Rote Linien bei CETA überschritten
Im linken Flügel der SPD formiert sich Widerstand gegen das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen
Mehr als zwei Monate vor dem nächsten Parteikonvent der Sozialdemokraten wirbt das Forum DL 21 dafür, das Freihandelsabkommen CETA abzulehnen. Die Vorsitzende des linken SPD-Vereins, Hilde Mattheis, verschickte nun Antragsvordrucke, mit denen sich die Delegierten beim Kleinen Parteitag in Wolfsburg am 19. September gegen den Vertrag zwischen der Europäischen Union und Kanada wenden können. Darin werden SPD-Vertreter im Rat, im Europäischen Parlament und im Bundestag aufgefordert, das Abkommen abzulehnen. Mattheis monierte, dass CETA in der vorliegenden Form in wesentlichen Punkten im Widerspruch zum Beschluss des SPD-Konvents aus dem Jahre 2014 stehe.
Damals hatten die Sozialdemokraten rote Linien für CETA sowie für das TTIP-Abkommen formuliert, über das die EU mit den USA verhandelt. Im Zentrum der Kritik stehen die Schiedsgerichte. Zwar wird der Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel von der DL 21 dafür gelobt, in den Nachverhandlungen zu CETA mit seinem Einsatz für ein reformiertes Investor-Staat-Schiedsverfahren mit Hilfe eines internationalen Schiedsgerichtshofes Verbesserungen erreicht zu haben, doch dies reicht dem Verein nicht aus.
Denn auch die reformierten Schiedsgerichte würden einseitig die Interessen von Investoren schützen. Konzerne können dann Staaten verklagen, wenn sie ihre Gewinne geschmälert sehen. »Diese Schiedsgerichte führen zu einem Ungleichverhältnis zugunsten des Kapitals und zulasten der Arbeitnehmer«, heißt es in einem Antrag der DL 21. Dies hat auch Auswirkungen auf die Arbeit von Parlamenten. Wenn ihnen Gesetzesvorhaben nicht genehm sind, können große Unternehmen mit Klagen vor Schiedsgerichten drohen, die hohe Schadenersatzansprüche zur Folge hätten.
»Es ist allgemein problematisch, dass beim CETA-Abkommen die ökonomischen Zielsetzungen massiv überwiegen«, kritisierte Mattheis gegenüber »nd«. Sie befürchte, dass Sozial- und Umweltstandards durch die Hintertür ausgehöhlt werden. Die Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg warnte davor, dass etwa öffentliche Dienstleistungen, die nicht explizit von Liberalisierung ausgenommen sind, in privatwirtschaftliche Hand geraten könnten. Mattheis lehnt den Freihandel allerdings nicht grundsätzlich ab. »Das Gebot der Stunde wäre vielmehr ein fairer Handel«, erklärte sie. Als Bedingungen für ein Abkommen nannte sie unter anderem den Verzicht auf Schiedsgerichte und die verbindliche Umsetzung der ILO-Kernarbeitsnormen durch die Kanadier. Kanada akzeptiert lediglich sechs von acht dieser Normen: Das Mindestalter für die Zulassung von Beschäftigung und die Gleichheit des Entgelts für männliche und weibliche Arbeitskräfte sind nicht Bestandteil von CETA.
Mit ihrem Aufruf stellt sich die DL 21 auch gegen Sigmar Gabriel, der zurzeit bei seinen Genossen für die Unterstützung von CETA kämpft. Nach Ansicht von Mattheis stehe ihr Verein mit seinen Anträgen »mitten in unserer Partei«. »Nach meiner Wahrnehmung sieht der größte Teil der SPD die Freihandelsabkommen sehr kritisch«, sagte die Parteilinke. Sie könne sich nicht vorstellen, dass ihre Partei einem Abkommen, wo nicht alle 14 von der SPD beschlossenen Punkte enthalten seien, zustimmen werde.
Die DL 21 beruft sich unter anderem auf eine Analyse der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen in Nordrhein-Westfalen. Darin kritisieren die Rechtsexperten, dass CETA mit dem Vertragsinhalt und den Schiedsgerichten »eine Nebenverfassung und ein Nebenverfassungsgericht« etabliere.
Andere linke Sozialdemokraten äußerten sich zwar ebenfalls kritisch, aber etwas zurückhaltender. Matthias Miersch, Chef der SPD-Bundestagslinken, hatte vor wenigen Tagen der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, er habe deutliche Bedenken, ob die roten Linien der SPD bei CETA nicht an zentralen Stellen überschritten seien. Zunächst müssten aber die 1600 Seiten Vertragstext mit Anlagen sorgfältig analysiert werden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!