Fico will ein »ehrlicher Makler« sein
Der Brexit-Schatten liegt über der ersten EU-Ratspräsidentschaft der Slowakei
Das Sprichwort vom Bock, der zum Gärtner gemacht wird, könnte einem schon einfallen, wenn Robert Fico die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Schließlich gehört die Slowakei zu den scharfen Kritikern nicht nur der Flüchtlingspolitik der Union, und zuletzt hat der Regierungschef mit seinen Amtskollegen der sogenannten Visegrad-Gruppe heftig gegen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geschossen, ja sogar seine Absetzung gefordert. Nun muss er mit ihm und mit EU-Ratspräsident Donald Tusk im nächsten halben Jahr eng zusammenarbeiten - nach dem Brexit-Desaster in der wohl kritischsten Phase seit Installierung dieser Gemeinschaft. Fico hat auch schon die Tonlage geändert: »Wir wollen als vorsitzendes Mitgliedsland vor allem ein ehrlicher Makler und guter Moderator sein.« Mit dieser Formel umreißt er inzwischen immer wieder das Selbstverständnis der Slowakei, die zum ersten Mal die EU-Präsidentschaft übernimmt. Man werde die nationalen Positionen zwar nicht ändern, aber auch nicht auf den EU-Tisch bringen.
Nach dem Brexit allerdings kann es für ihn nur eines geben - eine grundlegende Änderung der EU-Politik. Ein großer Fehler wäre es, wenn die Reaktion der verbleibenden Mitgliedsländer so ausfiele wie die bisherige, mahnt der Sozialdemokrat. Kein Wunder, dass dann als Beispiel die von ihm seit Langem abgelehnte Flüchtlingspolitik kommt. Wie Tschechien, Polen und Ungarn stemmt sich auch die Slowakei weiter gegen eine gerechtere Verteilung von Immigranten in der EU. Ein dauerhaftes Verteilungssystem für Schutzsuchende, wie in Brüssel vorgeschlagen, würde nach Ansicht der Visegrad-Gruppe nur zu mehr Migration führen, in der Praxis nicht richtig funktionieren und die Gemeinschaft spalten.
Wie Budapest hat Bratislava Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen den Mehrheitsbeschluss der EU-Innenminister zur Flüchtlingsumverteilung in der Union eingereicht. Andere Vorhaben Brüssels wie den gemeinsamen Grenz- und Küstenschutz, die Wiederherstellung des Schengensystems oder die Flüchtlingsvereinbarung mit der Türkei unterstütze sein Land aber voll und ganz, betont Fico. Diese Zweigleisigkeit zeigt sich auch auf anderen Gebieten. So kritisierte Fico die EU-Sanktionspolitik gegen Moskau stets als »unsinnig« und »schädlich für uns alle«. Andererseits half er der Ukraine massiv mit alternativen Gaslieferungen aus der russischen Abhängigkeit.
Jetzt sei es vor allem sehr wichtig, »die Entscheidung der britischen Wähler zu respektieren«, so der slowakische Regierungschef. Das Ergebnis des EU-Referendums sei »keine Tragödie, sondern einfach eine Realität, auf die die verbleibenden 27 EU-Länder möglichst rasch reagieren müssen«. Außenamtschef Miroslav Lajcak war noch vor Übernahme der Ratspräsidentschaft als erster EU-Außenminister nach dem Brexit Richtung London gereist, um eine möglichst schmerzarme Verhandlungsstrategie zu sondieren. Zur Realität in seiner Heimat gehört auch, dass die rechtsextreme Volkspartei (LSNS) nach dem Brexit-Votum begonnen hat, Unterschriften für ein Referendum über den Austritt des Landes zu sammeln. »Es wird höchste Zeit, dass auch die Slowakei diese untergehende europäische Titanic verlässt«, tönt LSNS-Chef Marian Kotleba. Und der ist Regierungspräsident der mittelslowakischen Region Banska Bystrica.
Bei der Parlamentswahl Anfang März hatte die Partei mit einer hässlichen Kampagne gegen Flüchtlinge 8,6 Prozent der Stimmen geholt und nimmt heute 14 der 150 Parlamentssitze ein. Ficos Partei Smer-SD erlitt erhebliche Verluste und musste eine breite Koalition für seine dritte Amtszeit schmieden. Ihr gehört neben der wirtschaftsliberalen Partei Siet und der Partei der ungarischen Minderheit auch die rechte Slowakische Nationalpartei (SNS) an.
Die liberale Tageszeitung »Sme« aus Bratislava warnt davor, dass sich mit einem britischen Abgang noch mehr Wolken der Ungewissheit über der EU zusammenziehen könnten. Wie die slowakische Bevölkerung darauf regieren würde? Bei der Volksabstimmung über den EU-Beitritt im Jahr 2003 stimmten 92,46 Prozent der Wähler mit Ja, bis heute Rekord in der Union. Europäische Institutionen und der Euro hatten immer größere Sympathiewerte als in vielen anderen EU-Staaten. Doch beim letzten Votum zum Europaparlament lag die Wahlbeteiligung nur noch bei 13 Prozent. Es war die niedrigste in der EU.
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