Unidos Podemos: Was ist schief gelaufen?
Spanien: Der »Sorpasso« ist nicht gelungen - das Spiel um die Hegemonie im linken Lager hat aber erst angefangen.
Die politische Dynamik, die sich in Spanien mit den Einbruch von Podemos in die politische Szene seit 2014 entfaltet hatte, scheint nach den Wahlen abgebremst zu sein. In den Wahlen von Dezember 2015 erreichten Podemos und Izquierda Unida (IU), die sich getrennt zur Wahl stellten, 24,3 Prozent der Stimmen. In den Wahlen von Juni 2016 kandidierten sie zusammen im Wahlbündnis »Unidos Podemos«, kamen dabei aber nur auf 21,1 Prozent und erhielten damit 1,1 Millionen Stimmen weniger.
Besonders auffallend ist, dass alle Wahlprognosen der Koalition mehr Stimmen gaben als der PSOE und sie damit als zweite politische Kraft im Parlament sahen. Die Prognosen schafften eine Art Volksfrontstimmung und nährten Hoffnungen über die Möglichkeit einer Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Ausrichtung Spaniens, inklusiv der möglichen Bildung eines Länderblocks fortschrittlicher Regierungen in der südlichen Peripherie. Was ist passiert?
Die Diskussionen und strategischen Folgen dieser – allerdings nur halben – Niederlage werden intensiv diskutiert. Es gibt zurzeit zwei Hauptargumente auf der Seite von Podemos:
(1) Die politische Kampagne war nicht die Richtige – ein Argument, dass vor allem gegen die Nr. 2 in Podemos und Wahlkampfverantwortlichen, Ignacio Errejón, zielt –, und wenn IU und Podemos nicht zusammen kandidiert hätten, wären die Wahlergebnisse deutlich schlechter, denn immerhin hat es Unidos Podemos auf fünf Mio. Stimmen gebracht.
(2) Es war ein Fehler zusammen mit Izquierda Unida zu kandidieren, da in dieser Koalition die »alten« linken Kulturen noch sehr ausgeprägt sind, was eine Bremswirkung auf die politische Innovationskraft von Podemos gehabt habe. Hier sind vor allem diejenigen in Podemos angesprochen, die aus einem »traditionelleren« linken Millieu stammen, meist aus Izquierda Unida kommen, und jetzt die Mehrheit der Podemos-Führung ausmachen: Pablo Iglesias selbst, Carolina Bescansa, Juan Carlos Monedero etc. Auch in Izquierda Unida werden jetzt kritische Stimmen laut – wie die des alten IU-Generalkoordinators, Gaspar Llamazares –, die die Koalition mit Podemos schon immer kritisch gesehen haben und jetzt stark auf identitäre Argumente setzten, um nicht von der Podemos-Dynamik verschluckt zu werden.
Die Diskussion steht noch aus und wird mit Sicherheit nicht nur für Spanien wichtig sein. Es geht ja darum, was die besten Formeln sind, um in einem westlich-kapitalistischen Land an der europäischen Peripherie – und vielleicht auch in europäischen Kernländern – Mehrheiten erreichen zu können, um einen nachhaltigen, antineoliberalen Kurs einzuschlagen. Die Antworten sind sicherlich komplex und sollten nicht überstürzt gesucht werden. Podemos hat eine demoskopische Studie angekündigt, um die Gründe für das unerwartete Wahlverhalten ausfindig zu machen.
Was ist passiert? Aus meiner – vorläufigen – Perspektive sind zunächst einmal vier Aspekte zu berücksichtigen:
1. Die Entscheidung gegen die Amtseinführung des Sozialisten Pedro Sánchez, der mit der liberalen Kleinpartei Ciudadanos ein Regierungsprogramm vereinbart hatte, war ein Fehler. Podemos hätte sich damals enthalten und dabei eine relativ sichere, linke Opposition zur Mitte-Links Regierung geltend machen können. Diese Regierung wäre wahrscheinlich einen schnellen Verschleißprozess ausgesetzt gewesen, sodass die Zeit eher für die Linke gearbeitet hätte.
2. Unidos Podemos hat die Stärke der PSOE unterschätzt. Es handelt sich, ähnlich wie die CDU in Deutschland, um eine Gründungspartei der 1978-Regimes, die seit über 40 Jahren politischer Schiedsrichter im Lande ist und Hauptakteur bei der Schaffung des spanischen Wohlfahrtssystems war. Die Identitäten spielen in der PSOE noch eine wesentlich Rolle, vor allem im »roten Süden« – Andalusien, Extremadura und Castilla-La Mancha –, wo teilweise noch traditionelle soziale Strukturen und politische Kulturen vorherrschen. Die Vorschläge und Warnungen an Izquierda Unida und Podemos, die Gründung der linkssozialistischen Partei Alternativa Socialista (AS) ernstzunehmen und Ex-PSOE Mitglieder nicht nur sichtbar zu machen, sondern strategisch zu unterstützen, sind ins Leere gelaufen.
Seitens Izquierda Unida hat man diese Initiative als möglichen Konkurrenten zum eigenen Versuch gesehen, linke Sozialisten aufzufangen, und Podemos, das ideologisch zum größten Teil im linkssozialistischen Spektrum eingeordnet werden kann, fühlte sich zu sicher mit der Perspektive eines quasi automatischen Überholens (sorpasso) der PSOE nach lateinamerikanischem Vorbild. Es stimmt zwar, dass die Krise des traditionellen Parteiensystems in Spanien, wie in anderen europäischen Ländern auch, weit fortgeschritten ist. Aber das heißt noch lange nicht, dass die spanische Parteienlandschaft mit der Lateinamerikas verglichen werden kann.
