Linksfraktion im Bundestag streitet über eigenen Betriebsrat
Nur 37 von 64 Abgeordneten beteiligen sich an bürobergreifender Arbeitsgemeinschaft
Der Streit schwelt seit über zehn Jahren: Die Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag sind uneins über den Umgang mit der betrieblichen Mitbestimmung im eigenen Hause. Etwas mehr als die Hälfte der linken Parlamentarier haben sich zu einer Abgeordnetengemeinschaft zusammengeschlossen, damit ihre MitarbeiterInnen gemäß Paragraf 3 Betriebsverfassungsgesetz einen Betriebsrat bilden können. Denn: Bundestagsabgeordnete gelten als Einzelunternehmer, die MitarbeiterInnen anstellen; bei der Linksfraktion sind es im Schnitt vier bis fünf pro Abgeordnetenbüro. Die direkt bei der Fraktion angestellten Mitarbeiter haben einen gesonderten Betriebsrat.
Der Paragraf 3 stellt eine Ausnahmeregelung dar, nach der »in Betrieben mit mehreren Unternehmen die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates« ermöglicht wird. So geschehen in der Linksfraktion vor gut fünf Jahren. Mit ver.di handelte die Abgeordnetengemeinschaft einen Tarifvertrag aus, auf dieser rechtlichen Basis wurde die Betriebsratsgründung möglich. Neun Mitglieder hat das Gremium heute. Doch nicht alle Abgeordneten machen mit. Derzeit sind 37 von 64 Abgeordneten Mitglied der Gemeinschaft – obwohl der Parteivorstand im September 2015 per Beschluss alle Abgeordneten aufgefordert hatte, »verbindliche umfassende Voraussetzungen für eine betriebliche Mitbestimmung gemäß Betriebsverfassungsgesetz für alle Beschäftigten der Fraktionen und der Abgeordneten der LINKEN zu schaffen«.
Nachdem trotz mehrfacher Anschreiben noch immer längst nicht alle dieser Aufforderung folgten, wählte der SprecherInnenrat der Bundesarbeitsgruppe (BAG) Betrieb und Gewerkschaft in einem Brief vom 6. April deutliche Worte: »Diejenigen Genossinnen und Genossen Bundestagsabgeordnete, die sich der Abgeordnetengemeinschaft und damit am Ende auch der Möglichkeit von selbstverständlichen Mitbestimmungsstrukturen für ihre persönlichen Angestellten vehement verweigern, agieren am Ende genauso gewerkschafts- und betriebsratsfeindlich wie die Arbeitgeber von Amazon, Kik & Co.«, heißt es darin. Die Fraktionsmitglieder wurden ultimativ aufgefordert der Abgeordnetengemeinschaft beizutreten.
Einer der Kritisierten, der Bundestagsabgeordnete und Arbeitsrechtler Richard Pitterle, antwortete mit ebenso deutlichen Worten, nannte den rechtlichen Rahmen des Betriebsrates »Etikettenschwindel«, »potemkinsche Dörfer« und ein »abenteuerliches Konstrukt«. Pitterle verwies darauf, dass Drohungen nicht »den aufrechten Gang« fördern würden, sondern den Opportunismus. Weiter führte der Arbeitsrechtler mehrere Urteile von Arbeitsgerichten an, um seine Meinung auch juristisch zu untermauern.
Die widerstreitenden Positionen in Kürze: Der übergreifende Betriebsrat regelt beispielsweise die Arbeitszeit, die Arbeitsbedingungen und andere betriebliche Angelegenheiten, damit alle MitarbeiterInnen, egal in welchem Abgeordnetenbüro sie sitzen, zu vergleichbaren Konditionen arbeiten. Personalangelegenheiten bleiben in der Entscheidungsgewalt der jeweiligen Abgeordneten. Die Gegner befürchten unter anderem aber genau das: unerwünschten Einfluss auf ihre Personalentscheidungen. So argumentiert Fraktionsvize Klaus Ernst, der sich gegen das übergreifende Gremium ausspricht; mit der Begründung, es gebe in der Abgeordnetengemeinschaft »keine gemeinsame Personalpolitik aller Abgeordneten«.
Kurze Zeit später schlugen Klaus Ernst, Diether Dehm und Richard Pitterle in einem Schreiben die Gründung einer Schlichtungskommission vor, die im Streitfall entscheiden solle. Die Arbeitsverhältnisse in der Fraktion seien eben keine herkömmlichen, weil kein Mehrwert erwirtschaftet werde, hieß es darin. Überdies sollten doch lieber die MitarbeiterInnen zum Parteieintritt bewegt werden, um sich ehrenamtlich für die Ziele der Partei zu engagieren.
