»Sie waren so demütigend«
Deutsche Grexit-Drohung, griechische Geheimpläne und der Mangel an politischer Aufarbeitung: ein Jahr nach #ThisIsACoup
In Athen versucht die Opposition derzeit politischen Honig aus einer Geschichte zu saugen, die eigentlich schon ein alter Hut ist: In der SYRIZA-geführten Regierung hat man sich vor und während des »griechischen Frühlings« für den Fall eines erzwungenen Ausscheidens aus dem Euro vorbereitet. Die Kritiker sprechen nun aber sogar von einem »Staatsstreich, der niemals kam«. Warum jetzt?
Weil der Berater des damaligen Finanzministers Yanis Varoufakis, der US-Ökonom James K. Galbraith, gerade ein Buch vorgelegt hat, in dem es unter anderem um jenen berühmten »Plan X« geht, mit dem sich die linksgeführte Regierung des kleinen europäischen Landes wappnen wollte für etwas, nach dem EU-weit seinerzeit vor allem die politische Rechte und die Neoliberalen laut und deutlich riefen: den Grexit. Nicht aus freien Stücken. Sondern als Maßnahme, die Athen treffen sollte.
Wie richtig man in Griechenland damit lag, so weit wie möglich auszuloten, was geschehen würde und wie darauf zu reagieren sei, zeigte sich vor genau einem Jahr: Das deutsche Finanzministerium drohte in einem Non-Paper kurz vor dem entscheidenden Brüsseler Gipfel über ein neues Kreditprogramm Griechenland mit dem Rauswurf aus dem Euro. Die sozialen, ökonomischen und politischen Folgen wären gravierend gewesen.
Zwar gab es auch in der Linkspartei SYRIZA einige, die mit dem Austritt aus der Gemeinschaftswährung spekulierten. Aber keiner der wirklich Verantwortlichen in Athen wollte einen derart hoch gefährlichen Schritt auch forcieren oder selbst gehen. Die Überlegungen, wie man auf einen erzwungenen Grexit reagiert, erfolgten geheim - was kein Wunder ist angesichts der möglichen Folgen eines Bekanntwerdens: noch weitere Verunsicherung von Sparern, Unternehmen, die möglichen Reaktionen der Anleger spekulativen Finanzkapitals und so weiter.
»Revolte gegen den Euro«: Aber von wem?
Als im Sommer 2015 Auszüge aus dem Mitschnitt einer Telefonkonferenz veröffentlicht wurden, bei der Yanis Varoufakis über einen Teil dieser Gedankenspiele berichtete, brach ein europaweiter Sturm entrüsteter Schlagzeilen los. Gegen den damals frisch zurückgetretenen Finanzminister wurde sogar Anzeige wegen Hochverrats erstattet. Von einem »Grexit-Hack« und einem »Drachme-Putsch« war damals zu lesen, es wurde miteinander vermengt, was nicht zusammenpasste. Hauptsache die Botschaft stimmte: Die griechische Linksregierung plane eine »Revolte gegen den Euro«.
Varoufakis hatte zu diesem Zeitpunkt schon längst enthüllt, was eigentlich keine Überraschung und noch weniger ein Skandal zu nennen ist: In einem der ersten Interviews nach seinem Rücktritt berichtete er von jener »kleinen Gruppe«, die »auf dem Papier ausgearbeitet« hatte, was »im Falle dessen gemacht werden müsste« – im Falle des Grexits. Eine Gruppe von Experten, die sich von etwa März bis Mai unter teils konspirativen Umständen traf und schließlich dem Finanzminister einen langen Bericht übergab.
Varoufakis und Galbraith waren übrigens nicht die Einzigen, die über die möglichen Konsequenzen eines Grexits nachdachten. Die griechische Nationalbank, die Finanzministerien diverser Euro-Staaten, internationale Organisationen - und sie dachten darüber nicht erst seit dem Amtsantritt der SYRIZA-Regierung nach.
Doch weil Varoufakis dann seit Ende Januar 2015 verkörperte, woran sich europaweit die veröffentlichte Meinung abarbeitete - ein Anti-Politiker, ein Intellektueller im Amt, ein Ökonom, der plötzlich mit dem politischen Betrieb konfrontiert war -, stand vor ein paar Monaten noch der Finanzminister im Fokus empörungsgeleiteter Berichterstattung. Nun, da Varoufakis als Bewegungslinker seinen Kampf um ein solidarisches Europa fortsetzt, versucht die Opposition in Griechenland, die Grexit-Verteidigung direkt Premier Tsipras anzulasten.
