- Politik
- Europäische Linkspartei
Europa-Linke mit Gebrauchswert
Frieden, Abrüstung, Soziales – die Europäische Linkspartei stellt sich den aktuellen politischen Fragen
Das politische Dokument, das am Wochenende in Brüssel von europäischen Linksparteien angenommen wurde, ist mehr als ein Forderungskatalog. Unter dem Titel »Frieden, Demokratie und Autonomie für Europa« hat die Generalversammlung der Partei der Europäischen Linken (EL) ein Papier vorgelegt, mit dem nicht nur »die Zukunft Europas im Namen der Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität neu definiert« werden soll, sondern das zugleich das Selbstverständnis der EL fixiert. »Die Mission der Partei ist klar: die Bedingungen für die Arbeiterklasse zu verbessern und eine gerechte, nachhaltige Zukunft für kommende Generationen zu sichern«, heißt es in einem Statement nach der Versammlung.
Ausgangspunkt für die Spitzenvertreter*innen der vier Dutzend linken und links-grünen Parteien, die unterschiedlich stark in der EL verankert oder mit ihr verknüpft sind, war die Einschätzung, dass »autoritäre Staats- und Regierungschefs wie Putin, Trump, Netanjahu und Erdoğan durch Worte und Taten zeigen, dass der Faschismus kein Relikt der Vergangenheit, sondern eine gegenwärtige und akute Gefahr« sei. Forciert werde diese Gefahr auch durch die Aufrüstung und aggressive Politik der EU. Dasselbe gelte für die Gefahr eines globalen Krieges.
Vor diesem Hintergrund reicht die »Roadmap« der EL von der Absage an einen Raubfrieden für die Ukraine über den Ruf nach politisch-diplomatischer Kriegs- und Konfliktbeilegung, der klaren Absage an eine europäische Aufrüstung und der Stationierung von US-Atomwaffen in den EU-Staaten bis zum Schutz hochwertiger Arbeitsplätze, einer Finanzmarktregulierung, fairen Löhnen und Renten sowie gerade auch einem tatsächlichen Green Deal. »Wir bilden eine starke, vereinte Front gegen die Militarisierung der EU und die sexistische, rassistische und neoliberale Politik, die den Menschen auf dem gesamten Kontinent weiterhin schadet«, erklärt EL-Präsident Walter Baier gegenüber »nd«.
Housing-Kampagne nimmt Fahrt auf
Ganz offensichtlich sind das Brüsseler Treffen und das beschlossene Dokument weitere Schritte, um den »politischen Gebrauchswert« der Europäischen Linkspartei und ihre öffentliche Sichtbarkeit zu erhöhen. Dazu gehört etwa die in diesem Jahr gestartete Housing-Kampagne der EL, mit der sie eines der drängendsten Probleme in Europa angeht: das Fehlen von bezahlbarem Wohnraum insbesondere in den Großstädten. Acht konkrete Maßnahmen – etwa gesetzliche Obergrenzen für Mieten, Verbot von Zwangsräumungen oder Rückgewinnung leerstehender Wohnungen – hat die EL vorgeschlagen und wirbt dafür mit Aktionen in den EU-Mitgliedsländern. »Die Kampagne läuft wirklich sehr gut«, so Baier – und verweist auf absolvierte und geplante Veranstaltungen etwa in Barcelona, Marseille oder Athen. Wichtig dabei für die EL: »Es gibt Kontakte mit sozialen Bewegungen, mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund, mit zahlreichen unserer Parteien vor Ort. Wir haben es geschafft, aus einer Forderung in unserem Europawahlprogramm eine tatsächliche Kampagne zu machen.«
Marika Tändler-Walenta, die für die deutsche Linke an dem Brüsseler Treffen teilnahm, sieht die EL mit solchen Aktionen auf dem richtigem Weg: »Die Befähigung der Mitgliedsparteien zu wachsen, Massenmobilisierungen anzuführen, konkrete Vorschläge für das Handeln auf gesamtgesellschaftlicher Grundlage zu erarbeiten, war ein Schwerpunkt der Generalversammlung.« Auch Helmut Scholz, Mitgründer der EL und langjähriger Europaabgeordneter der Linken, zieht eine positive Bilanz des Brüsseler Treffens: »Die Generalversammlung hat noch einmal verdeutlicht: Die politische Wirksamkeit der EL hängt von der Bereitschaft und der Fähigkeit ihrer Mitgliedsparteien ab, sich aktiv und offen für neue Entwicklungen in die Fokussierung der politischen Arbeit einzubringen. Die EL ist keine Abstraktum, sondern lebt von der Umsetzung gemeinsamer Orientierungen in der konkreten Arbeit vor Ort. Die Housing-Kampagne ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch der Kampf um die Lösung der Wohnungsfrage und die Mietenkampagne der Linken kein alleiniges deutsches Problem ist, sondern ebenso die Lebensrealität sehr vieler Menschen quer auf dem europäischen Kontinent betrifft.«
Zentraler Punkt für die EL bleibt angesichts der andauernden russischen Aggression gegen die Ukraine die Friedensfrage. Der Ansatz der EU, ausschließlich auf einen militärischen Sieg für die Ukraine zu setzen, sei gescheitert. Von Anfang an habe die EL die Aggression Russlands gegen die Ukraine als klaren Bruch des Völkerrechts verurteilt, heißt es in der Brüsseler Deklaration. Gleichzeitig kritisierte sie die »unrealistische Strategie der EU, Russland (in den Worten der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock) militärisch und wirtschaftlich ›ruinieren‹ zu wollen. Die EL fordert stattdessen, konsequent politische Initiativen zur Lösung der Konflikte zwischen Russland und der Ukraine sowie zwischen Russland und der Nato zu ergreifen.« Auch deshalb ruft die EL ihre Parteien, aber auch Gewerkschafter*innen und Friedensbewegungen dazu auf, sich am 21. und 22. Juni den Protesten der niederländischen Friedensbewegung gegen den Nato-Gipfel in Den Haag anzuschließen und gegen die Aufrüstungspläne der Europäischen Kommission und des EU-Rats zu demonstrieren.