3. Ein Großteil der spanischen Linken stellt eine einfache, positive Beziehung her zwischen der nationalen und der sozialen Frage, heute der »Antineoliberalismus«. Der Kern dieser Fehldeutung ist, dass sie Identität und Tradition, die den Kern des nationalen Problems ausmachen, nicht als historisch geworden und politisch konstruierbar sieht, sondern, im Sinne der deutschen Romantik, als ahistorische Wesenheiten behandelt (dagegen: Benedict Anderson und Eric Hobsbawm).
Während die nationalistischen Parteien ihre eigene Tradition und Nation erfunden bzw. an ihr weitergearbeitet haben, hat die gesamtspanische Linke diese Aufgabe nicht aufgenommen, teilweise aufgrund des politischen Paktes der neuen Demokratie mit dem Postfrankismus – ein Pakt, den die PCE lange unterstützt hat –, teilweise weil, im Unterschied zur baskischen und katalanischen »Nation/Tradition«, die sich dank der Existenz einer eigenen Sprache halten konnte, der Franquismus die republikanische »Nation/Tradition« fast vollständig vernichten konnte. Es kommt immer wieder vor, dass linke WählerInnen aus gesamtspanischer Tradition – zum Beispiel Kinder von Mischehen oder Immigranten, die aus dem armen Süden stammen und seit Generationen schon im reichen Norden leben – ihre »klassenspezifische« oder »soziale« Stimme gegen eine »nationale« oder »Traditionsstimme« ausgewechselt haben, um sich gegen den Nationalismus zu stellen bzw. sich enthalten haben. Das hat dann dazu geführt hat, dass die nationalistischen Optionen immer wieder politisch überrepräsentiert waren und, im Kontext des neoliberal-territorialen Konkurrenzdenkens, immer mehr Terrain gewonnen haben. Die »Klassenfrage« ist dann gegenüber der »nationalen Frage« immer mehr zurückgetreten und dabei ist die Linke gegenüber dem »nationalen Argument« in die Defensive geraten.
Sowohl die katalanische Version von Podemos (En Comu Podem) wie auch Izquierda Unida haben sich recht schwer damit getan, hier eine klare und eigene Position einzunehmen, teilweise, weil diese einfach noch nicht richtig ausgereift ist. Dennoch hat Podemos in Katalonien, im Baskenland und auch in Navarra relativ gute Wahlergebnisse auf Kosten der (Links-)Nationalisten erreicht. Der Grund ist, dass, auch wenn hier die Position zur nationalen Frage/Selbständigkeit nicht immer konsequent ausgesprochen wurde, um Stimmen aus den politisierten Mittelklassen mit katalanistischem Milieu zu gewinnen, Podemos für viele Menschen die einzige Option ist, die sich für eine »Mischidentität« einsetzt und somit eine Formel für ganz Spanien verkörpert.
Es ist kein Wunder, dass Esquerra Republicana, die neue große nationalistische Sammlungspartei in Katalonien, ihren Wahlkampf mehr gegen En Comu Podem als gegen den Partido Popular gerichtet hat, da der PP das gleiche Spiel der sich ausschließenden Identitäten spielt wie Esquerra. Nun ist aber diese Mischidentität, die in ganz Spanien von der Linken »erfunden« werden müsste, noch keine Realität wie in Katalonien usw., was dazu geführt hat, dass nochmals viele Linke- und Mitte-Links-WählerInnen ihre Skepsis gegenüber Unidos Podemos mit ihrer Enthaltung verdeutlicht haben, auch wenn Pablo Iglesias versucht hat, alte Fehler zu korrigieren.
4. Ein letztes Argument ist etwas spekulativer und hat mit den falschen Wahlprognosen zu tun. Dieses Mal haben alle Institute falsche Prognosen gemacht. Sogar die letzte, die unmittelbar nach Stimmabgabe vor der Wahlurne gemacht wurde, hat fast eine absolute Mehrheit für eine mögliche Linksregierung unter Führung von Unidos Podemos vorhergesagt. Nach dem jetzigen Stand der Information ist es möglich, dass die Kunden, die die Umfragen in Auftrag gegeben haben (wahrscheinlich gegen einen finanziellen Zuschlag), um die Überrepräsentanz der Wahlkreise gebeten haben, in denen Unidos Podemos mehr Wahlunterstützung genießt. Das Ziel wäre dann gewesen, den Eindruck zu schaffen, dass »linke Populisten« an die Macht kommen. Bei einem so kleinen Stimmunterschied zwischen der PSOE und Unidos Podemos reicht es, dass wenige WählerInnen – auch Anti-Podemos- und Anti-Izquierda-Unida-WählerInnen – darauf reagieren, um den sorpasso unmöglich zu machen. Auf ähnliche, das Gefühl von Unsicherheit verstärkende Weise, kann auch der unerwartete Brexit funktioniert haben.
Die Konservativen haben in den Wahlen 700.000 Stimmen bzw. 4,3 Prozent dazugewonnen, nur teilweise auf Kosten der neuen (neo-)liberalen Partei Ciudadanos und vor allem in Madrid und in den ärmeren Regionen des Südens. Rajoy, der gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen ist, wird es nicht leicht haben, eine Regierung zu bilden. Die PSOE hat die große Koalition, die von Sozialliberalen wie Felipe González immer wieder gefordert wird, strikt abgelehnt und auch Ciudadanos hat Schwierigkeiten damit, wenn nicht eine Regierung mit der PP zu bilden, so doch mit Mariano Rajoy. Der sorpasso ist dieses Mal nicht gelungen, aber das Spiel um die Hegemonie im linken Lager hat erst angefangen.
Armando Fernández Steinko lehrt Soziologie an der Universidad Complutense in Madrid. Seine Einschätzung erschien zuerst auf der Website der Zeitschrift »Sozialismus«.
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