EU-Kommission will Flüchtlinge mit Sanktionen abschrecken

Vereinfachung von Abschiebung und Inhaftierung geplant / Europaabgeordnete Keller: Vorschläge sind »Mogelpaket«

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Brüssel. Die EU-Kommission will die Regeln für Asylbewerber verschärfen und gleichzeitig einheitliche Standards für die Behandlung von Flüchtlingen in Europa durchsetzen. Die Kommission schlug am Mittwoch europaweit geltende Sanktionen für Asylbewerber vor, die gegen Auflagen und Pflichten verstoßen würden. Gleichzeitig sollen fortan in allen Mitgliedsstaaten auch einheitliche Rechte für Flüchtlinge gelten und Verfahren beschleunigt werden.

Kritik an dem Vorhaben kam unter anderem von der europäischen Grünen-Abgeordneten Ska Keller: »Abschreckung und Sanktionen sollen zur Leitlinie des gemeinsamen europäischen Asylsystems werden«, erklärte die Politikerin am Mittwoch. »Mitgliedsstaaten, die auf Schutz und Integration statt Abschreckung setzen, will die EU-Kommission zwingen, ihre Standards bei Asylverfahren, bei der Unterbringung von Asylsuchenden und beim Schutz von Flüchtlingen abzusenken.« Erst vor drei Jahren wurden die europäischen Asylrichtlinien reformiert, aber von den Mitgliedsstaaten laut der Politikerin bisher kaum umgesetzt. »Statt Mitgliedstaaten darauf zu verpflichten, die vereinbarten Asylstandards endlich umzusetzen, legt die EU-Kommission die Axt an die erreichten Verbesserungen an.«

Ziel der Reform ist es laut der EU-Kommission dagegen, »die Unterschiede bei den Anerkennungsraten von einem Mitgliedsstaat zum anderen zu verringern« und die »unerlaubte Weiterreise« von Flüchtlingen in andere EU-Länder zu verhindern. »Wir wollen feste und faire Standards, um die bisherige, zerstückelte Herangehensweise zu ersetzen«, sagte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos in Brüssel. Bei Verstößen gegen Pflichten oder bei »mangelnder Zusammenarbeit« mit den Behörden sollen Flüchtlingen künftig »zwingend« Sanktionen drohen. Sie können bis zur Ablehnung des Asylantrags reichen. Ein Teil der gewährten Sozialleistungen soll zudem davon abhängen, ob Flüchtlinge an Integrationskursen teilnehmen.

Mitgliedsstaaten sollen darüber hinaus die Befugnis bekommen, Asylbewerber zu inhaftieren, die gegen »die Pflicht verstoßen, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten« oder bei denen es »ein fortgesetztes Risiko« gibt, dass sie sich »davonmachen«. Strafen soll es auch für anerkannte Asylsuchende geben, die ohne Erlaubnis in ein anderes EU-Land weiterreisen. Bei ihnen beginnt dann die Fünf-Jahres-Frist von neuem zu laufen, nach der sie Anspruch auf ein dauerhaftes Bleiberecht haben.

Die Kommission will auch eine einheitliche Verfahrensdauer in Europa durchsetzen. Entscheidungen über Asylanträge sollen in maximal sechs Monaten erfolgen, eine Verlängerung um drei Monate bei hohen Bewerberzahlen ist aber wie bisher zulässig. Bei Fällen, die »offensichtlich« nicht zulässig sind, soll die Frist auf ein bis zwei Monate verkürzt werden – etwa wenn ein Flüchtling aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland kommt. Eine Verkürzung soll es auch geben, wenn ein Flüchtling »die Behörde mit falschen Angaben irreführt« oder »klar ungereimte« Angaben macht. Die Auslegung und Bewertung der Äußerungen eines möglicherweise traumatisierten und nervösen Geflüchteten, der die Sprache des Ziellandes nicht korrekt beherrscht, obliegt letztlich jedoch den Behördenmitarbeitern.

Ska Keller begrüßte zwar gemeinsame Regeln für Asylverfahren und einheitliche Standards für die Unterbringung von Geflüchteten in allen Mitgliedsstaaten als den »Schlüssel für ein funktionierendes Europäisches Asylsystem«. Die Richtlinien dürften aber nicht darauf hinauslaufen, dass »der Schutz von Flüchtlingen ausgehöhlt wird«.

»Die Vorschläge der EU-Kommission sind ein Mogelpaket«, bewertete Keller die Pläne abschließend. Dies gelte auch für den Vorschlag für ein gemeinsames europäisches Umsiedlungsprogramm zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Lagern im Nahen Osten oder Afrika. Diese Konzept müsse zwar eigentlich ausgeweitet werden, damit Flüchtlinge nicht mehr den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen müssen. In seiner jetzigen Form sei es aber vor allem ein Hebel gegenüber Drittstaaten. »Nur wenn sie dafür sorgen, dass weniger Flüchtlinge in die Europäische Union kommen, profitieren sie vom Resettlement«, so Keller. »Faktisch schiebt die EU-Kommission die Verantwortung für den Großteil der Flüchtlinge damit auf Länder außerhalb der Europäischen Union.« seb/Agenturen

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