Um die Themen Nato, Aufrüstung und militärische Unterstützung der Ukraine hatte es seit dem russischen Überfall auf das Land Differenzen in der EL gegeben. Auf dem Parteikongress im Dezember 2022 in Wien wollten einige skandinavische Linksparteien eine klare Verurteilung der Nato, vor allem aber die ihr von anderen Parteien zugeschriebene Mitschuld an der Aggression im Februar 2022 so nicht mittragen. Der damals gefundene Kompromiss – die Verurteilung des russischen Angriffskrieges als Verbrechen und die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand – war aber offensichtlich nicht von Dauer. Der Konflikt trug nicht unwesentlich dazu bei, dass skandinavische Parteien im Frühjahr 2024 zu den Mitinitiatoren eines neuen linken Parteienbündnisses auf europäischer Ebene gehörten – der »Allianz der Europäischen Linken für die Menschen und den Planeten« (ELA). Mitglieder sind La France Insoumise, Bloco de Esquerda aus Portugal, die dänische Rot-Grüne-Allianz, die finnische Linksallianz, der spanischen Podemos sowie die polnische Razem und die schwedische Linkspartei, die beide weder Mitglied oder Beobachter in der EL waren. Viele dieser Parteien sind mit Abgeordneten im Europaparlament vertreten – und arbeiten in der konföderalen Fraktion The Left mit Parlamentarier*innen aus den EL-Parteien sowie kommunistischen Parteien, die sich nicht in europäischen politischen Parteien organisieren wollen, zusammen. Inzwischen steht der offizielle Gründungskongress der ELA im Juni im portugiesischen Porto ins Haus.
Moniert haben die ELA-Parteien jedoch vor allem die ungenügende politische Aktionsfähigkeit und tradierte Arbeitsmechanismen in der EL, wie beispielsweise das Einstimmigkeitsprinzip und die damit wahrgenommene Überrepräsentanz vieler kleinerer, vor allem kommunistischer Parteien in den Entscheidungsgremien.
Strukturreformen angeschoben
Seit einigen Monaten arbeitet die EL an der strukturellen Modernisierung. Einige erste statutarische Vorschläge hat die Generalversammlung bestätigt, weitere werden in der EL-Statutenkommission beraten und sollen ab Herbst dann den Mitgliedsparteien unterbreitet werden. Sichtbarstes Zeichen der bisherigen Reformen: »Wir haben mit unserem Statutenänderung nun die Einführung einer Doppelspitze in der EL ermöglicht«, berichtet Baier. Zudem soll künftig ausgeschlossen werden, dass in der EL-Führung eine Parteiengruppe das Sagen hat. Im Sekretariat, dem Führungsgremium der EL, soll jede Partei mit nur einer Person vertreten sein – was bislang nicht so war. Offen ist allerdings, wie es mit dem Konsensprinzip weitergeht. »Eigentlich sind sich alle einig, dass dieses Konsensprinzip für uns wichtig ist«, erklärt der EL-Präsident. »Denn es ist ja auch so, dass damit die Frage des Vertrauens untereinander aufgerufen ist. Trotzdem werden wir natürlich weiter überlegen, ob man in einigen thematischen Bereichen auch mit qualifizierten Mehrheiten arbeiten könnte.«
Ungeachtet der kritischen Situation dieser organisationspolitischen Probleme konnte die EL in den vergangenen Wochen weiter wachsen. »Mit der Aufnahme neuer Mitgliedsparteien wie der Arbeiterpartei Belgiens (PTB-PVDA) und der Neuen Linken (Nea Aristera) aus Griechenland wird die Bewegung geeinter«, heißt es aus der EL-Führung. »Die Europäische Linke gewinnt an Stärke und Dynamik.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.