Abenomics bis zum Abwinken
Wirtschaftspolitik auf Japanisch: Wahlgeschenke und billiges Geld statt höherer Steuereinnahmen und Jobförderung
Die Wahlplakate auf den Straßen Tokios paraphrasieren die Wohlfühl-themen der letzten Jahre: eine wirtschaftliche Erholung, die Jobs bringe, oder die Stärkung der japanischen Nation, die sich in einer zusehends globalisierten Welt mit Kraft behaupten werde. Wer sollte zu solch vage formulierten Ideen schon nein sagen?
Es scheint ausgemacht, dass Premierminister Shinzo Abe nach seinen Wahlsiegen 2012, 2013 und 2014 auch diesmal wieder die Mehrheit gewinnen wird. Am kommenden Sonntag wird die Hälfte der 242 Sitze im Oberhaus, der zweiten, weniger einflussreichen Kammer des Parlaments, neu vergeben. Was nach einer eher unwichtigen Abstimmung aussieht, ist für die Regierung von großer Bedeutung. Erringt sie nämlich nach dem Unterhaus auch im Oberhaus eine Zweidrittelmehrheit, hätte sie die nötigen Stimmen für eine seit langem angestrebte Verfassungsreform beisammen. Abes rechtskonservative Liberaldemokratische Partei (LDP) will unter anderem den pazifistischen Artikel 9 abschaffen, um die militärische Präsenz zu stärken.
Um das Ziel zu erreichen, hat der Premier teure Wahlgeschenke in Aussicht gestellt. Eines davon ist die Aufschiebung der schon mehrfach verschobenen und zuletzt für April 2017 geplanten Erhöhung der Mehrwertsteuer. Dabei hat kein Industrieland der Welt auch nur annähernd so hohe Staatsschulden wie Japan. Während selbst Griechenland »nur« mit gut 170 Prozent seiner jährlichen Wirtschaftsleistung verschuldet ist, liegt dieser Wert in Japan bei 249 Prozent, Tendenz steigend. Dass hier nicht längst eine riesige Staatspleite ausgebrochen ist, hat Spekulanten schon viel Geld gekostet und versetzt Ökonomen ins Staunen.
Ein Grund dafür, dass Japan nicht so schnell ins Wanken gerät wie Euroländer, ist die Kontrolle über die Geldpolitik. Die Regierung muss sich nicht um die Aufnahme neuer Schulden streiten, die Bank of Japan druckt einfach Geld. Außerdem gilt die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt als sicherer Hafen für Anleger. So verkauft sich kaum eine Staatsanleihe so teuer wie die japanische, die praktisch überhaupt nicht verzinst ist. Und dennoch befinden sich die Verbindlichkeiten zu rund 90 Prozent in der Hand einheimischer Investoren, vor allem Banken und Pensionsfonds. Wenn es um das Wohl ihrer eigenen Wirtschaft geht, sind japanische Anleger offensichtlich bereit, auch ohne Zinsen Geld zu leihen.
Nur wird es nicht ewig so weitergehen. Die Wirtschaftspolitik von Premier Shinzo Abe. »Abenomics«, gilt als gescheitert. Die Kombination aus noch höheren Staatsausgaben, einer noch lockereren Geldpolitik und bisher bloß der Ankündigung wachstumsfördernder Strukturreformen hat nicht die versprochenen Effekte erbracht. Pro Jahr erreichte Japan in Abes Amtszeit nur 0,8 Prozent Wachstum statt angekündigten drei Prozent. Die Reallöhne sind praktisch nicht gestiegen. Und so sprudeln auch die Staatseinnahmen nicht wie erhofft, was die Schulden weiter erhöht.
Als die Briten Ende Juni zudem für den »Brexit« stimmten, wurde Japan auch noch bei den folgenden Turbulenzen zu einem der Leidtragenden. Denn die Finanzmärkte verschoben ihr Geld schnell von Großbritannien etwa in den »sicheren Hafen« Ostasien. Dort, wo zwar geringe Zinsen gezahlt werden, aber eine relativ robuste Wirtschaft, politische Stabilität und eine starke Währung für sicher gehalten werden. So legte der Wert des Yen binnen einer Woche gegenüber dem Euro gleich um knapp ein Zehntel zu, gegenüber dem Pfund sogar um fast 15 Prozent. Genau das ist allerdings Gift für Premier Abes exportorientierte Heimat. Die Regierung wie auch die Zentralbank kündigte schon an, für Gegenmaßnahmen bereitzustehen, damit der Yen nicht noch stärker wird. In anderen Worten: um weiter frisches Geld zu drucken. Dieses ist aber nicht für die Realwirtschaft gedacht, sondern zur Beruhigung der Investoren.
Laut Takatoshi Ito, Ökonom an der Universität Tokio, könnte Japan nach dem aktuellen Trend ab 2022 in eine Schuldenkrise geraten. Nach seinen Berechnungen wäre dies der Punkt, an dem die inländischen Gläubiger, die Japan bisher Geld leihen, nicht mehr die Kapazitäten haben, weitere Schulden zu absorbieren. Dann müsste sich Japan im Ausland verschulden, und dort würde man vermutlich Risikoaufschläge verlangen.
Schon jetzt fließt knapp die Hälfte der Steuereinnahmen in die Schuldentilgung, obwohl die Zinsen nahe null liegen. Die einst im Namen der Haushaltsdisziplin angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer auf zehn Prozent könnte hier helfen. Oder auch nicht: So rutschte die Wirtschaft vor zwei Jahren in eine Rezession, als die Abgabe von fünf auf acht Prozent angehoben wurde. Ökonom Ito hält indes eine Mehrwertsteuer von 23 Prozent für nötig, um den Haushalt »mittelfristig zu konsolidieren«. Auch die zuletzt stark gesenkte Körperschaftsteuer auf Unternehmen sollte noch steigen. Wobei viele Ökonomen den größten Spielraum bei der im internationalen Vergleich niedrigen Konsumabgabe sehen - diese würde nämlich überproportional die älteren, im Schnitt wohlhabenderen Generationen belasten, die im Rentenalter einen größeren Anteil ihres Einkommens verkonsumieren.
Allerdings ist die Generation der Babyboomer ein Grund, warum Japan die Zeit davonlaufen könnte. In der Rente leben viele von ihren Ersparnissen, weshalb sie Staatsanleihen zu Geld machen. Stoßen aber viele diese gleichzeitig ab, dürfte der Preis fallen und dadurch die Zinsen steigen. Die Schuldentilgung würde dann teurer. Dass die Jüngeren bei den Staatsanleihen einspringen, ist nicht zu erwarten: In Japan wird besonders oft prekär arbeitet - wegen der geringen Einkommen ist Sparen kaum möglich.
Japan könnte es künftig also an Gläubigern mangeln. Derzeit ist der Staat mit durchschnittlich 7,6 Millionen Yen (rund 62 000 Euro) bei jedem seiner Bürger verschuldet. Wissenschaftler Ito sagt mit Blick auf die Jüngeren: »Die Generation, die nicht so viel auf der hohen Kante hat, wird das Geld noch brauchen.«
Darüber wird in Tokio nicht gern gesprochen und lieber die Aufschiebung der Mehrwertsteuererhöhung als Hilfe für alle verkauft, auch wenn mit einer Belebung des Arbeitsmarktes Japan weit mehr geholfen wäre. Aber jetzt, wo der Premier dringend Stimmen für seine Verfassungsreform braucht, passen kurzfristige Geschenke besser in den Kram.
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