Bausteine für Gerechtigkeit
Flügel der Grünen suchen nach Kompromissen in der Steuerpolitik
Auf einem Plakat sind viele lächelnde Gesichter zu sehen: Männer, Frauen, Alte, Junge, Kinder, Migranten, Behinderte. Es sei »genug für alle da«, wird hier versprochen. Das Motiv stammt von den Grünen, die das Plakat auf der Bühne ihres »Gerechtigkeitskongresses« in Berlin aufgehängt haben. Hier diskutiert die Partei zwei Tage lang über Finanz- und Sozialpolitik.
Bislang sind sich die Grünen nicht einig, wie ihre Gerechtigkeitspolitik überhaupt aussehen soll. In seiner Eröffnungsrede sagt Cem Özdemir schmunzelnd, dass »viele in der Partei ein fast schon erotisches Verhältnis zu Steuerdebatten« hätten. »Ich habe es nicht«, stellt der Grünen-Chef klar. Für den Wahlkampf im nächsten Jahr sieht er vielmehr ökologische Themen im Mittelpunkt. Seine Äußerungen können als Seitenhieb auf die Ko-Vorsitzende Simone Peter verstanden werden, die zurzeit eine Kommission der Grünen zur Steuerpolitik leitet. Obwohl dieses Gremium erst kurz vor der Sommerpause ein Konzept vorlegen will, hatten sich Peter und Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter schon vor einigen Wochen für die Wiedereinführung einer Vermögensteuer ausgesprochen.
Die beiden Parteilinken präferieren ein Modell des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das eine Steuer von einem Prozent pro Jahr auf große Vermögen vorsieht. Die Grünen würden dabei viele Reiche schonen. Es soll einen Freibetrag für Privatvermögen von einer Million Euro geben. Um das Unternehmerlager zu besänftigen, ist außerdem ein Freibetrag für Betriebsvermögen von fünf Millionen Euro vorgesehen.
Den Vorstoß der eher linken Grünen bewerten viele Realos als voreilig. Sie fürchten kritische Stimmen aus der Wirtschaft und bestehen darauf, dass es keine »Substanzbesteuerung mittelständischer Unternehmen« durch die Vermögensteuer geben dürfe. Diese Haltung vertreten neben Özdemir auch weitere prominente Realovertreter wie Fraktionsvize Kerstin Andreae. Sie sehen mittelständische Unternehmen als »Partner für die Energiewende«. Özdemir deutet in seiner Rede aber auch Möglichkeiten für Kompromisse mit den Parteilinken an. »Arme sollten aus der Armut« geholt werden, betont er. Um die staatlichen Einnahmen zu steigern, fordert Özdemir die Bekämpfung von Steuervermeidung durch große Konzerne wie Amazon und Starbucks.
So unterschiedlich wie die Haltungen in der Partei sind auch die Gäste des Kongresses. Direkt nach Özdemir redet Uwe Hück, Betriebsratsvorsitzender der Porsche AG. Der hünenhafte Mann, der 2005 den Wahlkampf seines SPD-Parteifreundes Gerhard Schröder unterstützt hat, erzählt die Geschichte seines persönlichen Aufstiegs. Er ist im Heim aufgewachsen, wurde später zweifacher Europameister im Thaiboxen und Lackierer bei Porsche. Seine Botschaft lautet: »Jeder kann es schaffen.«
Andere Schwerpunkte legt Ulrich Schneider. Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes beklagt die zu niedrigen Hartz-IV-Sätze und die hohe Arbeitslosigkeit in vielen Regionen. Den Grünen spricht Schneider ins Gewissen. »Wer eine soziale Politik anmahnt, muss auch sagen, wie er sie finanzieren will. Ansonsten macht er sich unglaubwürdig«, erklärt er. Deswegen seien neben einer Vermögensteuer auch Änderungen beim Spitzensteuersatz sowie bei der Erbschaftsteuer notwendig. Im Bundestagswahlkampf 2013 hatte Schneider die Partei als sehr glaubwürdig eingeschätzt.
Allerdings hatten die Grünen damals mit dem Thema Steuern keine sonderlich guten Erfahrungen gemacht. Vor allem ihre Forderungen nach leichten Steuererhöhungen für Besserverdienende kamen in Teilen der grünen Klientel schlecht an. Die Grünen verloren bei der Bundestagswahl 2,3 Prozentpunkte. Trotz der Streitigkeiten über die richtigen Konzepte sind sich nun alle in der Partei grundsätzlich einig, dass sie sich stärker um die Mittelschicht kümmern wollen. Bereits durchgesickert ist, dass die Grünen in den Debatten um eine Erbschaftsteuerreform demnächst im Bundesrat für ein eigenes Konzept eintreten wollen, das eine Senkung des nominalen Steuersatzes für alle Erben auf 15 Prozent vorsieht.
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