Rigaer Straße frei: Polizei räumt Absperrungen weg
Gerichtsstreit um Berliner Hausprojekt geht weiter: Eigentümer legt Widerspruch ein / Krisensitzung im Roten Rathaus
Update 18.15 Uhr: Hausbewohner beginnen Arbeiten in der Rigaer 94
Die Bewohner des Hausprojektes Rigaer 94 haben auf Twitter angekündigt, mit notwendigen Bauarbeiten in der Kneipe »Kadterschmiede« sowie in weiteren Räumen zu beginnen. Dazu sei Baumaterial notwendig, dass man sich von auch Unterstützern wünsche.
Der Berliner Abgeordnete Hakan Taş der LINKEN hat derweil beim Senat für Inneres sowie bei der Polizei Akteneinsicht im Zusammenhang mit dem umstrittenen Polizeieinsatz in der Rigaer Straße vom 22. Juni beantragt. Die Berliner CDU-Fraktion kündigte weiterhin an, einer Sondersitzung des Innenausschusses nicht im Wege zu stehen. Das sagte der Innenpolitische Sprecher, Robbin Juhnke, am Donnerstag. »Wir haben großen Bedarf im Innenausschuss die Krawalle der letzten Tage zu thematisieren und ein deutliches Bekenntnis der übrigen Fraktionen zur Ächtung von linksextremistischer Gewalt einzufordern.«
Update 15.35 Uhr: So geht es mit dem Streit um die Rigaer 94 weiter
Der Rigaer-Anwalt Lukas Theune erklärte, der Eigentümer hätte noch versucht, über einen Bauwerkvertrag die Gerichtsvollzieherin aufzuhalten. »Wir schauen jetzt, was der Eigentümer weiter vor hat«, so Theune, »neue Mieter sind uns jedoch nicht bekannt.« Die Grünen-Abgeordnete Canan Bayram sagte, dass der Eigentümer beim nächsten Gerichtsprozess einen fertigen Mietvertrag für die betreffenden Räume präsentieren müsste. »Dann könnte er Recht bekommen.«
Update 15.30 Uhr: Offizielle Erklärung der Rigaer-Bewohner: Dolchstoss für Henkel
In einer offiziellen Erklärung des Rigaer-Hausprojekts heißt es: »Wenn Henkel von einem rechtsfreien Raum redet, nehmen wir das Kompliment gerne entgegen.« Nach der Teilräumung sei dezentral auf der Straße Druck aufgebaut worden. Darauf habe die Polizei keine Antwort gefunden. Der Gerichtsbeschluss sei ein Dolchstoß für Henkel und seine Law-and-order-Politik.
Update 15.20 Uhr: Polizei zieht ab – Bewohner laden Unterstützer zum Feiern ein
Die Polizei zieht aus der Rigaer Straße ab, nach 510 Stunden der Belagerung. Bewohnerin Lilly Schulze freut sich: »Wir haben Henkels Law-and-Order-Politik zu Fall gebracht. Jetzt müssen wir die Räume wieder herrichten und sichern, dann laden wir die Leute zum Feiern ein.«
Update 15.15 Uhr: Grünen-Abgeordnete Bayram: Henkel hat sich disqualifiziert
Die Berliner Grünen-Politikerin Canan Bayram kritisierte Innensenator Henkel scharf für den Polizeieinsatz in der Rigaer. »Henkel hat für seine Werbeshow die ganzen Polizisten hier unnützerweise abgestellt, so dass sie an wirklich kriminalitätsbelasteten Orten fehlen«, äußerte die Abgeordnete gegenüber dieser Zeitung. »Damit hat sich Henkel für mich als Politiker, dem man die innere Sicherheit der Hauptstadt anvertrauen sollte, disqualifiziert.«
Update 14.55 Uhr: Hauseigentümer legt Widerspruch ein – Gerichtsstreit geht weiter
Während die Polizei aus der Rigaer Straße 94 abzieht, geht der Streit um die Teilräumung vor Gericht weiter. Ein neuer Anwalt des Hauseigentümers habe Einspruch eingelegt, sagte eine Gerichtssprecherin am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Der bisherige Anwalt habe sein Mandat niedergelegt. Am Mittwoch hatte das Landgericht in einem Eilverfahren entschieden, dass der Verein »Freunde der Kadterschmiede« zu Unrecht aus dem Szenetreff im Erdgeschoss des Hauses gezwungen wurde. Der Eigentümer habe keinen Räumungstitel vorgelegt, so dass die Aktion am 22. Juni rechtswidrig gewesen sei.
Update 14.45 Uhr: Rigaer wieder frei
Jubel in der Rigaer: Der Gerichtsvollzieher öffnet zusammen mit dem Schlüsseldienst die Türen zum Untergeschoss. Die Kneipe »Kadterschmiede« wird damit wieder für die Bewohner zugänglich. Polizisten entfernen die Absperrgitter.
