Freihandel schadet Verbrauchern

Foodwatch-Studie: Vorsorgeprinzip bei TTIP und CETA nur ungenügend berücksichtigt

  • Haidy Damm
  • Lesedauer: 3 Min.
TTIP und CETA sind schlecht für Verbraucher in Europa. Zu diesem Schluss kommt ein von Foodwatch in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.

»Das europäische Vorsorgeprinzip ist in TTIP und CETA rechtlich nicht ausrechend abgesichert. Das Niveau des Gesundheits- und Verbraucherschutzes ist damit gefährdet.« Zu diesem Schluss kommt der Rechtswissenschaftler Peter-Tobias Stoll in einem am Dienstag in Berlin vorgestellten Rechtsgutachten. Der Direktor der Abteilung Internationales Wirtschafts- und Umweltrecht an der Universität Göttingen hat gemeinsam mit seinen Kollegen Wybe Th. Douma vom TMC Asser Instituut in Den Haag und Prof. Nicolas de Sadeleer von der Université Saint-Louis in Brüssel die Texte des CETA-Abkommens der EU mit Kanada und die bisher bekannten TTIP-Fragmente der Verhandlungen mit den USA untersucht. Ihr Fokus lag dabei auf dem europäischen Vorsorgeprinzip, das in den EU-Verträgen festgeschrieben ist.

In den USA und Kanada gilt überwiegend als oberstes Prinzip der wissenschaftliche Beweis. Ist nicht eindeutig nachweisbar, dass etwa eine Chemikalie gesundheits- oder umweltschädlich ist, gilt sie als zugelassen. Beim europäischen Vorsorgeprinzip spielt dagegen das Restrisiko eine größere Rolle: Sind die wissenschaftlichen Beweise umstritten oder nicht eindeutig, kann eine Zulassung trotzdem verweigert werden, wenn ein Risiko für Mensch und Umwelt besteht.

Verbraucherschützer befürchten nun, dass in Europa durch die Freihandelsabkommen auch umstrittene, bislang in vielen Ländern nicht zugelassene genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel so lange angebaut und konsumiert werden dürfen, bis ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist. Auch die Zulassung von Pestiziden oder hormonellen Stoffen könnte einfacher werden. Zudem fußt die europäische Chemikalienverordnung auf dem Vorsorgeprinzip und steht laut Foodwatch »damit im diametralen Gegensatz zum US-Recht, das grundsätzlich zunächst von einer Unbedenklichkeit der Stoffe ausgeht«.
»In den Vertragstexten ist das Vorsorgeprinzip bisher nur indirekt erwähnt«, sagt Foodwatch-Gründer Thilo Bode. Nach dem jetzigen Stand etwa sei ein Verbot des umstrittenen Herbizids Glyphosat »nur schwer möglich oder würde Strafzölle nach sich ziehen«.

Gerade die menschliche Gesundheit sei nur »ganz beschränkt erfasst«, heißt es dazu in dem Rechtsgutachten. Das Gebot der Vorsorge werde nur in den Kapiteln zum Arbeitsrecht und Umweltschutz erfasst.

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) kritisierte das Rechtsgutachten als »Panikmache«. Das Anwenden des Vorsorgeprinzips werde weder durch CETA noch durch TTIP behindert. Der Verband verwies zudem auf die in den Abkommen integrierten Vorsorgegedanken der Welthandelsorganisation (WTO), die »deutlich machen, dass beide Seiten Regulierungsautonomie besitzen«, so der VCI. Damit könnten vorsorgende Maßnahmen der jeweils anderen Seite nicht angegriffen werden – außer sie verstoßen gegen die Vorschriften der Welthandelsorganisation.

Genau hier sieht der Rechtswissenschaftler Stoll ein weiteres Problem und verweist auf die weniger strengen WTO-Regelungen. So habe die EU bereits vor Jahren ein Schiedsgerichtsverfahren verloren, nachdem sie einen Importstopp für hormonbelastetes Rindfleisch aus Kanada erlassen habe. Zwar darf in die EU weiterhin kein Fleisch von mit Hormonen behandelten Rindern eingeführt werden. Der geschlossene Vergleich habe jedoch der EU hohe Zugeständnisse abgerungen. »Wenn das zukünftig immer so ist, werden sich die EU-Länder ein Importverbot genau überlegen.«

Ein zügiger Vertragsabschluss bei TTIP gilt momentan als unwahrscheinlich. Doch auch eine Verabschiedung von CETA könnte dem Verbraucherschutz laut Foodwatch nachhaltig schaden, denn rund 90 Prozent aller US-Firmen haben Tochterunternehmen in Kanada und darüber Zugang zum EU-Markt. Bode warnte zudem davor, dass CETA, wie von der EU-Kommission gewünscht, als »EU-only«-Abkommen eingestuft werden könnte. Sollte das der Fall sein, müssten die Mitgliedsstaaten einstimmig für ein gemischtes Abkommen stimmen, damit die nationalen Parlamente einbezogen werden. Italien hat bereits angekündigt, dass es der Kommissionseinschätzung folgen werde.

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