Wie die Opposition in Athen den »Geheimplan« ausschlachtet
Gerade erst hat die konservative Nea Dimokratia ihre Forderung nach einer parlamentarischen Untersuchung erneuert. Die Vorsitzende der sozialdemokratischen Pasok, Fofi Gennimata, ruft nach Ermittlungen wegen des »Geheimplans«. Und selbst innerhalb von SYRIZA ist die Aufregung nicht viel kleiner. Vize-Finanzminister Giorgos Houliarakis keulte in der vergangenen Woche im Parlament gegen Galbraith - offenbar sah er sich in der Defensive. Ex-SYRIZA-Mann Panagiotis Lafazanis, der inzwischen die erfolglose Abspaltung Laiki Enotita anführt, hatte wiederum aus seiner Perspektive Kritik am »Plan X« vorzubringen: Die Regierung von Alexis Tsipras habe nie einen wirklichen Plan gehabt - weder für einen Ausstieg aus dem Euro noch für die Verhandlungen mit den Gläubigern.
Dass sich die verbalen Volten jetzt vor allem gegen Tsipras wenden, hat nicht nur damit zu tun, dass Varoufakis nicht mehr Mitglied der griechischen Regierung ist, sondern auch mit dem Erscheinen von Galbraiths Buch. Darin findet sich zwar kein Hinweis darauf, dass auch Premier Tsipras von der Grexit-AG wusste. Der US-Ökonom wies aber in einem kleinen Beitrag für die Website von Varoufakis’ linker Europabewegung DiEM25 darauf hin, dass die »Vorbereitung eines vorläufigen Plans für den Fall, dass Griechenland aus dem Euro gedrängt wird« nicht zuletzt »auf Ersuchen des Premierministers« erfolgte. Seither wittern die Kontrahenten von SYRIZA ihre Chance, aus der Sache politisches Kapital zu schlagen.
Tsipras’ Hinweis: Fragen Sie doch in Berlin
Die Debatte in Griechenland hat allerdings eine große Leerstelle: die Rolle der Bundesregierung. Es war übrigens Tsipras selbst, der schon im vergangenen Jahr darauf hinwies. Varoufakis verteidigend, der damals gerade wieder im Kreuzfeuer stand, gab der Premier den wohl einzig wirklich entscheidenden Hinweis: »Fragen Sie doch die Regierung in Berlin«, so Tsipras im Juli 2015, »Sie wird Ihnen erklären, was das für ein Plan ist.«
Dass es nach dem Wahlsieg von SYRIZA immer wieder Grexit-Forderungen auch deutscher Politiker gab, ist das eine. Dass das Finanzministerium in einem halboffiziellen Papier die Erpressung der griechischen Regierung mit einem Grexit auf den Verhandlungstisch legt, ist das andere.
Was damals aus dem Hause von Wolfgang Schäuble kam, sollte erstens einen Kompromissvorschlag aus Athen pulverisieren. Es war zweitens von dem Gedanken getragen, unbedingt den Internationalen Währungsfonds an Bord eines neuen Kreditprogramms zu halten. Es zielte drittens darauf ab, die SYRIZA-geführte Regierung vor die Wahl »Entweder oder« zu stellen. Entweder, Tsipras unterwirft sich im Wesentlichen den Forderungen der Gläubiger. Oder es »sollten Griechenland rasche Verhandlungen über eine Auszeit von der Eurozone über mindestens die kommenden fünf Jahre« angeboten werden. Was für ein Angebot.
Ein Datum, das man sich immer noch merken muss
Als das Non-Paper am 11. Juli 2015, es war ein Samstag, in der Öffentlichkeit bekannt wurde, sorgte dies für ein mittleres politisches Erdbeben - und das in einer Zeit, in der in Sachen Griechenland und Eurokrisenpolitik nun wahrlich kein Mangel an historischen Ereignissen bestand. Jemand schrieb damals auf Twitter, man müsse sich das Datum merken: Die deutsche Regierung droht Athen mit der Alternative Rauswurf aus dem Euro oder Akzeptanz eines kompletten Ausverkaufs des Landes unter ausländischer Kontrolle. Und klar war auch: Dass das Papier in die Öffentlichkeit kam, war kein Versehen. Das ist eine der Eigenschaften solcher Non-Paper, also: Nicht-Papiere. Selbst wenn sie offiziell nicht existent sind, entfalten sie natürlich eine offizielle Wirkung. Es muss nur jemand wollen, dass sie bekannt werden.
Die Folgen, zu denen das Non-Paper maßgeblich mit beigetragen hat, sind bekannt: In der Nacht vom 12. zum 13. Juli 2015 akzeptierte Premier Tsipras in stundenlangen nächtlichen Verhandlungen unter dem Druck der Grexit-Drohung das mit schweren Auflagen verbundene dritte Kreditprogramm für Griechenland. Varoufakis wird später von einem Moment der Niederlage sprechen; es sei »das bestmögliche Ergebnis«, versuchte man damals im Büro des Ministerpräsidenten ein bisschen gut Wetter zu machen.
