Seelsorger mit Bodyguards
In Guatemala wird der Pfarrer José Pilar Álvarez Cabrera wegen seines Einsatzes für die Umwelt bedroht
Avocados, Mandarinen, Orangen, Bananen, Yucca, Mais und viele weitere Früchte und Gemüsesorten liegen auf einem Stück Stoff in der Mitte der Holzterrasse der Casa Campesina. Das Bauernhaus befindet sich in der Siedlung La Tramentina im Verwaltungsbezirk Zacapa und gehört der Lutherischen Kirche Guatemalas. Hier diskutieren der evangelische Priester José Pilar Álvarez Cabrera und mehrere Dutzend Kleinbauern aus den Bergen von La Unión und Las Granadillas hin und wieder, wie es weitergehen soll und wo sie in den nächsten zwei, drei Jahren die Schwerpunkte der Arbeit setzen wollen. »Wir arbeiten gerade am Projektantrag für ›Brot für die Welt‹ und hoffen, dass unsere Arbeit auch im nächsten Jahr gefördert wird«, erklärt der mittelgroße Mann mit dem schwarzen, buschigen Schnauzer.
José Pilar Álvarez Cabrera könnte man ohne weiteres für einen Bauern halten, wenn da nicht die beiden Männer wären, deren Hemden sich in Höhe der Hüfte ausbeulen. Das sind die beiden Bodyguards, die den evangelischen Priester auf Schritt und Tritt begleiten. »24 Stunden am Tag. Ein Team von acht Personenschützern kümmert sich um mich«, sagt José Pilar schulterzuckend. Pilar, Pfarrer, Umweltaktivist und Vorsitzender der lutherischen Kirche Guatemalas (Ilugua) in Personalunion, hat sich daran gewöhnt, denn die untersetzten Männer begleiten ihn seit mehr als sieben Jahren rund um die Uhr.
Der Personenschutz für den Pfarrer wurde gerichtlich angeordnet, weil er immer wieder Morddrohungen erhalten hat. Der streitbare Mann setzt sich für den Schutz der Nebelwälder in den Bergen von Las Grandallias und La Unión ein, weil sie für den Wasserhaushalt der ohnehin schon von Trockenheit gebeutelten Gegend extrem wichtig sind. »Doch es wird abgeholzt, ohne zu bedenken, dass die langen Dürrephasen, die es in der Provinz schon gibt, eine direkte Folge sind. Für die Kleinbauern in den Bergen ist das ein Desaster«, erklärt der 53-jährige Pilar. Er hat die »Ökumenische Koordination für die Verteidigung und den Schutz des Lebens« initiiert, die das Ziel verfolgt, das Quellgebiet der Flüsse zu schützen. Pilar ist bei einfachen Bauern und Indigenen beliebt, weil er sich für ihre Belange einsetzt, direkte Partizipation einfordert und Missstände klar benennt.
Ein Missstand, den José Pilar anprangert, ist der illegale Holzeinschlag in der Nähe der Kleinstadt La Unión. Nicht allein, sondern an jenem Tag zusammen mit den beiden Kleinbauern Luis Ramírez de Rosa und Edgar Hernández García aus dem Dorf Las Flores. Alle drei engagieren sich für den Schutz der Umwelt. »Ich bin überzeugt davon, dass wir nur mit nachhaltigen Anbaumethoden voran kommen, wir müssen schonender mit den Ressourcen umgehen«, schildert Ramírez de Rosa die zentrale Herausforderung. Der 46-Jährige engagiert sich in Las Flores für den Bioanbau und dafür, dass die indigenen Bauern Titel für ihr Land einfordern.
»Landkonflikte sind ein klassisches Problem in Guatemala. Viele Großgrundbesitzer nehmen das Land von Kleinbauern, aber auch das kommunale Land ins Visier«, erklärt der gläubige Christ und steigt in den Pick-up von Pfarrer Pilar. Der ist pünktlich um sechs Uhr morgens vorgefahren, die Bodyguards auf der Ladefläche, um die beiden für die zweistündige Fahrt nach La Unión abzuholen. La Unión ist eine Kleinstadt und quasi das Eingangstor zur Sierra del Espíritu Santo. »Dort haben die Nebelwälder eine zentrale Bedeutung für die Wasserversorgung des Landstrichs - ähnlich wie hier der Bergzug Las Granadillas«, erklärt José Pilar. Er hat sich mit seinem Freund, dem katholischen Seelsorger Mario Canán Ramírez, verabredet, um heute eine Caminata vecinal anzuführen - einen Nachbarschaftsspaziergang.
Nachbarschaftsspaziergänge sind ein Mittel, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Dazu haben die beiden Seelsorger Medienvertreter, Nachbarn aus den umliegenden Dörfern, aber auch Behördenvertreter und die Polizei eingeladen. »Letztere soll nicht nur die Anzeige wegen Zerstörung öffentlichen Eigentums aufnehmen, sondern auch für Schutz sorgen, denn Holzfäller sind oft bewaffnet«, erklärt Padre Mario Canán Ramírez den Neuankömmlingen im Pfarrhaus von La Unión. Der stämmige 38-Jährige mit der getönten Brille versucht, den Kindern die Umwelt nahe zu bringen, pflanzt mit ihnen Bäume, erklärt deren Effekt und wirbt auch schon mal in einer Predigt für den Schutz der Nebelwälder der Region. »Die stehen unter Naturschutz, trotzdem vergreifen sich einflussreiche Familien an ihnen«, schimpft er beim Frühstück im Pfarrhaus. Dort sammeln sich die Spaziergänger.
