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- Ferdinand Lassalle
Ein charmanter, galanter Arbeiterführer
Vor 200 Jahren wurde Ferdinand Lassalle geboren. Wer kennt ihn noch?
Er wollte die Arbeiter organisieren, aber sie auch führen. Viele hatten sich bereits in den Arbeiterbildungsvereinen gefunden, die noch unter der Vormundschaft bürgerlicher Förderer standen. Von diesen wollte Ferdinand Lassalle sie emanzipieren. Die Arbeiter sollten zu sich selbst finden, sich ihrer eigenen Kraft bewusst werden. So formulierte er Anfang 1863 in seinem »Offenen Antwortschreiben« die Prinzipien, die einer vom liberalen Bürgertum unabhängigen Arbeiterorganisation zugrunde liegen sollten: »Der Arbeiterstand muss sich als selbständige politische Partei konstituieren und das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht zu dem prinzipiellen Losungswort und Banner dieser Partei machen. Die Vertretung des Arbeiterstandes in den gesetzgebenden Körpern Deutschlands – dies ist es allein, was in politischer Hinsicht seine legitimen Interessen befriedigen kann.«
Am 11. April 1825 in Breslau als Sohn des jüdischen Seidenhändlers Ferdinand Johann Gottlieb Lassal geboren, wollte er eigentlich beruflich in die Fußstapfen des Vaters treten. Doch bereits nach einem Jahr brach der Sohn das Studium der Handelsschule in Leipzig ab. Er interessierte sich mehr für Geschichte, Philosophie und Philologie und zeigte sich frühzeitig politisch interessiert. Seinem Tagebuch vertraute der 15-Jährige an, ihm erscheine Deutschland als ein »großer Kerker mit Menschen, deren Rechte von Tyrannen mit Füßen getreten werden«. Begierig las er die Werke von Heinrich Heine und Ludwig Börne.
Von 1843 bis 1846 studierte er an den Universitäten von Breslau und Berlin. Zwischendurch hatte er Paris besucht, wo er Heine und Börne nunmehr persönlich kennenlernte wie auch den französischen Sozialisten Pierre-Joseph Proudhon. Vom freieren Geist in der französischen Hauptstadt fasziniert, änderte er seinen Namen Lassal dann auch in das französischer klingende Lassalle.
Wie viel Lassalle steckt noch in der heutigen SPD, die just erneut eine Koalition mit der Union wagt?
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Nach seiner Rückkehr aus Frankreich lernte Lassalle in Berlin die Gräfin Sophie von Hatzfeldt kennen. Sie bemühte sich damals erfolglos um die Rückgabe ihrer Vermögenswerte und die juristische Scheidung von ihrem autoritären Ehemann. Obgleich Lassalle niemals Rechtswissenschaften studiert hatte, übernahm er ihre Verteidigung. Er verließ die Universität und kämpfte acht Jahre lang für die von ihm verehrte Frau. 1854 gewann er nach zahlreichen Auseinandersetzungen vor verschiedenen Gerichten den Prozess. Die Gräfin erhielt eine hohe Abfindung. Sie bestand darauf, dass Lassalle von ihr ein Jahreseinkommen beziehe, das ihn in all seinen politischen Vorhaben finanziell unabhängig machte.
Einer seiner geistigen Lehrmeister und lebenslanger Freund war Wilhelm Wolff, Publizist, Politiker und Weggefährte von Karl Marx und Friedrich Engels. In der Revolution von 1848/49 gehörte Lassalle in Düsseldorf zu den eindrucksvollsten Persönlichkeiten der dortigen Revolutionskämpfe. Er traf häufig Karl Marx und andere Mitglieder des Bundes der Kommunisten in Köln. Nunmehr sah auch er sich als Kommunisten. Wegen seiner vielen subversiven Reden und Aufsätze wurde er verhaftet und vor Gericht gestellt, wo er sich nicht den Mund verbieten ließ. Besonders eindrucksvoll und bewegend war seine am 3. Mai 1849 vor den Schranken der Klassenjustiz in Form einer Gegenanklage formulierte Entlarvung der als sakrosankt geltenden Autoritäten in Preußen. Lassalle verteidigte die bürgerlichen Rechte, die Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit, beschwor allgemein-demokratische Werte und erklärte: »Das Grundprinzip des konstitutionellen Staates ist, dass in ihm nicht mehr der Wille des Monarchen herrsche, dass er vielmehr der Ausdruck des allgemeinen Geistes sei, der sich durch die Volksrepräsentation zur Geltung zu bringen habe.« Obwohl das Gericht auf »Nicht schuldig im Sinne der Anklage« plädierte, warfen ihn die preußischen Staatsgewalten wegen Aufhetzung zur Gewalt gegen die Krone ins Gefängnis. Er blieb mehr als zwei Monate in Haft, wurde dann aber zeitweilig freigelassen. 1850 wurde er schließlich erneut inhaftiert und kam erst im April 1851 wieder frei.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis und der Erledigung der Hatzfeldt-Angelegenheit nahm Lassalle seine politische und literarische Arbeit wieder auf. Zu nennen sind eine Abhandlung über den Italienischen Krieg von 1859 und eine Untersuchung über das System der erworbenen Rechte von 1861. Lassalles Drama über Franz von Sickingen, den adligen Revolutionsführer des Bauernkrieges, verschaffte ihm 1858 in literarischen Kreisen Aufmerksamkeit. Er half Engels bei der Publikation von dessen Schrift »Po und Rhein« in Deutschland und unterstützte Marx finanziell. 1861 und 1862 trafen sich Marx und Lassalle in Berlin und London. Die Beziehung zwischen beiden war freundlich und von gegenseitiger Achtung geprägt – doch nur an der Oberfläche.
