Die große Aufgabe
Statt einer »Maschinensteuer«: Frank Rieger plädiert für eine Vergesellschaftung der Automatisierungsdividende
Wie viele Menschen werden zukünftig noch arbeiten? Wie wird der Lebensunterhalt von denen finanziert, deren Talente und Fähigkeiten gerade nicht oder nie wieder marktgängig sind? Welche Wege gibt es, den Fortschritt beim Ersetzen menschlicher Arbeitskraft so zu gestalten, dass die Spaltung der Gesellschaft nicht noch weiter vertieft wird? Diese Fragen waren noch vor zwei Jahren fast ausschließlich auf Veranstaltungen im links-alternativen Kulturkreis zu finden. Heute sind sie Kernthemen bei Elitetreffen wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos. CEOs und Investoren debattieren verschiedene Modelle eines universellen Grundeinkommens. Die Vorherrschaft der »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen«-Ideologie neigt sich dem Ende zu. Woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?
Es ist eine einfache aber grundlegende Erkenntnis: Wenn immer weniger Menschen in Lohn und Brot sind, nehmen auch immer weniger Menschen am Konsumkreislauf teil. Das gefährdet die Marktwirtschaft im bisherigen Sinne in ihren Grundfesten. Und wer nicht teilhaben kann am materiellen Wohlstand, neigt letztendlich auch eher dazu, seinem Unmut durch Stimmenabgabe für nationalistische Parteien Ausdruck zu verleihen, die Widerstand gegen die »alternativlose« neoliberale Globalisierungsagenda versprechen. Die Brexit-Abstimmung, der Aufstieg von xenophoben Parteien in Europa und von Trump in den USA sind hinreichende Warnsignale. Die Zahl der komplett Abgehängten und prekär Beschäftigten hat bereits eine kritische Masse erreicht - und die großen Automatisierungswellen kommen erst noch.
Frank Rieger ist einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs.
Zwar gibt es immer noch viele Anhänger der Überzeugung, dass »der Markt« schon rechtzeitig neue Arbeitsplätze schaffen wird, für die von Robotern, Machine-Learning und Digitalisierung überflüssig gemachten Menschen. Schließlich war es ja - so die Argumentation - bisher auch immer so. Übersehen wird dabei jedoch der Faktor Geschwindigkeit. In der Vergangenheit dauerten Automatisierungswellen - wie etwa in der Landwirtschaft - mehrere Jahrzehnte. Jedoch ist bereits jetzt absehbar, dass diese Erfahrungen nicht in die Zukunft übertragbar sind. Die Einführung neuer Technik in der Breite - wie selbstfahrende Lkws - dauert heute nur wenige Jahre. Entsprechend schnell und heftig treten die Folgen für die Betroffenen ein. Vielleicht gibt es ja auch irgendwann neue Tätigkeiten für die Wegautomatisierten. Alle Statistiken deuten jedoch darauf hin, dass neue Arbeitsplätze in den Digitalindustrien bei weitem nicht in dem notwendigen Umfang entstehen - und oft genug eher prekärer und unsicherer Natur sind.
Wie aber finanziert man ein universelles Grundeinkommen? Roboter, Maschinen oder Computer zu besteuern - die sogenannte Maschinensteuer - ist ein in der Praxis untaugliches Konzept. Viele Menschen werden ihren Arbeitsplatz nicht an einen real präsenten Roboter verlieren, sondern an »intelligente« Software, die irgendwo in einem Cloud-Datacenter läuft. Das wiederum gehört nicht einmal der Firma, die davon profitiert. Die Auflösung der physischen Präsenz künstlicher Intelligenz macht jede Vorstellung von Abzählbarkeit anhand der eingesetzten Hardware zunichte.
Was sich aber sehr wohl messen, quantifizieren und damit gerecht verteilen lässt, ist die Automatisierungsdividende. Der finanzielle Gewinn durch den Technikeinsatz ist ermittelbar, die Anzahl der wegfallenden Arbeitsplätze auch. Hier gilt es anzusetzen. Die große Aufgabe ist, praktikable und gerechte Modelle für ein neues, unbürokratischen Sozialsystem zu finden, dessen Finanzierung immer weniger auf der Besteuerung menschlicher Arbeit beruht.
Wie konkret die Gewinne aus der Automatisierung dafür herangezogen werden, wie sie verteilt werden und was die Bedingungen für ein Grundeinkommen sind - darüber werden in den nächsten Jahren hitzige Debatten geführt werden. Die Details werden wichtig: Sie werden einen großen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Hier wird sich entscheiden, ob wir am Ende in einem digital unterfütterten Neofeudalismus landen oder in einer offenen, partizipativen Gesellschaft. Auch auf die Linke werden dabei schwierige Zielkonflikte zukommen: Wer wird alles ein Anrecht auf das Grundeinkommen bekommen? Derzeit würden die Kriterien dafür hart abgrenzend, nationalstaatlich, bestenfalls europäisch sein.
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