Aus Guatemala-Stadt sind Vertreter der Menschenrechtsorganisation Udefegua, Freiwillige der internationalen Friedensbrigaden (PBI), sowie zwei Fernsehteams und mehrere Journalisten gekommen. Für die kirchlichen Umweltschützer, die gerade zum Aufbruch blasen, eine positive Resonanz. So können sie sicher sein, dass der Spaziergang nahe der Dörfer Capulcal und Capulcalito nicht nur regional, sondern auch national registriert wird.
»Ich habe die Behörden mehrfach auf die Schäden in der Gegend aufmerksam gemacht, Fotos versandt, aber ohne Erfolg«, kritisiert Mario Canán und stellt seinen Pick-up an einem steilen Hang ab. Von hier geht es zu Fuß weiter. Links und rechts des Feldwegs sind Kaffeepflanzen zu sehen. Mit dem Verkauf von Kaffee und Orangen erwirtschaften die Bauern ihr Geld, Mais und Bohnen werden hingegen für den eigenen Konsum angebaut.
Rund sechzig Leute haben sich zum Spaziergang eingefunden und über zwei bewaldete Hügel, ein Tal und einen Flusslauf führen die beiden die Gruppe zu einem Waldstreifen, der sich plötzlich lichtet. Der Grund ist schnell ausgemacht, denn bei vielen Bäumen ist die Rinde ringförmig abgetrennt, einige Bäume sind schon abgeknickt. »Sie sterben, weil der Nährstofftransport unterbrochen ist«, erklärt José Pilar. Er ist entsetzt und kann schon sehen, weshalb Padre Mario Canán die Gruppe hierher geführt hat - eine rund zwei Fußballfelder große, ansteigende Fläche ist mit Baumstämmen bedeckt. Zwischen den zerteilten Stämmen stehen in regelmäßigen Abständen Kaffeesetzlinge.
Francisco Mejía aus dem benachbarten Dorf Capulcal Centro weiß genau, wer für den Raubbau verantwortlich ist: Camilo Agustín Carranza, ein Großgrundbesitzer und ehemaliger Militäroffizier, der seine Kaffeepflanzungen ausweiten will. »Auf Kosten unseres Waldes, unserer Wasserquellen und unserer Ernten«, schimpft der 62-Jährige. Wie Salomon Carranza, sein Nachbar, der mit seiner ganzen Familie am Marsch heute teilnimmt, bewirtschaftet er wenig mehr als einen Hektar Anbaufläche. Allein die abgeholzte Lichtung ist deutlich größer und die scheint sich der Großgrundbesitzer einverleiben zu wollen.
»Er sorgt für vollendete Tatsachen«, murrt Salomon Carranza, fixiert einen jungen Polizisten, der wenig später die Anzeige entgegennehmen soll. Nicht die erste dieser Art, aber vielleicht die mit den meisten Zeugen, denn aus den umliegenden Dörfern sind weitere Menschen dazu gestoßen. Viele sehen die abgeholzte Lichtung zum ersten Mal und sind fassungslos, gerade weil der Wald für die Wasserversorgung in der Region und in den Tälern weiter unten extrem wichtig ist.
Durch Zacapa und den benachbarten Verwaltungsdistrikt Chiquimula zieht sich der »Corredor Seco«, der trockene Korridor. Dort hat es in den vergangenen 20 Jahren immer wieder Dürren gegeben, die zu Ernteausfällen und Hunger führten. Darauf wurde José Pilar schon früh aufmerksam und so hat sich der Pfarrer, der sich während seines Theologiestudiums mit den Menschenrechten und alternativen Wirtschaftskonzepten beschäftigte, engagiert.
Pilar stammt aus einer rebellischen Familie, seine Mutter Manuela Cabrera war die erste lutherische Pfarrerin Guatemalas und mehrere Familienmitglieder fielen während des blutigen Bürgerkrieges (1960-96) den Militärs zum Opfer. Pilar setzt auf nachhaltige Anbaukonzepte. Das funktioniert, wie die kleine Farm von Luis Ramírez de Rosa aus Las Flores zeigt, wo mit Kompost gedüngt wird und Kaffeesträucher, Bananenstauden oder Orangenbäume zwischengepflanzt werden. Mitten in der Lichtung sitzt der sonst so optimistische Kleinbauer frustriert auf einem der gefällten Baumstämme. Die Zerstörung haben die Seelsorger in einer improvisierten Pressekonferenz im Beisein der Polizisten angezeigt.
Die beiden Seelsorger Pilar und Canán setzen auf den Wandel von unten, auf pazifistischen Widerstand und öffentlichkeitswirksame Aktionen. Das hat Pilar massive Anfeindungen von Großgrundbesitzern und Holz schlagenden Betrieben eingebracht, 2009 wurde er kurzzeitig durch maskierte Polizeibeamte entführt und dank internationaler Proteste freigelassen. Seitdem gehören die Bodyguards zu seinem Alltag und einer von ihnen, Ronaldo Canahui, bestätigt, dass es jüngst mehrere Morddrohungen gegeben habe. An diesem Tag freut sich José Pilar aber lieber über den öffentlichkeitswirksamen Spaziergang, über den er beim nächsten Gottesdienst berichten wird.
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