Die Zeit ab 1860 war vom Erstarken der Arbeiterbewegung in Deutschland geprägt. Während Marx und Engels den Klassenkampf als notwendiges Resultat der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten definierten, sah Lassalle den Staat als Garanten einer ethischen Mission: als Werkzeug zur Erfüllung der Forderungen der Arbeiter. Im Gegensatz zu Marx und Engels glaubte er an ein Bündnis der Arbeiterbewegung mit dem preußischen Staat gegen die liberale Bourgeoisie. Deshalb setzte er seine Hoffnung auf den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, mit dem er sich 1863 mehrmals privat traf. Bismarck wollte die erstarkende Arbeiterbewegung als Mittel gegen die noch bestehende liberale Opposition benutzten, die sich seinem autoritären System entgegenstellte. Doch als klar wurde, dass Bismarck die Arbeiterbewegung nicht brauchte und Lassalle sie ihm nicht dienstbar machen konnte, rückte der Ministerpräsident rasch von Lassalle wieder ab.
Für Lassalle wie für jeden Demokraten seiner Zeit war die Demokratie definiert als ein System von Wahlvorgängen und repräsentativen Körperschaften, die die bestehende soziale Ordnung legitimierten. Er sah in regelmäßig abgehaltenen Wahlen, an denen jedoch nur die Männer teilnehmen sollten, die Mindestvoraussetzung einer funktionierenden Demokratie, aber er sah auch die Herrschaft der bislang armen, besitzlosen Klassen, besonders der Arbeiter, als Grundvoraussetzung einer Demokratie, die den Weg hin zum Sozialismus eröffnete.
Lassalle konnte einen guten Teil der Industriearbeiter vor allem in Sachsen, Berlin und im Rheinland für seine Sache gewinnen. Abgeordnete aus diesen Gebieten stellten die Mehrzahl der Delegierten, die am 23. Mai 1863 in Leipzig zur Gründungskonferenz des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) zusammentraten. Lassalle war nicht der Begründer des ADAV, seine Teilnahme an der Konferenz ging vielmehr auf eine Einladung zurück, die von derselben Gruppe von Arbeitern ausgegangen war, die ihn auch um das »Offene Antwortschreiben« gebeten hatte. Doch durch seine unermüdlichen Aktivitäten, seine intellektuellen und publizistischen Fähigkeiten war er für die Leitung der jungen Organisation geradezu prädestiniert und wurde zu ihrem ersten Präsidenten gewählt. Er tat darüber hinaus viel, um Marx’ Ideengut zu popularisieren und bereitete die Arbeiter für die Aneignung des Marxismus vor. Aber sein autoritärer Führungsstil führte zu scharfer innerparteilicher Kritik. Lassalles Leben fand am 31. August 1864 in der Nähe von Genf ein plötzliches Ende im Duell mit einem wallachischen Adligen wegen einer Frauengeschichte. Sein Körper wurde auf dem Jüdischen Friedhof seiner Heimatstadt Breslau bestattet, wo das Grab die Nazi-Herrschaft überstand.
Zum 120. Todestag Lassalles legten 1984 die SPD wie auch die SED Kränze und Blumengebinde nieder, jedoch zeitversetzt, um ein Zusammentreffen beider Delegationen zu vermeiden. Um Lassalles Erbe machten sich verdient Hermann Oncken und Gustav Mayer im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Helmut Hirsch in der Bundesrepublik, Shlomo Na’aman in Israel und der Leipziger Historiker Hans Jürgen Friederici sowie literarisch Stefan Heym in der DDR.
Inzwischen ist es um diesen Arbeiterführer stiller geworden. Wie viel Lassalle steckt noch in der heutigen SPD, die nun erneut eine Koalition mit den Christsozialen und Christdemokraten wagt? Das meint nicht Lassalles Charme und seine Galanterie.
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