Die Profiteure der Brexit-Angst
Montserrat Galcerán von Ahora Madrid über die Folgen des britischen Referendums für die spanische Linke
Das Referendum über den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäische Union fand am 23. Juni statt – die spanischen Wahlen nur drei Tage später. Wie hat des Brexit-Votum den Ausgang der Wahlen beeinflusst? Diese Frage ist schwierig zu beantworten, weil in Spanien die Wahlumfragen in den letzten fünf Tagen vor einer Wahl verboten sind. Nachspüren kann man die Entwicklung lediglich in der Tageszeitung »El Periòdic d‘Andorra«, da in dem Kleinstaat Umfragen erlaubt sind.
Laut dieser Zeitung lag die Linke noch am 24. Juni – dem Tag der Bekanntgabe des Brexit-Ergebnisses – vorne: Unidos Podemos und die PSOE hätten zusammen nur einen Abgeordnetenplatz mehr benötigt, um die absolute Mehrheit zu erlangen. Einen Tag später ist ein starker Aufstieg der konservativen Partido Popular und ein Rückgang von Unidos Podemos verzeichnet. Die Ergebnisse der Wahl vom 26. Juni kennen wir.
Seit dem britischen Referendum herrscht in Spanien eine große Unsicherheit: Könnte ein Austritt Großbritanniens die Wirtschaft beschädigen? Die rechten Medien wussten diese Sorgen bis zum letzten Tropfen auszupressen. So hat die konservativ-monarchistische Tageszeitung »ABC« am 24. Juni auf Angst gesetzt, als sie die These verbreitete, die beginnende, vorsichtige wirtschaftliche Erholung könne durch den Brexit enden. »El Economista« schrieb, dass das Wachstum laut Wall-Street-Prognosen drastisch schrumpfen würde.
»El Mundo« hat das Unglück, das sich über den Spaniern zusammen brauen würde, folgendermaßen zusammengefasst: Verlust des Arbeitsplatzes, Rückgang des Tourismus, Bremse der Investitionen – sogar ein Einschnitt der Sozialleistungen für jene Menschen, die in den letzten Jahren im Vereinigten Königreich gearbeitet haben, wurde an die Wand gemalt. »Okdiario« fügte ein weiteres Argument hinzu: Der Austritt Großbritanniens erhöhe den Einfluss der Nationalisten, was aufgrund der Situation in Katalonien Ängste vor einen Auseinanderfallen des spanischen Staates auslöst.
Es wurde eine regelrechte Kampagne der Angst inszeniert, in der sich die traditionellen Parteien als einzige Garanten für Stabilität gegen die angeblich bevorstehenden Turbulenzen darstellten. Wir sind an eine große Schamlosigkeit der spanischen Rechten gewöhnt – aber diesmal sind sie noch einen Schritt weiter gegangen. Sie haben das aufgebaute Gefühl der Unsicherheit radikal zu ihrem Vorteil ausgenutzt.
Was aber wären tatsächlich Auswirkungen eines Brexit auf die spanische Wirtschaft? Die wahrscheinlichsten Einflüsse sind im Tourismus, der Immobilienwirtschaft und dem Bankwesen zu erwarten. Außerdem dürften die bisherigen Vorteile für zahlreiche spanische Emigranten betroffen sein, die derzeit in Großbritannien arbeiten.
23 Prozent der Touristen in Spanien, insbesondere an der südspanischen Costa del Sol, sind Briten – überwiegend Rentner. Eine Wertsenkung des Pfundes würde ihrem Lebensstandard schaden und den Vorteil der spanischen Preise für ihr Renteneinkommen verringern. Das gleiche passiert mit den Immobilien, die an den Küsten häufig in der Hand von Rentnern sind. Darüber hinaus erwirtschaften der Bankensektor sowie einige Großunternehmen wie Telefónica einen wichtigen Teil ihres Gewinns im Vereinigten Königreich. Und hinzu kommen die vielen jungen Auswanderer aus der spanischen Mittelschicht, die in Großbritannien leben.
Es waren die hieraus sich ergebenden Unsicherheiten, verstärkt durch das Schüren der Angst in den rechten Medien, die insbesondere die Älteren in der spanischen Bevölkerung – deren Rente aus kleinen Einkommen durch Aktien oder Mietwohnungen besteht – bei ihrer Stimmentscheidung beeinflusste.
Das Wahlergebnis ist eine Katastrophe für den Transformationsprozess in Spanien. Und es zeigt deutlich, dass Europa machtvolle soziale Bewegungen braucht. Diese müssen in der Lage sein, die Finanzverwaltung der Europäischen Gemeinschaft in Schach zu halten. Nichts wäre bedauerlicher, als wenn durch demokratische Verfahren wie ein Referendum eine Panik erzeugt wird, die die Möglichkeiten einer demokratischen Transformation verschlechtert.
Angst und Unwissenheit sind die Basis für eine rückwärtsgewandte Politik. Niemand weiß diese Leidenschaften besser auszunutzen als die Rechte – in Spanien wie anderswo in Europa.
Montserrat Galcerán ist Philosophin und Abgeordnete des linken Bündnisses Ahora Madrid.
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