Mörder von Jo Cox hatte Nazikontakte
Labour-Politikerin wurde schon vor Monaten bedroht / Brexit-Debatte hat die Stimmung aufgeheizt
Einen Tag nach der Ermordung der Parlamentsabgeordneten Jo Cox trauert Großbritannien und sucht nach den Gründen für die Bluttat. Die 41-jährige Politikerin der Labourpartei wurde am Donnerstag in ihrem Wahlkreis in der Grafschaft Yorkshire mit mehreren Pistolenschüssen und Messerstichen niedergestreckt und starb kurz darauf im Spital. Politiker aller Parteien bekundeten ihren Respekt für Cox, die als eine engagierte und lebhafte Abgeordnete galt.
Die Kampagnen für und gegen den Verbleib des Landes in der EU wurden vorerst suspendiert. Premierminister David Cameron und Labourchef Jeremy Corbyn traten gemeinsam im Wahlkreis des Opfers auf. Die Konservative Partei hat angekündigt, aus Respekt keinen Kandidaten für die Nachfolge Cox’ aufzustellen.
Der Mann ist offenbar mit großer Brutalität vorgegangen: Er habe der bereits zu Boden gegangenen Politikerin ins Gesicht geschossen, sagte ein Augenzeuge der BBC. Dabei habe der Täter »Britain First« (Großbritannien zuerst) und »Vorrang für das Vereinigte Königreich« gerufen. »Er hat es zwei oder drei Mal gerufen«, sagte der Café-Besitzer Clarke Rothwell. »Er rief es, bevor er auf sie schoss und nachdem er auf sie geschossen hatte.«
»Britain first« ist zum einen der Slogan der Befürworter des EU-Austritts, zum anderen eine rechtsextreme Partei im Vereinigten Königreich, die stark islamophob ist und nach eigenen Angaben die »britische und christliche Werte« verteidigt. Unmittelbar nach dem Attentat äußerte sich die Partei »Britain first«. Es sei nicht erwiesen, dass der Angreifer den Slogan »Britain first« gerufen habe, so Paul Golding, Vorsitzender der Partei. Er kritisierte die Medien für die - nach seinen Worten - unsachgemäße und unwahre Berichterstattung.
Der Bruder des Festgenommenen berichtete gegenüber der Zeitung »Daily Telegraph« derweil von einer langen Vorgeschichte psychischer Probleme des Mannes. »Es fällt mit schwer zu glauben, was passiert ist«, sagte Scott Mair der Zeitung. »Mein Bruder ist nicht gewalttätig, und er ist nicht besonders politisch.« Der Bruder sei psychisch krank, sei aber in Behandlung gewesen, sagte Mair.
Über die möglichen Motive des mutmaßlichen Täters, des 52-jährigen Thomas Mair, hat die Polizei bislang noch keine Angaben gemacht. Bekannte bezeichneten ihn als einen fürsorglichen und stillen Einzelgänger, der angeblich psychische Probleme gehabt habe. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass er in der Vergangenheit Beziehungen zu rechtsextremen Gruppen gepflegt hat: Eine US-amerikanische Bürgerrechtsgruppe hat Unterlagen veröffentlicht, die belegen, dass Mair Ende der 90er-Jahre Material einer Neonazi-Gruppe gekauft hat.
Cox war bekannt für ihr Engagement für syrische Flüchtlinge und hatte die britische Regierung wiederholt dazu aufgerufen, mehr zu tun, um die humanitäre Situation im Kriegsgebiet zu verbessern. Sie soll bereits vor Monaten gegen sie gerichtete Drohungen gemeldet haben. Nachdem sich die Politikerin über »bösartige Mitteilungen« beschwert hatte, sei im März ein Mann festgenommen und verwarnt worden, teilte die britische Polizei mit.
Ob ihre Ermordung etwas mit der EU-Debatte zu tun hat - Cox war eine starke Verfechterin eines Verbleibs in der EU -, ist nicht klar. Aber mehrere Kommentatoren und Politiker haben kritisiert, dass die aufgepeitschte Stimmung eine solche hasserfüllte Tat wahrscheinlicher gemacht habe. Die Emotionen und die Wut, die im Verlauf der Kampagne immer stärker zum Vorschein gekommen sind, hätten die Debatte vergiftet. Yvette Cooper, Labour-Abgeordnete und ehemalige Arbeitsministerin, sagte etwa, dass Leidenschaft und Meinungsverschiedenheiten wichtig seien, aber dass es derzeit mehr »Gehässigkeit in der öffentlichen Debatte« gebe. Sogar Angela Merkel hatte die Briten gemahnt, ihre Rhetorik während des Abstimmungskampfs zu mäßigen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.