegenüber umso weniger zu sagen haben, je mehr sie sich permanent untereinander ihrer Position versichern.
Zwei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen auf, warum und wie sich die politische Linke in eine Sackgasse manövriert, wenn sie der Verrohung erliegt. Das erste Beispiel ist der Tortenangriff auf Sahra Wagenknecht beim Magdeburger Parteitag der LINKEN Ende Mai. Das Weltbild der ›Antifaschistischen Initiative »Torten für Menschenfeinde«‹ ist so einfach, dass man es schon fast beneiden kann.
Denn die InitiatorInnen beanspruchten, nicht nur zu wissen, dass Sahra Wagenknecht »die derzeitige Galionsfigur« sei, »bei der sich alles verdichtet, was die Linkspartei für uns unerträglich macht. Mit der Forderung selbst noch mit Pegida zu reden, trifft Wagenknecht den Common Sense ihrer Parteibasis«. Es wäre doch spannend zu wissen, woher genau die Tortenwerfer meinen, den ›Common Sense‹ der Partei so genau zu kennen. Vor allem aber hielten sie ihre Kritik an Sahra Wagenknechts Positionen für so über jeden Zweifel erhaben, dass gar nicht mehr der Versuch gemacht werden musste, auf anderem Wege der eigenen Kritik Gehör zu verschaffen. Nein, der direkte Griff zur Torte rechtfertigte sich von selbst in einem Weltbild, das keine (Selbst)Zweifel zu kennen scheint.
Die Torten-Aktion steht beispielhaft für eine Haltung innerhalb verrohter linker Kreise, die im harmloseren Fall wichtige linke Traditionen opfern; sie erzielt dafür nur Scheinsiege, erweist sich aber beim näheren Hinsehen als politikunfähig und erreicht am Ende eher das Gegenteil dessen, was ihr erklärtes Ziel ist. So kann der Torten-Angriff gegen Wagenknecht nicht für sich beanspruchen, ein Akt zivilen Ungehorsams zu sein. Weder waren alle anderen Möglichkeit ausgeschöpft worden, die Äußerungen Wagenknechts die sog. Flüchtlingskrise betreffend zu kritisieren, noch war die Aktion gewaltfrei, vor allem aber richtete sie sich nicht gegen die Verantwortlichen für die Geflüchtetenpolitik, die als schwerwiegende Ungerechtigkeit angesehen wird.
Warum nicht Seehofer oder Gabriel?
Die Fragwürdigkeit einer ›Tortung‹ mal hingestellt, müssen sich die UrheberInnen die Frage gefallen lassen, warum sie ausgerechnet gegen Wagenknecht in Aktion getreten sind, statt gegen Horst Seehofer, Winfried Kretschmann oder Sigmar Gabriel, die tatsächlich für Asylrechtsverschärfungen die Hand gehoben haben? Im Grunde ist es tragisch, wenn sich AntirassistInnen auf einen inner-linken Kannibalismus einlassen, wie man ihn am besten vom Kampf der Volksfront von Judäa gegen die Judäische Volksfront kennt, wie ihn Monty Python in ›Das Leben des Brian‹ unsterblich verewigt haben. Ausgerechnet heute, wo es dank Facebook, Twitter, youtube u.a. so einfach wie nie zuvor ist, Aufmerksamkeit auch für Anliegen außerhalb des Mainstreams zu erlangen, meinen Linke, ihre Auseinandersetzungen vor allem im eigenen Saft austragen zu müssen.
Um Missverständnissen vorzubeugen betone ich, dass auch ich viele, allerdings nicht alle Äußerungen Wagenknechts des letzten Jahres falsch fand. Problematisch war es auch, dass sich führende Mitglieder der LINKEN selbst mit einem Kritikverbot Wagenknecht gegenüber belegt hatten. Tatsächlich werden in der Partei zunehmend sämtliche Auseinandersetzungen in erster Linie durch die Brille strömungspolitischer Schützengräben bewertet. Der flügelpolitische ›Burgfrieden‹ zwischen den sog. ReformerInnen und den sog. AntikapitalistInnen in der Bundestagsfraktion greift weit auf die Partei über und führt unterm Strich dazu, dass Debatten auch dort nicht ausgetragen werden, wo es offenkundig notwendig wäre. Eine LINKE aber, die nicht zugleich hart in der Sache, aber sachlich im Ton streiten kann, wird tatsächlich ›saft- und kraftlos‹, wie Gregor Gysi (leider mal wieder nur von der Seitenlinie) der Partei ins Stammbuch geschrieben hat.
