Dallas: »Hier hat dieser Krieg angefangen«
Die Schreckensnacht in Texas kann unabsehbare und unberechenbare Folgen für das ganze Land haben
Es war vielleicht zu befürchten. Aber dass es passieren würde, hat doch niemand kommen sehen. Was in der Nacht zum Freitag in Dallas geschieht, wird der tödlichste Tag für die Polizei in den USA seit dem 11. September 2001. Heckenschützen erschießen fünf Polizisten und verletzen mehrere Menschen. Sie postierten sich entlang der Route einer Demonstration gegen Polizeigewalt.
Bei solchen Demonstrationen gibt es gelegentlich Ausschreitungen, aber diesmal Mal ist die Situation völlig anders. US-Medien beschreiben die Täter als professionell, taktisch trainiert, »offensichtlich Profis«, so der Polizeiexperte von CNN. »Das war nicht das, was man sonst von Protesten kennt.« Sie postierten sich in einem strategischen Dreieck an der Strecke des Marsches, sagt Polizeichef David O. Brown. Sie feuerten von erhöhten Positionen. Einigen Polizisten schossen sie in den Rücken.
Unter blankem Abendhimmel waren etwa 1000 Menschen in der Südstaatenmetropole auf die Straße gegangen, um gegen den Tod zweier Schwarzer zu protestieren, die binnen 48 Stunden von der Polizei erschossen worden waren. Teilnehmer wie Polizei sagen, es sei völlig ruhig und friedlich gewesen. Spät am Abend beginnt, was US-Präsident Barack Obama später verabscheuungswürdig nennen wird, bösartig und kalkuliert.
Polizeichef Brown sagt, die Täter seien mit schnellladenden Gewehren bewaffnet gewesen. Im Fernsehen sind Salven zu hören, Augenzeugen beschreiben tödliche Schüsse aus allernächster Nähe. »Sie haben einen nach dem anderen abgeknallt, einen nach dem anderen«, ruft ein Mann.
Diese Anschläge erschüttern die USA zutiefst, und sie werden extrem nachhallen. Nicht nur hat die Polizei, wie das Militär, einen besonderen Platz in der Gesellschaft. Auch die jahrelange Waffendebatte wird nach diesen Schüssen auf bewaffnete Staatsdiener neu gefeuert werden.
Noch ist unklar, ob es eine Beziehung der Täter zu der Protestbewegung gegen Polizeigewalt gab. Diese Bewegung hat großen Zulauf, weil sich an den Missständen im Verhältnis von Schwarz und Weiß in der Gesellschaft wenig ändert.
Da die Bürgerrechtsbewegung »Black Lives Matter« ein nicht immer eindeutig ablehnendes Verhältnis zu Gewalt hat, begann schon Stunden nach der Bluttat eine erregte, gefährliche Debatte: Trägt die Schwarzenbewegung Schuld? Die Polizei selbst stellt keinerlei Zusammenhang her, informiert vorsichtig, abwartend. Jeder weiß, was Dallas für ein Pulverfass werden kann.
Obama hatte in der Nacht vor Dallas versucht, einen schwierigen Bogen zu schlagen. Ganz Amerika müsse über die toten Schwarzen erschüttert sein, sagte er in Warschau, unmittelbar nach der Landung zum NATO-Gipfel in einem Statement, das war ungewöhnlich. Ja, es gebe Benachteiligungen im Justizsystem, Diskriminierungen. Obama sagte aber auch, dass viele Polizisten einen schweren, einen ausgezeichneten Job machten, und er ihnen sehr danke.
Diese Sätze müssen zeitlich mit den letzten Vorbereitungen der Täter von Dallas zusammengefallen sein. Für 21 Uhr Ortszeit wird das erste »Pop, Pop« schneller Schüsse beschrieben.
Drei Verdächtige werden festgenommen, das Fernsehen zeigt Gefesselte in Tarnkleidung. Mit einem vierten liefert sich die Polizei 45 Minuten Schusswechsel. »Das Ende ist nah«, habe der Mann verkündet, mit in der Nähe platzierten Bomben gedroht. Die Polizei findet keine. Später berichtet der Nachrichtensender CNN - zunächst unbestätigt - der Mann sei tot.
Vor einem Krankenhaus in Dallas weinen Polizisten um ihre toten Kollegen, eine salutierende Reihe ehrenden Respekts. Untergehaktes Krankenhauspersonal schirmt zwei Todesopfer, die aus dem OP geschoben werden, vor Kameras ab.
Lynn May, Augenzeuge, stand an der Lamar Street, sagt er der »Dallas Morning News«, als sich der Protestzug plötzlich in einen Tatort verwandelte. Dort, zeigt er, begannen aus dem Nichts die Schüsse. »Hier hat dieser Krieg angefangen.« dpa
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