Scheinbarer Sinneswandel
Guido Speckmann über Rufe der Eliten nach einer sozialeren EU
Ein Freund von Referenden war er bisher nicht. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hatte anlässlich des »Neins« der Niederländer zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine gesagt: »Wenn man Europa kaputt machen will, dann braucht man nur mehr Referenden zu veranstalten.« Jetzt gab es ein weiteres Referendum - und Asselborn fällt plötzlich mit ganz anderen Worten auf. Am Mittwoch erhob er seine Stimme, um mehr soziale Gerechtigkeit in Europa einzufordern. Wachstum alleine reiche nicht; die EU müsse den Mehrwert, der dadurch geschaffen werde, sozial gerecht verteilen.
Einen Sinneswandel hat es auch in der internationalen Finanzindustrie gegeben. Analysten der Bank of America und der Fondsgesellschaft Pimco entdecken plötzlich das Thema soziale Ungleichheit. Der Brexit sei die Antwort der Wähler auf das Zeitalter der Ungleichheit, hieß es. Und die Kluft zwischen Arm und Reich sei zu groß geworden, die Gefahr von politischen Verwerfungen gestiegen. Indes: Die Finanzindustrie macht sich zuvorderst Sorgen um zukünftige Profite und der EU-Kommissionschef Juncker will im Windschatten von Brexit das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada an den Parlamente vorbeischleusen. Es sieht eher nach einem scheinbaren Sinneswandel aus.
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