Update 14.20 Uhr: Pressekonferenz angekündigt
Die Bewohner der Rigaer Straße kündigen eine Pressekonferenz für 14.30 Uhr an. Noch ist das Untergeschoss nicht freigegeben: die Polizei müsse noch die Papiere des Gerichtsvollziehers prüfen, heißt es. Vor dem Eingang hat sich ein ganzer Pulk von Journalisten gebildet. Ein Nachbar beschwert sich: »Der Polizeieinsatz ist zugleich spektakulär und absurd. Ich musste selbst Trinkflaschen bei den Beamten abgeben, weil sie Gefahrengut sein sollen.«
Update 14.05 Uhr: Gerichtsvollzieher vor Ort
Ein Gerichtsvollzieher ist in der Rigaer Straße 94 angekommen, um Umsetzung des Gerichtsurteils vom Mittwoch zu kontrollieren. Die Polizei lässt die Bewohner noch immer nicht in die Kadterschmiede. Vor dem Haus stehen acht Mannschaftswagten, der Eingang ist mit Gittern abgesperrt und auch Journalisten werden nicht eingelassen. »Der Gerichstvollzieher kommt, um das geräumte Untergeschoss wieder frei zu geben«, sagt Sabine Schilling aus dem Hausprojekt. »Heute morgen hatten wir Angst, dass der Eigentümer schnell noch andere Leute einziehen lassen will.« Auf der straße ist der Rauchhaus-Song der Band »Ton, Steine, Scherben« zu hören: »Das ist unser Haus. Ihr kriegt uns hier nicht raus!«
De Maizière meldet sich zu Rigaer-Konflikt
Berlin. Nach der Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich nun auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (beide CDU) in den Konflikt um das Hausprojekt Rigaer 94 eingeschaltet. Der Politiker hatte die Ausschreitungen von Autonomen in Berlin-Friedrichshain verurteilt und Verhandlungen mit Hausbewohnern und Aktivisten abgelehnt. »Die Gewaltanwendung gegenüber Polizisten und Nachbarn und das In-Brand-Setzen von Autos sowie die Aufstachelung zu Hass und Gewalt sind nicht zu akzeptieren«, sagte er gegenüber »Berliner Zeitung«. »Es ist richtig, dagegen mit Härte vorzugehen. Mit Gewalttätern gibt es nichts zu verhandeln«, fügte er hinzu.
De Maizière sagte weiter: »Natürlich gehört zu einem Stadtentwicklungskonzept mehr als Polizeiarbeit. Aber was jetzt dort an Härte nötig ist, das wird von mir voll unterstützt.« Auf die Frage, ob die festgestellte Rechtswidrigkeit der Räumung an seiner Position etwas ändere, erwiderte er: »Nein, das ändert nichts daran. Die Polizei erfüllt ihren Auftrag in unser aller Namen.« Am Mittwoch urteilte das Berliner Landgericht, dass die Teilräumung des linken Wohnprojekts rechtswidrig war.
Damit springt der Bundesinnenminister Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) bei, den das Urteil zwei Monate vor der Abgeordnetenhauswahl in Erklärungsnöte bringt. Henkel verteidigte den Einsatz trotz der festgestellten Rechtswidrigkeit und wies die Vorwürfe der Opposition zurück. Mit dem Einsatz habe man Gefahren abwehren und die Bauarbeiter schützen wollen. »An dieser rechtlichen Einschätzung halten wir fest«, erklärte der Senator.
Für die Aufrechterhaltung seiner eskalativen Strategie steht der CDU-Politiker weiter unter Druck. »Wenn es stimmt, dass es keinen Titel gibt: Gefährdet Herr Henkel ohne Rechtsgrundlage die Gesundheit von Polizisten?«, fragte der Berliner Landesvorsitzende der LINKEN, Klaus Lederer, auf Twitter. »Ich finde wir brauchen einen Konsens aller demokratischen Parteien, dass die Polizei illegale Räumungen nicht ermöglichen sollte«, fügte mit ironischem Ton der parteilose Abgeordnete Christopher Lauer hinzu.
In Berlin wurde derweil laut Medienberichten eine Krisensitzung einberufen. Dabei sollen heute Senatskanzleichef Björn Böhning (SPD), Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) sowie Polizeipräsident Klaus Kandt über die Konsequenzen aus dem Urteil und die Lage rund um die Rigaer Straße beraten. Sowohl Innensenator Henkel als auch der Regierende Bürgermeister Müller sind offenbar nicht anwesend.
Im Hausprojekt selbst wartet man weiterhin, wieder Zugang zu den unrechtmäßig geräumten Räumen zu erhalten. Vor dem Eingangstor würden Umzugswagen stehen. »Gibt es einen neuen Plan von Polizei und Eigentümer, die Kadterschmiede zu halten?«, fragen die Aktivisten. Wie der »Tagesspiegel« berichtet, wurde das Gerichtsurteil mittlerweile dem Rechtsanwalt André Tessmer, der den Eigentümer vertrat, rechtmäßig zugestellt. Damit dürfe die zuvor geräumte Kneipe »Kadterschmiede« theoretisch wieder in die Rigaer einziehen. Tessmer hatte sein Mandat am Mittwoch niedergelegt.
Der für politische Straftaten zuständige Staatsschutz hat zudem wegen eines ausgebrannten Toilettenhäuschens in dem Stadtteil Friedrichshain Ermittlungen aufgenommen. »Durch die Hitze wurden auch zwei Autos und ein Baum in der Proskauer Straße beschädigt«, sagte ein Sprecher der Polizei am Morgen. Hinweise auf die Täter gab es zunächst nicht.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.