Auf nd-Anfrage kündigte Ernst am Freitag an, er werde gegen die in mehreren Printmedien aufgestellte »böswillige und absolut falsche Behauptung« juristisch vorgehen, er werbe zusammen mit Dehm und Pitterle dafür, »den Betriebsrat für Mitarbeiter der Parlamentarier abzuschaffen«. Als Gewerkschafter sei er ausdrücklich für die Gründung von Betriebsräten.
Anfang Juni fasste der Parteivorstand einen weiteren Beschluss, in dem er die Fraktionsmitglieder aufforderte, »sich nicht an der Gründung einer Parteischlichtungskommission (PSK) zu beteiligen, weil sie den bestehenden Beschlüssen der Partei widerspricht«. Vielmehr sollten sich die Abgeordneten dagegen aussprechen und die Abgeordnetengemeinschaft stärken.
Mit Verweis auf diesen Beschluss wollte man im Karl-Liebknecht-Haus den Streit aktuell nicht kommentieren. »Es werden Gespräche in alle Richtungen geführt«, sagte Sprecherin Sonja Giese gegenüber »nd«.
Harald Weinberg ist Vorsitzender der Abgeordnetengemeinschaft. Zwar sieht er die Befürchtungen der Kritiker, teilt sie aber nicht. »Eine Schlichtungskommission sollte nicht anstelle eines Betriebsrates eingerichtet werden, sondern zusätzlich«, sagt er. Zudem müsse der Tatsache Rechnung getragen werden, »dass wir die einzige Fraktion sind, die sich überhaupt um die Mitbestimmung der Abgeordnetenmitarbeiter im Bundestag kümmert«.
Es sei nicht sein Anliegen, »den Konflikt auf die Spitze zu treiben, sondern die KollegInnen zu überzeugen«. Und klappt das in dieser Legislaturperiode noch? »Ich bin skeptisch«, so Weinberg ggenüber »nd«. Zu den Gerüchten, dass einige Abgeordnete nun die Schlichtungskommission gegen den Willen des Parteivorstandes gründen wollen, sagt Weinberg: »Das Problem sollte noch mal von oben angegangen werden, also mit einem klärenden Gespräch, das von der Parteispitze und der Fraktionsspitze initiiert wird.«
Der Streit um den übergreifenden Betriebsrat ist so alt wie die Fraktion selbst. Der »Spiegel« berichtete 2007 über den Umgang der Abgeordneten mit ihren Beschäftigten, der auch die Gewerkschaft ver.di auf den Plan rief. Es habe »im ersten Jahr der Legislatur Entlassungen in zweistelliger Höhe« gegeben, zitierte das Magazin aus einem ver.di-Papier. Einige Anläufe zur Betriebsratsgründung scheiterten danach im Bundestag, bis es 2011 auch im Bundestag endlich klappte. Dabei ist die Tatsache, dass die MitarbeiterInnen der Abgeordneten überhaupt einen Betriebsrat bilden, ein Alleinstellungsmerkmal im Bundestag.
Dahinter steckt eine übergreifenderes Problem, erklärt Tobias Schürmann, Tarifsekretär der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Er hat die Tarifverträge der Linksfraktion mit ausgehandelt. »Ab 2005, seit die LINKE wieder in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten ist, haben wir versucht, die Mitbestimmung im gesamten Bundestag durchzusetzen. Der Tarifvertrag bei der Abgeordnetengemeinschaft der Linksfraktion soll da auch als Vorbild für die anderen Fraktionen dienen. Doch der Ältestenrat des Parlaments spricht sich dagegen aus.«
Für Schürmann ist es »ein Skandal, dass es in der Mitte der Demokratie, in der die Mitbestimmung immer wieder hochgelobt wird, rund 4500 Beschäftigungsverhältnisse gänzlich ohne institutionalisierte Mitbestimmungsrechte gibt.« So viele MitarbeiterInnen haben die Bundestagsabgeordneten insgesamt. »Beispielsweise in der SPD-Fraktion gibt es keinen Betriebsrat, sondern eine Konfliktkommission für ver.di-Mitglieder, der Gewerkschafter und Abgeordnete angehören«, so Schürmann weiter. Im Falle einer Kündigung muss diese Kommission eingeschaltet werden, »um die Sache zu einem einvernehmlichen Ergebnis zu bringen.« So habe mancher Gang vors Arbeitsgericht vermieden werden können.
Es bleibt abzuwarten, ob in der Linksfraktion bis zur Bundestagswahl 2017 doch mehr Abgeordnete der Gemeinschaft beitreten. Und danach geht es wieder von vorne los: neue Abgeordnete, neue MitarbeiterInnen, neuer Tarifvertrag – hoffentlich mit weniger Reibung als in den letzten Jahren.
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