Allerdings hat der Tortenwurf keinesfalls dazu beigetragen, das Schweigegelübde aufzubrechen, das von der innerparteilichen Verteilungskoalition getragen wird. Ganz im Gegenteil musste jede KritikerIn an Wagenknechts Äußerungen nach dieser Aktion befürchten, in deren Nähe gerückt zu werden. Erschütternd ist aus meiner Sicht, wie viele Leute aus dem linken und linksliberalen Spektrum auf die ›Tortung‹ Wagenknechts mit gar nicht klammheimlicher, sondern offener Freude reagiert haben. Bei genauerer Betrachtung ist diese Aktion aber schlicht pubertär, weil sie nur einem ohnehin schon überzeugten Publikum kurzfristige, schadenfrohe Genugtuung verschaffte, ohne allerdings auch nur minimal an den tatsächlichen Problemen etwas zu ändern.
Bevormundung der Öffentlichkeit
Die zweite Aktion, die stellvertretend das Elend der verrohten Linken aufzeigt, fand eine Woche nach dem Bundesparteitag der LINKEN statt. Beim Kölner Kulturfest ›Birlikte‹ (türkisch: Zusammenstehen) besetzten ca. 150 Leute aus dem antifaschistischen Spektrum eine Bühne und verhinderten damit, dass eine Debatte zwischen dem ehemaligen AfD-Führungsmitglied Konrad Adam und der Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan stattfinden konnte. Bereits im Vorfeld hatte es Kritik an der Entscheidung gegeben, Adam einzuladen. In Reaktion darauf antworteten die VeranstalterInnen, Birlikte erweitere »programmatisch seinen Focus unter Beibehaltung seiner antirassistischen Grundhaltung auf die grundsätzlichen Fragen des Zusammenlebens. Wir sind der festen Überzeugung, dass es wichtig ist und möglich sein muss, aus dieser Grundhaltung heraus auch mit denen über die Frage zu streiten, in welcher Gesellschaft wir leben wollen und was es zu verteidigen gilt, die sich gegen eine offene und vielfältige Gesellschaft positionieren. Nur wenn wir das tun, ist Birlikte mehr als eine bloße Selbstvergewisserung. Birlikte steht uneingeschränkt für die im Grundgesetz garantierte Meinungs- und Diskussionsfreiheit.«
Selbstverständlich konnte man die Einladung der Birlikte-OrganisatorInnen an Konrad Adam falsch finden. Aber es besteht ein erheblicher Unterschied zwischen einer Kritik an dieser Entscheidung und dem Entschluss, sich das Recht herauszunehmen, die Veranstaltung ganz zu verhindern. Es handelt sich bei dieser Aktion seitens der AntifaschistInnen um einen glasklaren Fall von Bevormundung der Öffentlichkeit. Die Blockierenden nahmen sich heraus, anstelle der VeranstalterInnen und der potentiell Veranstaltungsteilnehmenden zu entscheiden, welches Meinungsspektrum überhaupt zur Debatte zugelassen werden darf. Aber Bevormundung ist das genaue Gegenteil von Emanzipation.
Emanzipieren sollte man sich folgerichtig von dieser Art paternalistischer Antifa. Denn in ihrer krassen und bisweilen arroganten moralischen Selbsterhöhung scheinen diese Gruppen nicht zu sehen, dass sie selbst genau diejenige Liberalität und Offenheit der Gesellschaft beschädigen, die zu gefährden sie der AfD vorwerfen. Richtig bemerken die Birlikte-VeranstalterInnen in ihrer Stellungnahme: »Die Einladung von Herrn Adam zu einem Streitgespräch mit der renommierten Integrationswissenschaftlerin Naika Foroutan ist kritikwürdig und strittig, je nach Perspektive möglicherweise falsch, oder aber gerade richtig. Sie steht im Zentrum einer Strategiedebatte, die schon lange geführt wird: Wie bekämpft man Rechtsaußen am effektivsten?
