Göttersex und Bilderkult
Das Liebieghaus in Frankfurt am Main zeigt die Schau »Athen - Triumph der Bilder«
Götter gebären anders. In der sagenhaften Biologie der alten Griechen kommen die Kinder manchmal auch aus dem Kopf. Zum Beispiel Athene. Gezeugt wurde sie bei einem Seitensprung von Chefgott Zeus, der die geschwängerte Geliebte hinterher aufgefressen und den Fötus selbst ausgetragen hat. Das erfolgreiche Ende der kuriosen Männerschwangerschaft dokumentiert eine Vasenmalerei aus dem fünften Jahrhundert vor Christi. Aus der Hirnschale des olympischen Erzeugers entsteigt Athene ganz so, wie die bildungsbürgerliche Welt sie seit Jahrhunderten kennt: mit Helm und Speer, eine Kämpferin für die Stadt, die sich nach ihr, der Weisheitsgöttin, benannt hat.
Mit einer in vielerlei Hinsicht lohnenswerten Ausstellung beleuchtet das Liebieghaus in Frankfurt am Main das Athen der Antike aus der Warte seiner mythologischen Selbstbegründungen. Über hundert Leihgaben lassen insbesondere die Blütezeit der Stadt im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert aufleben. Jene Epoche also, in der außergewöhnliche Bauwerke der abendländischen Kultur wie die Akropolis entstanden.
Lange dauert es am Mainufer, bis man dem Mann, der den Masterplan für Parthenontempel und Co. ersann, ins steinerne Antlitz blicken darf. Aber dann, im letzten, dreizehnten Saal, steht sie da, leider etwas lieblos an die Wand geschoben: die berühmte Porträtherme des Perikles aus den Vatikanischen Museen. Gemeinsam mit seinem Art Director, dem Bildhauer Phidias, erlegte der Staatsmann der Stadt ein minutiös durchdekliniertes ikonisches Programm auf. Athens Aufstieg zum strahlenden Herzen Griechenlands ist auch ein »Triumph der Bilder«. So jedenfalls der Titel der Ausstellung.
Hintergrund waren nicht zuletzt die Kriege gegen die Perser, die Athen zerstört hatten. Und Perikles nutzte auch die Symbolpolitik der Ursprungsmythen, um sein Volk gegen den Aggressor aus Kleinasien zu einen. Eine Schlüsselstellung darin nimmt Athenes Adoptivsohn Erechtheus ein. Der opferte in einem legendären Krieg eine seiner Töchter, worauf sich das Schlachtenglück wendete. Ein patriotischer Einsatz bis zum Äußersten, wie ihn Herrscher in kollektiven Krisen gerne als Vorbild verkaufen. Folglich bekam Erechtheus einen eigenen Tempel auf der Akropolis und eigene Feste.
Zwei große Erzählstränge lässt der Kurator Vinzenz Brinkmann nebeneinander laufen: einerseits die olympische Seifenoper über Liebe, Zank und Sex unter den Unsterblichen, andererseits das irdische Alltagsleben der Athener, das eng mit dem Treiben der Götter und dem Kult ihrer Bilder verzahnt war.
Zwölf Räume bilden den Hauptteil der Ausstellung. Dieser Parcours folgt den Monaten des altgriechischen Kalenders, seinen Opferfesten, Umzügen und Tempelzeremonien. Mit dem Hekatombaion, kurz nach der Sommersonnenwende, beginnt für den Besucher der Gang durch das attische Jahr. 100 Rinder haben die Athener in diesem Monat öffentlich geschlachtet, dazu athletische Spiele abgehalten - ein Geburtsfest für den Sohn der göttlichen Patronin. Objekthaft gespiegelt wird das rituelle Treiben in Exponaten wie der knackigen Sportlerstatue eines Diskuswerfers, einer Preisamphore für Wettkampf-Champions oder einer römischen Kopie jener wachsam milden Athene, deren Original auf der Akropolis stand.
Doch auf der rituellen Agenda der Athener hatten noch andere Götter ihren jährlich wiederkehrenden Termin. Im Anthesterion (Februar) soff man zu Ehren des Weingottes - aus Tonbechern, die so groß waren wie Sangria-Kübel am Ballermann. Dagegen stand der Poseideon (in etwa das Pendant des Dezembers) im Zeichen des Meeresgottes Poseidon. Der Wüterich mit dem Dreizack, den etwa eine Bronze aus den Münchner Antikensammlungen zeigt, hatte sich einst, wie Athene, um die Schutzherrschaft der Stadt beworben, aber den Kürzeren gezogen.
Man kann der Schau vorwerfen, dass sie an mancher Stelle zu viel altphilologisches beziehungsweise althistorisches Wissen beim Besucher voraussetzt und sich bisweilen in den Verästelungen der Mythologie verliert. Doch insgesamt gleicht der sinnlich bestückte Rundgang diesen Mangel aus. Denn die Frankfurter bieten keine Ton-Steine-Scherben-Antike, nein, sie setzen bevorzugt auf monumentale Skulpturformate und holen lieber einmal eine moderne Replik dazu, als uns über originalen Trümmerteilchen brüten zu lassen. So sind die in ihrer ursprünglichen Farbigkeit nachgebildeten Bronzekrieger von Riace mit ihren golden und silbern blitzenden Waffen echte Hingucker.
Als Storyboard, das sich von Raum zu Raum fortsetzt, fungieren Abgüsse vom Parthenonfries, der zentrale Szenen aus der kultischen Praxis der Athener wiedergibt. Vom getragenen Zug der Mädchen mit Weihrauchständer bis zur Vermählung von Hera und Zeus, an die im Heiratsmonat Gamelion (der ungefähr unserem Januar entspricht) alljährlich erinnert wurde. Die unmittelbare Wirkung der Exponate, die durch Videoprojektionen multimedial gestützt wird, geht so weit, dass der Besucher Lust verspürt, mit den Griechen mitzufeiern, bei ihren Tragödien und Komödien im Festivalmonat auf den Rängen zu sitzen oder von jenem skurrilen Gebäck in Phallusform zu kosten, das zum Erntedank gereicht wurde.
In den zahllosen parallel präsentierten Darstellungen von Athene erschließen sich einige überraschend unterschiedliche Facetten der Göttin. Mitunter erscheint die jungfräuliche Stadtpatronin sogar als eine frühe Verwandte der christlichen Madonna. Ein anonymer Bildhauer setzt Athene den kleinen Erechtheus fast schon wie das Christuskind auf den Arm.
Ihre viel gerühmte Unberührtheit musste die Griechin indes noch härter verteidigen als die biblische Gottesmutter. Hephaistos, Gott der Schmiedekunst, wollte Athene eines Tages an die Rüstung. Zwar wehrte sie ihn ab, dennoch befleckte er den Schenkel der Göttin. Dank des abgewischten und weggeworfenen Ejakulats kam nun die Erdgöttin in den Genuss einer künstlichen Befruchtung. Ihr Sohn Erechtheus wurde später von Athene adoptiert. Noch so eine Fortpflanzungsgroteske.
»Athen. Triumph der Bilder«. Bis 4. September im Liebighaus, Schaumainkanal 71, 60596 Frankfurt am Main.
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