»Triumph der Opfer«
Gericht kippt Amnestiegesetz in El Salvador
Seliggesprochen ist Óscar Romero bereits, doch Gerechtigkeit ist dem salvadorianischen Erzbischof bislang nicht widerfahren. Mitglieder einer rechtsextremen Todesschwadron hatten den streitbaren Priester 1980 während eines Gottesdienstes erschossen. Die Täter wurden allerdings nie zur Verantwortung gezogen. Ein 1993 verabschiedetes Amnestiegesetz verhinderte die juristische Aufarbeitung der Verbrechen während des Bürgerkriegs.
Jetzt hat der Oberste Gerichtshof von El Salvador das umstrittene Gesetz gekippt. Die Amnestie stehe im Widerspruch zum Schutz der Menschenrechte, verhindere die Verurteilung der Täter und die Entschädigung der Opfer, urteilten die Richter. Damit sei es verfassungswidrig.
»Das ist ein Triumph der Opfer über die Täter«, sagte Jeannette Aguilar von der zentralamerikanischen Universität UCA. »Wir müssen die Wahrheit über alle Taten erfahren, damit die Opfer ihre Würde zurück erhalten.« Ähnliche Amnestiegesetze gibt es auch in anderen früheren Bürgerkriegsländern wie im benachbarten Guatemala.
In El Salvador ist nun der Weg frei für eine umfassende Aufklärung des düstersten Kapitels der Geschichte des mittelamerikanischen Landes. Zwischen 1980 und 1992 starben in dem Bürgerkrieg zwischen linken Rebellen, rechten Todesschwadronen und den Streitkräften mehr als 75 000 Menschen. Weitere 8000 verschwanden und fast eine Million wurden aus ihren Heimatdörfern und -städten vertrieben. Nun können die Massaker der Streitkräfte ebenso aufgeklärt werden wie die Säuberungsaktionen in den Reihen der Guerilla.
»Das Urteil hat eine Tür aufgestoßen. Jetzt liegt der Ball im Spielfeld der Generalstaatsanwaltschaft«, sagte Geoff Thale vom Forschungsinstitut Washington Office on Latin America (Wola) der Deutschen Presse-Agentur. »Die Ermittler dürften unter erheblichem politischen Druck stehen. Jetzt muss sich zeigen, wie sie damit umgehen.« Generalstaatsanwalt Douglas Meléndez sagte, er werde seine Pflicht erfüllen.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs. »Das Amnestiegesetz hat nur dazu geführt, dass die Verantwortlichen für schwere Menschenrechtsvergehen jahrzehntelang davon gekommen sind«, sagte Regionalchefin Erika Guevara Rosas. »Jetzt kann sich das Land endlich mit seiner tragischen Vergangenheit auseinandersetzen.«
Das Urteil dürfte in der noch immer stark polarisierten Gesellschaft El Salvadors für erheblichen sozialen Sprengstoff sorgen. Wie tief der Graben zwischen den politischen Lagern ist, zeigt das äußerst knappe Ergebnis der letzten Präsidentenwahl. Die eine Hälfte der Bevölkerung steht der Partei FMLN nahe, die aus der linken Guerillabewegung hervorgegangen ist. Die andere Hälfte wird von der Partei Arena vertreten, die einst von Mitgliedern der rechten Todesschwadronen gegründet wurde. »Das wird sicherlich zu einigen Spannungen führen, aber es ist notwendig«, sagt Wola-Experte Thale. dpa
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