Die deutsche Rolle in dem Spiel gegen Athen, vor allem die Rolle der Grexit-Drohung und des Non-Papers, sind bisher aber kaum wirklich aufgeklärt. Die SPD behauptete damals zunächst, nichts davon gewusst zu haben - Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel äußerte sich anders. Die Tatsache, dass der »Vorschlag« für einen zumindest vorübergehenden Grexit am Parlament vorbei lanciert wurde, empörte die Opposition. Selbst Sozialdemokraten äußerten seinerzeit die berechtige Befürchtung, ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone wäre das Ende der Gemeinschaftswährung gewesen. Das Ergebnis war dann ein anderes - aber auch dieses hatte schwerwiegende Konsequenzen: für Griechenland.
Aufarbeitung? Bisher weitgehend Fehlanzeige
Unmittelbar nach dem Brüsseler Gipfel redete sich die Bundesregierung damit heraus, das Non-Paper sei für den Fall formuliert worden, dass »Griechenland von sich aus den Wunsch geäußert hätte, beispielsweise eine Auszeit aus dem Euro zu nehmen« - immer wieder hatten Politiker in Athen erklärt, unbedingt im Euro bleiben zu wollen. Die Ungereimtheiten in der Frage, ob und wann die Grexit-Option denn nun wirklich zwischen Finanzminister und Wirtschaftsminister besprochen wurden, bestehen bis heute.
Die Kritik daran, dass das »Steffen-Papier«, wie es bisweilen in der griechischen Presse mit Blick auf den deutschen Finanzstaatssekretär Thomas Steffen, den Vertreter in der Euro Working Group, welche die Treffen der Minister vorbereitet, am Bundestag vorbei zum politischen Hebel gegen Griechenland wurde, ist von Regierungsseite ebenfalls vom Tisch gefegt worden. Zur Erinnerung: Das Non-Paper lag an einem Samstag der Eurogruppe vor und wurde erst am Sonntag danach dem Bundestag zugeleitet. Es sei »kein Verhandlungsdokument« im Sinne der parlamentarischen Beteiligungsvorschriften gewesen, so die Regierung - also habe auch kein Grund zur Vorabinformation bestanden.
Eine Antwort der Bundesregierung auf einige Fragen im Zusammenhang mit dem Non-Paper fiel im August 2015 sehr schmallippig aus. Grexit? »Eine solche Entscheidung wäre Sache der griechischen Regierung gewesen.« Und wozu dann das Non-Paper? Es »zeigte Optionen für das weitere Vorgehen auf«. Was wusste Gabriel wirklich? »Der Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, hat im Vorfeld der Eurogruppensitzung am Wochenende vom 11. Juli 2015 Gespräche innerhalb der Bundesregierung geführt, die Optionen für Griechenland zum Inhalt hatten.«
»Be used as a way of pushing the Greek government«
Was wirklich hinter der Sache stecken könnte, darauf hat die konservative Athener Zeitung »Kathimerini« einen kleinen Ausblick geboten. Bereits am 6. Juli 2015, also fast eine Woche vor dem Eurogruppentreffen, soll Angela Merkel höchstselbst gegenüber Francois Hollande die Idee einer »fünfjährigen Euro-Auszeit« für Griechenland vorgeschlagen haben. Der französische Präsident habe sich ablehnend geäußert, weder helfe ein solcher Schritt Griechenland bei der Lösung seiner Probleme noch könne man sicher absehen, ob es bei einer vorübergehenden »Auszeit« bleibe.
»Kathimerini« äußert die Vermutung, dass die Grexit-Idee dann am 9. Juli 2015 auch zwischen Merkel, Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier besprochen wurde - als Instrument, die Regierung in Athen dazu zu drängen, ein neues Kreditprogramm nach dem Willen der Gläubiger zu akzeptieren (»be used as a way of pushing the Greek government«). Tags darauf, nur 24 Stunden vor der entscheidenden Eurogruppensitzung, machte das Non-Paper per Email an die Vertreter der Euro Working Group die Runde. Wie dann schließlich Finanzminister Schäuble die Grexit-Drohung zur Erpressung der Regierung in Athen nutzte, sei allerdings über das hinausgegangen, was man zwischen den Koalitionsspitzen verabredet habe, schrieb »Kathimerini«.
Die Quelle des Blattes: ein mit den seinerzeit geführten Verhandlungen vertrauter deutscher Regierungsbeamter. »Was uns an dem Non-Paper schockierte, war die Art und Weise, in der sie die Bedingungen für einen Verbleib Griechenlands im Euro festlegte. Sie waren so demütigend, dass es das Ziel zu sein schien, dass Griechenland sie nicht akzeptiert.« Die Folge wäre ein Grexit gewesen.
Wer also verfolgte hier wirklich einen »Plan B«? Es sei nicht die Aufgabe der Arbeitsgruppe um Galbraith gewesen, Empfehlungen für einen Ausstieg aus dem Euro zu machen, schreibt Galbraith rückblickend. Und so habe man auch keine abgegeben. »Wir bereiteten uns für ein Szenario vor, das jeder hoffte vermeiden zu können.« Nicht Yanis Varoufakis und einige andere waren es, die einen Putsch planten.
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