Rot-Rot-Grün: Ein Schreck, ein Gespenst

Gabriel relativiert Vorstoß für »progressives Bündnis«: Nicht auf Parteien reduzieren / SPD-Politiker deuten Aussage des Vorsitzenden / Linken-Politiker zwischen Skepsis und Ruf nach konkreten Gesprächen

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

Was hat Sigmar Gabriel nun eigentlich sagen wollen mit seinem Plädoyer für ein »Bündnis aller progressiven Kräfte« in Deutschland und gegen die »notorischen« Spaltungen zwischen den Mitte-Links-Parteien? Der SPD-Chef selbst hat das Echo auf seinen »Spiegel«-Gastbeitrag mit den Worten relativiert, wer diesen auf Parteitaktik und Koalitionen reduziere, gehe zu unernst mit dem Erstarken rechter Kräfte in der Bundesrepublik um. Es sei ihm nicht vordergründig um ein rot-rot-grünes Bündnis von SPD mit Linkspartei und Grünen gegangen. »Was wir brauchen, ist eine soziale Bewegung zur Verteidigung der Liberalität unseres Landes«, so Gabriel zwei Tage nach seinem Appell.

Auch Europaparlamentspräsident Martin Schulz hat sich dazu geäußert - auch er legt nun eine Interpretation vor, die von der in den vergangenen Tagen geführten Debatte über Bündnisoptionen von Parteien wegführt: »Sigmar Gabriel hat mit dem Gastbeitrag nicht zu einem rot-rot-grünen Bündnis nach der Bundestagswahl aufgerufen«, sagte Schulz der »Rheinischen Post«. Wer diese Sicht nun verbreite, wolle ihn vielleicht wissentlich falsch verstanden haben. Der SPD-Chef habe vielmehr die »wichtige Debatte fortgesetzt, wonach es Aufgabe aller demokratischen Kräfte nicht nur links der Mitte ist, dem stärker werdenden Nationalismus und Rechtsextremismus entgegen zu treten«. Dazu sei natürlich auch die Kooperation der Mitte-Links-Parteien sinnvoll. Aber um Rot-Rot-Grün nach den Wahlen 2017 sei es nicht gegangen.

Schwabe: Rot-Rot-Grün kein Schreckgespenst mehr

Das klingt bei anderen in der SPD anders: »Die rot-rot-grüne Option ist längst kein Schreckgespenst mehr«, wird der SPD-Abgeordnete Frank Schwabe im »Handelsblatt« zitiert, er gehört zu den jüngeren Abgeordneten, die sich seit längerem schon um rot-rot-grüne Kooperation bemühen. Unterchiede hält Schwabe für überbrückbar: »Es geht ja nicht um eine Verschmelzung der Parteien sondern um eine pragmatische Zusammenarbeit auf Zeit.«

Gabriel für »Bündnis aller progressiven Kräfte«
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Bleibt die Frage, wann die Zeit für eine solche Koalition wirklich gekommen ist. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte zu Gabriels Äußerungen, er erinnere sich, »dass die SPD vor der letzten Bundestagswahl einen Schein-Linksschwenk vorgenommen hatte, aber danach die vorhandene Option jenseits der Union nicht einmal geprüft hat«. In der »Saarbrücker Zeitung« zeigte sich Bartsch denn auch skeptisch. Es bleibe zwar bis zur Bundestagswahl genug Zeit für die SPD, den ernsthaften Willen zum Politikwechsel auch zu untermauern. Aber es bleibe dabei: »Die Taten zählen«, so Bartsch.

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping will Gabriels Vorstoß auch nicht als reine parteipolitische Aufforderung verstanden wissen – ihr geht es aber nicht um rot-rot-grüne Relativierung, sondern um eine Erweiterungt dieser Option in die Gesellschaft hinein. Im Sozialen Netzwerk Facebook fragte sie, ob man für die Debatte über Bündnisoptionen im Mitte-links-Spektrum »nicht auch den sterilen Raum des Berliner Politikbetriebs verlassen und über unsere Vorschläge für soziale Gerechtigkeit in und mit der Gesellschaft diskutieren« sollten? Kipping schlug »gemeinsame Bürger*innenforen« vor, auf denen Parteipolitiker »zusammen mit anderen gesellschaftlichen Stimmen« debattieren könnten. »Denn eine aufscheinende rot-rot-grüne parlamentarische Möglichkeit muss sich auch im gesellschaftlichen Dialog außerhalb der Parlamente bewähren«, so Kipping.

Bartsch: Es geht nicht um Lagerwahlkampf

Von einem Lagerwahlkampf, wie ihn Linkenchef Bernd Riexinger vorgeschlagen hatte, hält Linksfraktionschef Bartsch indes wenig. Bartsch betonte die Eigenständigkeit der Linken - im Wahlkampf gehe es darum, die eigene Partei stark zu machen »und darum, politische Alternativen deutlich sichtbar zu machen, nicht um Lagerwahlkampf«. Regierungsbündnisse lote man erst nach Wahlentscheidungen aus - dass zwischen den rot-rot-grünen Parteien schon jetzt »auch auf höchster Ebene« gesprochen werde, sei freilich ebenso richtig wie es »wirklich nichts Neues« ist.

