Drohung mit der Todesstrafe wird konkreter

Der türkische Präsident Erdogan will der Wiederaufstellung des Galgens »nicht im Wege stehen«

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Tausende Festnahmen, Zehntausende Suspendierungen, Entzug von Sendelizenzen und Dienstreisen-Verbote: Ankara greift nach dem Putschversuch durch - und will den Kampf nun noch verschärfen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seit dem definitiven Scheitern der Militärrevolte am Sonntag wenig bis nichts mitgeteilt, was man als Rechtfertigung der landesweiten Hetzjagd auf vermeintliche Staatskritiker oder gar Putschisten ansehen könnte. Zwar werden die Anschuldigungen gegen den »Oberterroristen«, den seit 1999 im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen, immer umfänglicher. Aber - das ist allerdings keine neue Erkenntnis - bei Erdogans Philippika werden einmal mehr Fakten durch Lautstärke und Logik durch Schärfe ersetzt.

Und die Verhaftungswalze rollt. Die Zahl der Entlassungen von Staatsdienern mit angeblichen Verbindungen zu Gülen lag am Dienstagabend bei knapp 30 000. Allein das Bildungsministerium schickte bisher 15 000 Angestellten eine Nachricht mit ihrem Rausschmiss, verbunden mit der Ankündigung, dass man Ermittlungen gegen sie wegen Verbindungen zu Gülen eingeleitet habe.

Seit Jahren gibt es in aller Welt der Gülen-Bewegung nahestehende Schulen und Universitäten - und das völlig legal. Die meisten davon in der Türkei, Gülens Heimat. Er wurde 1941 in der nordosttürkischen Provinz Erzurum geboren. Schätzungsweise mindestens zehn Prozent der erwachsenen Türken unter 60 Jahren haben eine Bildungseinrichtung der Gülen-Bewegung durchlaufen. Gülen stand der Politik keineswegs fern, im Gegenteil. Einer der am meisten von ihm Geförderten war Erdogan selbst, bis zum Zerwürfnis im Jahre 2013. Schon deshalb erscheint es absurd, aus Nähe zur Gülen-Bewegung plötzlich so etwas wie einen Straftat-Bestand konstruieren zu wollen, und das ausgerechnet von Erdogan selbst.

Dennoch vollzieht sich das in atemberaubendem Tempo. Laut dem türkischen Sender NTV sei auch 21 000 Lehrern an privaten Bildungsreinrichtungen die Lehrerlaubnis entzogen worden. Unter derselben Beschuldigung - Gülen-Nähe - hatten bis Dienstagabend durch die Telekommunikationsbehörde der Türkei 24 Fernseh- und Radiosender die Lizenz verloren.

Die Drohung Erdogans mit der Wiedereinführung der Todesstrafe schwebt nicht nur weiter im Raum, sondern nimmt Gestalt an. Auch hier zeigt sich Erdogan als Meister der der Demagogie. Nachdem er es war, der als erster bereits am Wochenende davon schwadroniert hatte, lässt er jetzt »das Volk« auf der Straße den Galgen für Putschisten fordern.

Abgeschafft war die Todesstrafe ohnehin nie. Der inhaftierte Kurdenführer Abdullah Öcalan ist weiterhin zum Tode verurteilt. Die türkische Regierung hat der EU lediglich zugesagt, das Urteil nicht zu vollstrecken. Wäre dies nicht erfolgt, hätte die EU nach ihren eigenen Statuten niemals förmliche Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnehmen dürfen. Am Dienstagabend erklärte Erdogan nun, dass eine Rücknahme des Moratoriums allein Sache des Parlaments sei. Und zur selben Stunde deutete sich auch erstmals eine Mehrheit dafür an: Die Partei der Nationalistischen Bewegung, eine ultranationalistische Gruppierung, deutete Erdogan ihre Zustimmung in der Sache an.

Der Präsident wäscht quasi seine Hände in Unschuld. Parlamentarisch sei die Wiedereinführung der Todesstrafe kein Hindernis. »So wie diese Unterschriften getätigt worden sind, können sie auch zurückgenommen werden. Es reicht, dass unser Parlament das entscheidet. Es sind keine Gesetze, die man nicht verändern kann«, zitierte ihn dpa.

Unterdessen zeigt der Aufruf zum Anschwärzen von »Putschisten« und Gülen-Anhängern erste Wirkung. In türkischen Städten seien sieben Personen festgenommen worden, die entweder den Putschversuch gelobt oder Erdogan kritisiert hatten. Wie der Sender CNN Türk in der Nacht zum Mittwoch meldete, werde den Verhafteten vorgeworfen, mit Einträgen in sozialen Medien »die verfassungsmäßige Ordnung gestört«, »Kriminelle gelobt« oder den Präsidenten beleidigt zu haben.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.