Dabei gibt es hauptsächlich zwei Denkrichtungen: Stigmatisieren und ignorieren einerseits oder offene Auseinandersetzung mit deren politischen Inhalten und die direkte Konfrontation in der Diskussion andererseits.« Die blockierenden Kölner AntifaschistInnen jedoch nahmen sich das Recht heraus, für Andere zu entscheiden, welche Vorgehensweise zulässig ist, um die AfD zu bekämpfen. Sie taten das ausgerechnet in einer Situation, in der die AfD mit Alexander Gaulands Bemerkungen zu Jérôme Boateng so kurz vor der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich sich das größtmögliche Eigentor geschossen hatte. Bei einer Fragerunde im Kölner Saal hätte Konrad Adam sich einem wahren Fegefeuer kritischer Nachfragen stellen müssen. Zuvor hätte ihn seine mehr als kompetente Diskussionspartnerin bereits ins Schwitzen gebracht, schließlich hatte sich Naika Foroutan schon mit Thilo Sarrazin angelegt.
Natürlich sind und bleiben Störungsaktionen wichtiger Teil eines linken Aktionsrepertoires. Aber sie sollten sachgerecht sein und nicht in erster Linie der eigenen Selbstvergewisserung dienen, sie sollten demokratische Debatte ermöglichen, und nicht verhindern. Dass es auch so gehen kann, zeigt die LINKE-Vorläuferin Linkspartei.PDS bei einem Aufstellungsparteitag 2005. Damals kandidierte Oskar Lafontaine auf dem Spitzenplatz der NRW-Linken. Um gegen seine kurz zuvor gehaltene, berüchtigte ›Fremdarbeiter‹-Rede zu protestieren, stürmten Mitglieder der Linksjugend das Podium mit dem Transparent ›Links ist, wo keiner fremd ist‹. Ein Parteimitglied konfrontierte am Saalmikro den kandidierenden Lafontaine mit seiner Rolle beim 1993er ›Asylkompromiss‹.
Verbissene Rechthaberei
Mit ergebnisoffener Debatte jedoch hat eine verrohte Linke wenig am Hut, weil ihre verbissene Rechthaberei wenig damit anfangen kann, sich mit einem womöglich unbequemen Argument der Gegenseite auseinanderzusetzen. Unterm Strich kann sie deswegen auch keine Hegemoniepolitik betreiben, sondern muss im Sektierertum enden. Der US-amerikanische Autor Jonathan Chait wandte sich aus ähnlichen Gründen gegen das grassierende Comeback von ›Political Correctness‹ an vielen Universitäten in den Vereinigten Staaten. Dort versuchen Studierende mit maßloser, moralisch aufgeladener Entrüstung, Einschüchterungen, Reizwort- und Auftrittsverboten angeblich ›sichere Räume‹ durchzusetzen.
Chaits Vorwurf an die PC-Kultur trifft auch auf die verrohte Linke in Deutschland zu: Dieser Politikstil ist ermüdend. Er kann zwar Empörung in bestimmten sozialen Kreisen lauter befeuern, bewirkt aber zugleich, dass sich die Linke insgesamt von der weniger politisierten Bevölkerung entfremdet. So gewinnt man niemals Mehrheiten. Daher führen die ExponentInnen linker Verrohung im Ergebnis gerade keinen wirkungsvollen Kampf gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck und die AfD, sondern spielen genau ihr Spiel mit, indem sie laufend das Bild einer wildgewordenen ›Politischen Korrektheit‹ bestätigen. Das Deutschland, in dem sich der schmaler gewordene Meinungskorridor durchsetzt, den die verrohte Linke für zulässig hält, wäre nicht weniger spießig, konformistisch und langweilig als die Biedermann-Republik, die sich die Nationalkonservativen aus der AfD wünschen. Wie Jonathan Chait den radikalisierten PC-VertreterInnen, gilt es hier der verrohten Linken entgegenhalten: In einer Demokratie sollte man versuchen, Leute von der eigenen Position zu überzeugen, anstatt ihnen Angst zu machen, eine andere Meinung zu vertreten.
Alban Werner ist Politikwissenschaftler und Mitglied der Linkspartei. Er lebt in Aachen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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