Auch Abgeordnete aus den rot-rot-grünen Netzwerken halten schon seit langem Kontakt. Einer davon: Der linke Außenpolitiker Stefan Liebich. »Wir haben noch nie so viel Schwung in der Debatte gehabt wie jetzt«, zitiert ihn das »Handelsblatt«. Der Berliner plädiert auch für einen Lagerwahlkampf. »Wie sollen sich die Leute auch für eine Option entscheiden, wenn sie nicht erkennbar ist«, so Liebich - »Schwarz-Gelb gegen Rot-Rot-Grün wäre eine Auseinandersetzung, bei der die Leute sich für klare Alternativen entscheiden können.« Was Gabriels Vorstoß angeht, hofft Liebich »bei aller Skepsis«, dass nun nicht nur allgemein über die Bereitschaft zur Kooperation gesprochen, sondern endlich auch »inhaltlich ins Detail« gegangen wird. Liebich kann sich dazu gemeinsame Arbeitsgruppen der drei Parteien vorstellen, die in den kommenden Monaten inhaltliche Schnittmengen ausloten könnten.

Einen gleichlautenden Vorschlag hatte Anfang 2015 bereits der damalige Linkfraktionschef Gregor Gysi gemacht - und sich schroffe Absagen eingehandelt. Von der SPD ebenso wie in den eigenen Reihen. Sozialdemokraten nannten Gysis Vorschlag damals »absurd« und »völlig aberwitzig«. Die SPD kläre »ihre Koalitionsentscheidungen nicht in Arbeitsgruppen«, so die damalige Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht hatte seinerzeit ebenfalls ablehnend reagiert. Solange Gabriel für die gleiche Politik stehe wie Kanzlerin Angela Merkel seien »irgendwelche Arbeitsgruppen zu Rot-Rot-Grün relativ sinnlos«.

»Weite Teile der SPD-Linken zweifeln«

Inzwischen hat der SPD-Vorsitzende eine Reihe von rhetorischen Dehnübungen nach links vollzogen. Ob dem ein echter Kurswechsel der Sozialdemokraten folgt, ist offen - und wird auch in der SPD bezweifelt. Gabriel renne »mit seinem Vorstoß offene Türen bei den Jusos ein«, sagte zwar deren Vorsitzende Johanna Uekermann in der »Tageszeitung«. Die Deutsche Presse-Agentur jedoch schreibt: »Weite Teile der SPD-Linken zweifeln aber, ob Gabriel den angedeuteten Linksschwenk inhaltlich überzeugend unterfüttern kann.«

Die Vorsitzende der SPD-Linken DL21, Hilde Mattheis, äußerte sich auch etwas zurückhaltend - sie sei froh über Gabriels Erkenntnis, dass die SPD jenseits des Bündnisses mit der Union eine Machtoption brauche. »Der Vorstoß, die Kräfte der ›Mitte-Links-Parteien‹ zu bündeln, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.« Es werde sich nun bei der Bundespräsidentenwahl zeigen, ob Gabriel es mit Rot-Rot-Grün ernst meine.

Wenn er es denn, so lässt sich nun anmerken, überhaupt so gemeint hat. Gabriels als Relativierung verstandener Hinweis, es sei ihm um gesellschaftliche Bündnisse gegangen, nicht um Koalitionspolitik, folgte auf bisweilen harsche Reaktionen aus der Union auf den Vorstoß zu einem »progressiven Bündnis«. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn etwa hatte Gabriel als »geschichtsvergessen« und »machtversessen« gescholten; der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier warnte: »Rot-Rot-Grün wäre für Deutschland schlimm.«

Streit um Vergangenheit der Union

Ein Grund für die Reaktionen: Der »Spiegel«-Text Gabriels enthält nicht nur Formulierungen, die als rot-rot-grünes Signal interpretiert werden konnten, sondern auch eine schonungslose Abrechnung mit der »radikalen bürgerlichen Rechten« - und dem, laut Gabriel, Versagen der Union, ein bestimmtes rechtes Milieu durch Einbindung zu »befrieden«: Es sei »eine der großen historischen Leistungen der Union« gewesen, schrieb Gabriel, »vielen alten Nazis und Deutsch-Nationalen in der jungen Bundesrepublik eine politische Heimat gegeben zu haben. Mit Angela Merkels politischer Entkernung der CDU haben die Unionsparteien ihre Bindekraft für dieses Milieu verloren.« Spahn hatte daraufhin auf Twitter erklärt: »Ich schicke dem Sigmar Gabriel mal eine Geschichtsbuch zur Gründung der CDU. Scheint mir dringend nötig.« mit Agenturen

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