Stars als Wasserträger
Der EM fehlen begeisternde Individualisten, sogar Ronaldo ordnet sich unter
Natürlich wurde Cristiano Ronaldo sofort zu Lionel Messis Rücktritt aus der argentinischen Nationalmannschaft befragt. Und in seiner bedauernden Antwort durfte eine Botschaft nicht fehlen: Ronaldo selbst wolle nicht zurücktreten. Auch dann nicht, wenn Portugal bei der EM erneut den Titelgewinn verpassen sollte wie Argentinien jüngst bei der Copa América. Wenn sich Ronaldo über Messi äußert und dabei zudem über sich selbst spricht, geht es immer auch um ihre seit Jahren herausgehobene Position im Weltfußball, um die Bezeichnung Star, die man mit ihnen verbindet. Und es geht um die Frage, wer der Bessere der beiden ist.
In dieser Hinsicht konnte Ronaldo bei der EM allerdings auch noch nicht viele Argumente für sich sammeln. Vor dem Viertelfinale gegen Polen an diesem Donnerstag in Marseille hat der 31-Jährige bisher genau einen herausragenden Turniertag erwischt. Im letzten Gruppenspiel, beim 3:3 gegen Ungarn, bereitete Ronaldo ein Tor vor und erzielte die beiden anderen, eines davon äußerst filigran.
Dass der Profi von Real Madrid gegen Ungarn so auffällig war, hat Nationaltrainer Fernando Santos nur bedingt erfreut. »Wir haben in den ersten Spielen gut verteidigt und nicht getroffen, nun war es umgekehrt«, sagte er danach brummig. Die Schlüsse, die er daraus zog, waren im Achtelfinale gegen Kroatien zu beobachten, in jenem 117 Minuten lang torlosen Gruselkick in Lens. »Ich würde gerne ein schönes Spiel spielen lassen, aber so gewinnt man meistens keine Turniere«, ließ Santos danach wissen. Es bekümmerte ihn auch nicht, dass Ronaldo an diesem Abend auf nur 24 Ballkontakte gekommen war und sich dabei sogar meist daran beteiligen musste, Fußball zu verhindern. »Portugal ist ein Team, und Ronaldo ist ein Teamspieler«, lobte Santos seinen Kapitän danach demonstrativ.
Ganz so schlimm wie gegen Kroatien wird es gegen Polen hoffentlich nicht noch einmal kommen. Aber dass Ronaldo erneut eine eher mannschaftsdienliche Rolle zugedacht wird, davon darf ausgegangen werden. »Sie haben viele individuell starke Spieler, und sie haben vor allem: einen der besten Stürmer der Welt«, ließ Verteidiger Ricardo Carvalho bereits defensives Denken erkennen. Das Kuriose ist nur: Robert Lewandowski, den Carvalho meinte, spielt bei dieser EM so ziemlich alles, nur keinen klassischen Stürmer. Weshalb für seine Kernkompetenz auch kaum noch Zeit und Kraft übrig bleiben.
Polens Kapitän gibt das Mädchen für alles, er rennt und rackert, erobert und verteilt Bälle, bewegt sich durchs Mittelfeld und auf den Flügeln. Nur Tore schießt er nicht, in den ersten beiden Spielen reichte es nicht einmal zu einem Torschuss. Dennoch bekommt der Stürmer des FC Bayern München viel Lob für seine altruistischen Dienste. »Er ist unser Anführer. Er zeigt in jedem Spiel, dass für ihn das Team zählt«, sagte Co-Trainer Bogdan Zajac. Cheftrainer Adam Nawalka begegnet der ständig gleichen Debatte um Lewandowskis torlose Rolle stoisch und nennt seinen Kapitän feierlich »unsere Lokomotive«. Welche allerdings, um im Bild zu bleiben, auch dafür zuständig ist, die Kohlen zu schippen und den Kessel aufzufüllen.
Stars als Wasserträger oder, wie Ronaldo, zumindest als meist unauffällige Systemspieler, das ist ein Trend dieser EM, die viel kollektive Defensivarbeit erlebt hat und den weitgehenden Verzicht auf kunstvollen Individualismus. Dass Portugals 38 Jahre alter Abwehrroutinier Carvalho dennoch vor Polens Einzelspielern und besonders vor Lewandowski warnte, mag auch daran liegen, dass Carvalho bereits zu einer Zeit spielte, als Diego Maradona, der zumindest fußballerisch wohl beste Vertreter des Individualismus, noch über den Platz dribbelte und trickste. Auch von dessen großem Schatten, heißt es, habe Messi nun genug gehabt in Argentiniens Auswahl, nachdem er mit seinem Individualismus wieder einmal ein Finale verloren hatte, diesmal gegen Chiles Kollektiv.
»Zu gewinnen ist das Wichtigste. Wenn wir das Finale erreichen sollten, wird auch jeder irgendwie zufrieden sein«, hat Ronaldos Sturmpartner Nani nun die Kritik an Portugals Stil zurückgewiesen. Das verheißt auch gegen Polen eher einen Fußball des Verhinderns denn des Kreierens. Dabei hätte, abgesehen von den Trainern, wohl keiner etwas gegen kunstvolle Momente der Individualisten und Stars einzuwenden. Am wenigsten der Spielball. Er heißt »Beau Jeu« - Schönes Spiel.
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