Der lange Weg zum ersten Job
35 000 Geflüchtete befinden sich derzeit in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit
Ein Jahr nach dem rasanten Anstieg der Flüchtlingszahlen lässt sich eine erste Bilanz ziehen: Gekommen sind im vergangenen Jahr rund 1,1 Millionen Menschen von denen etwa 800 000 geblieben sind. 2016 kamen in den ersten sechs Monaten 222 300 Personen. In der ersten Phase der Integration müssen sie lange darauf warten, überhaupt mal einen Asylantrag stellen zu dürfen. Die Bearbeitung dauerte zuletzt im Schnitt über ein Jahr. Doch weist das Migrationsamt darauf hin, dass man aufhole. Insgesamt 287 000 Anträge habe die Behörde im ersten Semester bearbeitet, mithin mehr als neue Antragsteller hinzu kamen. Bis zum Herbst hofft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Rückstau in der Antragsbearbeitung beendet zu haben.
Während der Antrag noch läuft, beginnen schon Integrations- und Sprachkurse. Derzeit zählen sie 135 000 Teilnehmer. 35 000 Frauen und Männer befinden sich in Arbeitsmarktmaßnahmen der Bundesagentur zur Berufsvorbereitung. Weitere 30 000 Flüchtlinge haben inzwischen einen festen Job gefunden. 141 000 sind offiziell als arbeitslos gemeldet.
Die laut einer Studie der Nürnberger Arbeitsmarktforscher überdurchschnittlich erwerbsorientierten Flüchtlinge können mit einem aufnahmebereiten Arbeitsmarkt rechnen. So ist die Zahl der Beschäftigten in Deutschland binnen Jahresfrist um 700 000 gestiegen. Mehr als 650 000 neue offene Stellen sind bei der Bundesagentur gemeldet, ein siebtel davon in der Rubrik Pflege und Soziales.
Haupthindernis für eine Integration sind nach wie vor mangelnde Sprachkenntnisse und das Fehlen von Berufsbildungsabschlüssen bei zwei Dritteln der Flüchtlinge. 38 Prozent haben nicht einmal einen Schulabschluss. Diese Situation trifft auf Unternehmen, die eher anspruchsvoller geworden sind. Zumindest dauert es im Schnitt länger als vor ein paar Jahren, offene Stellen zu besetzen. Für die Bundesagentur bedeutet dies, dass es erheblicher Qualifizierungsanstrengungen bedarf, um die Mehrheit der Flüchtlinge in Lohn und Brot zu bringen. Doch die Bundesagentur ist finanziell gut gerüstet für diese Aufgabe, hat sie doch im ersten Halbjahr dank weniger Kundschaft insgesamt 2,2 Milliarden Euro gegenüber ihrem Haushaltsplan eingespart.
Die deutsche Bevölkerung schrumpft und altert. Schon bald werden Tausende neue Berufstätige benötigt. Doch Zuwanderung allein aus der EU wird auf Dauer nicht ausreichen, um die Lücke zu schließen. Vonnöten ist ein stärkerer Zuzug von Menschen aus Drittstaaten. So heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Deutschland ist in den kommenden Jahrzehnten stärker denn je auf Zuwanderung angewiesen. Ohne Einwanderer würde das Arbeitskräftepotenzial bis 2050 von heute rund 45 auf unter 29 Millionen sinken - ein Rückgang um 36 Prozent. Diese Lücke ist ohne Einwanderer nicht zu schließen. Laut Schätzungen des Statistischen Bundesamts sind es sogar 470 000 Arbeitskräfte, die langfristig pro Jahr fehlen. Eine solche Nettozuwanderung würde laut der Studie zumindest in den kommenden zehn Jahren ausreichen, um die Zahl der arbeitsfähigen Menschen hierzulande konstant zu halten. Ab dann allerdings steigt der Bedarf an Einwanderern, weil die »Baby-Boomer-Generation« in Rente geht. Jeder zweite heutige Beschäftigter mit qualifizierter Berufsausbildung verlässt bis 2030 die Berufswelt.
Nach den Studien-Autoren vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und von der Coburger Hochschule für angewandte Wissenschaften, die die Studie erstellten, wird die derzeit hohe Zuwanderung aus EU-Ländern (2013: rund 300 000) schon bald deutlich nachlassen, da der demografische Wandel in der gesamten EU die Bevölkerung schrumpfen lässt und bei einer wirtschaftlichen Erholung der europäischen Krisenländer der Anreiz zur Auswanderung sinkt. Die Experten rechnen bis 2050 im Jahresdurchschnitt nur noch mit bis zu 70 000 Einwanderern aus EU-Staaten. Daher sollten die Bemühungen um qualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten intensiviert werden, fordert die Studie.
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