Unsicher auf der Insel

850 000 polnische Auswanderer können sich fragen, ob sie in Großbritannien bleiben dürfen

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele Polen haben auf den britischen Inseln Zukunftssorgen. Heimische Politiker sehen darin eine Chance, qualifizierte Kräfte an die Weichsel zurückzuholen.

Seit dem EU-Beitritt verließen über zwei Millionen Polen ihre Heimat. Sie zogen insbesondere gen Großbritannien. Das eines der ersten Länder, welches seinen Arbeitsmarkt für sie öffnete. Viele wollten sich dort nur etwas dazu verdienen, um mit angespartem Kapital in ihrem Geburtsland ein neues Leben zu beginnen.

Inzwischen jedoch haben sich Hunderttausende Osteuropäer auf der Insel eingerichtet. Sie kauften Häuser, gründeten Firmen, studierten, schickten ihre Kinder auf britische Schulen. Wie zu Zeiten der Exilregierung im Zweiten Weltkrieg entstand in London eine Vielzahl an polnischen Lebensmittelläden, Kulturzentren und Kirchengemeinden, die über die geografische Entfernung hinwegtrösten sollten.

Als 2004 die ersten Ankömmlinge aus dem Osten in Großbritannien eintrafen, wurden sie zunächst Zielscheibe populistischer Kritik. Bald jedoch verebbten die Diskussionen über polnische Migranten, die angeblich nur Sozialleistungen beziehen wollten. Schließlich waren sie ausgewandert, um hart zu arbeiten.

Mit den Jahren haben sich die Briten an die weiß-roten Tupfer in ihrer Landschaft gewöhnt. Dachten jedenfalls die dortigen Polen. Nun müssen sie feststellen, dass über die Hälfte der wahlberechtigten Insulaner sie zu keinem Zeitpunkt willkommen hieß.

Nicht zuletzt deshalb erhitzt die Brexit-Entscheidung auch in Warschau politische Gemüter. »Es muss nun alles unternommen werden, damit die Rechte der polnischen Einwanderer in Großbritannien nicht geschmälert werden«, postulierte etwa Präsident Andrzej Duda. Der sonst so energische Witold Waszczykowski suchte hingegen zu beschwichtigen. »In den nächsten Jahren gibt es keinerlei Veränderungen für die Polen, die in Großbritannien leben und arbeiten«, so der Außenminister.

Andere Politiker wiederum sehen im britischen Votum eine Chance, qualifizierte Landsleute zurückzuholen. Der Vizeregierungschef und Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Mateusz Morawiecki, wandte sich in einem Interview mahnend an seine Landsleute: »Kommt zurück nach Hause, wir brauchen euch!«

Der PiS-Politiker Ryszard Czarnecki ist der Ansicht, dass die Migranten gar nicht erst lange warten sollten, weil sich eine Rückkehr mit der Zeit zunehmend schwieriger gestalte. »Wenn die in England geborenen Polen irgendwann nicht mehr polnisch sprechen, ist es bereits zu spät. Ihre Eltern müssen jetzt wiederkommen«, drängt der EU-Abgeordnete.

Tatsächlich aber erwägen nur wenige von den rund 850 000 Insel-Polen eine Rückkehr. Angesichts der nach wie vor höheren Löhne im Königreich nehmen sie den »süßen Albtraum des Exilanten«, so der Schriftsteller Witold Gombrowicz, in Kauf. Nicht wenige wollen nun ihren Einbürgerungsprozess beschleunigen und einen britischen Pass beantragen. Zudem stünde einer doppelten Staatsbürgerschaft nach polnischem Recht nichts im Wege.

In ihrer Heimat sind offenkundig weiterhin sehr viele junge Menschen immer noch unzufrieden. Auch dieses Jahr sitzen schätzungsweise 1,5 Millionen Polen auf gepackten Koffern und möchten ausreisen. »Weitere vier Millionen überlegen noch«, sagt Krzysztof Inglot, Pressesprecher der Firma Work Service.

Daran wird auch der Brexit nichts ändern. Im Gegenteil. Man kann davon ausgehen, dass künftig wieder stärker der deutsche Arbeitsmarkt ins Blickfeld junger Polen rückt. Der hierzulande gesetzlich festgelegte Mindestlohn lockt nicht erst seit heute zahlreiche polnische Grenzgänger an. Viele von ihnen verdienen bereits ihr Geld in Brandenburg und fahren allabendlich wieder in ihre Heimatorte zurück.

Die wachsende Migration schadet jedoch auch zum Teil der polnischen Wirtschaft. Zwar kommt der Tourismus auf dem polnischen Teil der Insel Usedom dank deutschen Urlaubern noch nicht zum Erliegen, doch fehlt es in Świnoujście allmählich an Arbeitskräften, die ihnen Eiscreme servieren. Dies tun sie dann vorzugsweise in Ahlbeck, wo sie für die gleiche Tätigkeit beinahe das Dreifache verdienen.

Dieser Trend wird sich vermutlich nicht umkehren lassen, weil nun auch Arbeitskräfte aus den ostpolnischen Gebieten nachrücken werden, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. »Schon jetzt ist die Situation jenseits des Bug alarmierend, da immer mehr Polen der niedrigen Löhne überdrüssig sind und auswandern. Diese Jobs übernehmen jetzt die Ukrainer«, sagt Inglot.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.