Ermittler sehen bei Münchner Amoklauf keinen IS-Bezug

Polizei spricht von psychsich krankem Einzeltäter / Bücher über Amokläufe in seiner Wohnung gefunden / Viele junge Leute unter den neun Opfern

  • Lesedauer: 4 Min.

Update 19.40 Uhr: Amok-Täter hat sich selbst getötet
Der Amokläufer von München hat sich etwa zweieinhalb Stunden nach der Tat vor den Augen von Polizisten getötet. Das teilte die Münchner Polizei am Samstag nach der Befragung vieler am Einsatz beteiligter Beamter mit. »Gegen 20.30 Uhr hatte demnach eine Streife der Münchner Polizei nördlich des Olympia-Einkaufszentrums Kontakt zum mutmaßlichen Täter. Als Reaktion auf die Ansprache der Beamten zog er unvermittelt seine Schusswaffe, hielt sie sich an den Kopf und erschoss sich«, hieß es in der Polizeimitteilung.

Der 18-jährige Täter hatte am Freitag gegen 18.00 Uhr bei einem Schnellrestaurant am Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschossen. Eine Zivilstreife sah den Täter am Parkhaus des Einkaufszentrums und schoss auf ihn, doch der junge Mann blieb unverletzt und konnte zunächst fliehen.

Update 19.30 Uhr: De Maizière gegen schnelle Gesetzesverschärfung
Der Amokläufer von München war nach den Worten von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) für die Sicherheitsbehörden zuvor ein unbeschriebenes Blatt. »Gegen ihn waren bisher keine polizeilichen Ermittlungen bekannt.« Deswegen habe es auch keine staatsschutzrelevanten Informationen gegeben. »Und es gibt auch keine Erkenntnisse der Nachrichtendienste über diese Person.« Möglicherweise sei der junge Deutsch-Iraner gemobbt worden. Die Frage, wie es zu solchen »Explosionen von Gewalt« kommen könne und ob die Tat absehbar war, müsse sich möglicherweise eher an das direkte Umfeld des 18-Jährigen richten als an die Sicherheitsbehörden.

Der Bundesinnenminister lehnte rasche Debatten über gesetzgeberische Reaktionen auf die Bluttat mit insgesamt zehn Toten vom Freitagabend ab. »Heute ist nicht die Stunde für Konsequenzen, schon gar nicht, wo die Ermittlungsergebnisse noch nicht vollständig vorliegen.« De Maizière machte brutale Internetvideos und Computerspiele für Gewaltexzesse wie in München mitverantwortlich.

Zusammenhang des Amoklaufs mit Breivik-Massaker vor fünf Jahren möglich

Die Bluttat in einem Münchner Einkaufszentrum mit insgesamt zehn Toten war der Amoklauf eines vermutlich psychisch kranken Einzeltäters - einen Bezug zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gibt es nicht. Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä sagte am Samstag in München weiter, es gebe keinerlei Hinweise, dass mehr als der eine Täter aktiv gewesen seien. Der 18-Jährige habe sich anschließend selbst getötet. Die Ermittler sehen einen möglichen Zusammenhang mit den Morden des Norwegers Anders Behring Breivik vor genau fünf Jahren.

Der Täter hatte nach ersten Erkenntnissen von Ermittlern eine Erkrankung »aus dem depressiven Formenkreis«. »Wir haben einige Hinweise dafür, dass eine nicht unerhebliche psychische Störung bei dem Täter vorliegen könnte«, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Samstag.

Der Täter führte den Angaben zufolge eine illegale Pistole des Kalibers 9 Millimeter bei sich, die Seriennummer war ausgefräst. Der junge Mann habe über 300 Schuss Munition bei sich gehabt, sagte LKA-Präsident Robert Heimberger. Im Magazin habe sich noch Munition befunden. Woher er die Waffe hatte, sei noch nicht geklärt.

Die Toten stammten laut Andrä alle aus München und Umgebung. Viele Todesopfer waren minderjährig. Zwei 15-Jährige und drei 14-Jährige seien ums Leben gekommen, berichteten die Ermittler. Weitere Opfer seien 17, 19, 20 und 45 Jahre alt gewesen. Unter den neun Todesopfern seien drei Frauen gewesen.

Der 18-Jährige war Schüler, er ist in München geboren und aufgewachsen. Die Ermittler haben in seiner Wohnung Bücher über Amokläufe gefunden. Eines hieß: »Amok im Kopf. Warum Schüler töten«. Er habe sich intensiv mit dem Thema befasst. Die Verbindung zu Breivik »liegt auf der Hand«, sagte Andrä. Am Freitag war der fünfte Jahrestag von Breiviks Amoklauf.

Es gebe bisher keine Hinweise, dass sich der Täter mit dem Anschlag in einem Regionalzug am Montagabend in Würzburg beschäftigt habe, sagte Andrä weiter. Auch ein Abschiedsbrief des Mannes sei bisher nicht gefunden worden. Das könne sich aber noch ändern. Der Täter hat möglicherweise einen Facebook-Account gehackt, um Menschen zum Tatort zu locken. Die Polizei zählte am Freitag zwischen 18 und 24 Uhr 4310 Notrufe - das Vierfache eines normalen Tages, sagte Andrä.

Der Ablauf der Tat lässt sich den Angaben zufolge noch nicht abschließend erkennen. Die zeitliche Abfolge werde nun auch mit Hilfe von Videoaufnahmen ermittelt. Der Tatort am Olympia-Einkaufszentrum werde zunächst abgesperrt bleiben. Zur Zeit sind noch 800 Einsatzkräfte in der Stadt im Einsatz. Aus Sicherheitsgründen müssten in München nach Angaben Andräs jedoch keine Veranstaltungen abgesagt werden.

Nach seiner Ansicht war der zeitweise als »akute Terrorlage« bezeichnete massive Polizeieinsatz in München gerechtfertigt. Es sei angesichts der vielen Hinweise auf weitere Schauplätze absolut »richtig und notwendig gewesen«, in dieser Stufe einzusteigen, sagte er. Ähnlich äußerten sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Innenminister Herrmann (beide CSU). dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.