»Täter sind doch die anderen!«
Wenn Sexismus rassistisch wird: Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen - Teil IV
»Das ist doch kein Sexismus, das ist doch ein Kompliment …« Wer Sexismus zum Thema macht, hört nicht selten solche Sätze. Eine nd-Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung will den Blick dafür schärfen, dass Sexismus ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft ist. Wer Sexismus thematisiert, stellt immer auch die Frage nach der Macht, nach ihrer ungleichen Verteilung und nach den Strategien, mit denen diese Verhältnisse aufrechterhalten werden. Es geht um Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen, mit denen Kritik an Sexismus zum Schweigen gebracht werden soll.
»Sie wurden lang tabuisiert, aber wir müssen uns mit gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen in muslimischer Kultur auseinandersetzen.«
Ex-Familienministerin Kristina Schröder, CDU, Januar 2016
»Sie waren Nordafrikaner oder Araber, also Muslime. Und das wird auch die Basis gewesen sein, auf der sie sich verständigt haben.«
Alice Schwarzer, Journalistin, 2016
In der Silvesternacht 2016 wurden rund um den Kölner Hauptbahnhof, aber auch in anderen deutschen Städten, zahlreiche Frauen Opfer von Eigentums- und Sexualdelikten, die großes Aufsehen in Politik und Medien verursachten und nicht nur von extrem Rechten, sondern auch von Konservativen dazu instrumentalisiert wurden, um Stimmung gegen geflüchtete Menschen zu machen. Bis Ende März 2016 hatte die Kölner Ermittlungsgruppe »Neujahr« 1.527 Straftaten mit 1.218 Opfern erfasst. Bei etwa der Hälfte handelt es sich um Opfer von Sexualdelikten. In 185 von 529 Fällen wurde gleichzeitig mit der Sexualstraftat auch ein Diebstahl angezeigt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden 153 Tatverdächtige ermittelt, 149 von ihnen haben einen ausländischen Pass, mehrheitlich einen marokkanischen oder algerischen.
Was ist dran?
Wenn über sexualisierte Gewalt berichtet und Opfer ernst genommen werden, ist das grundsätzlich gut. Es ist ebenso begrüßenswert, dass die Schuld für die Übergriffe nicht bei den Betroffenen gesucht wurde – das ist keine Selbstverständlichkeit. Nichtsdestotrotz ist es aber problematisch, wenn Betroffene von sexualisierter Gewalt vor allem deshalb ernst genommen werden, weil die Täter ins Bild passen. Auch hier haben wir es mit einer Bejahung eines hoch problematischen Erklärungsmodells für sexualisierte Gewalt zu tun: Viele Menschen denken, dass die größte Gefahr für Frauen von »Fremde« ausgeht – sei es der »unbekannte Mann«, der die Joggerin im Park überfällt, oder eben der »schwarze Mann«, ein rassistisches Narrativ, auf das noch eingegangen wird. Dabei sind es in der Regel nicht Fremde, sondern Bekannte, die gegenüber Frauen sexualisierte Gewalt anwenden.
Für die Ungleichbehandlung der Opfer je nach vermuteter Tätergruppe liefern die Äußerungen der Publizistin Birgit Kelle ein anschauliches Beispiel: Als es 2013 im Anschluss an den Artikel über den Sexismus des FDP-Spitzenkandidaten Rainer Brüderle zu einem regen Austausch über Erfahrungen mit Alltagssexismus zunächst im Nachrichtendienst Twitter (unter dem #aufschrei) und dann in anderen Medien kam, wertete Birgit Kelle die Erfahrungsberichte als »Banalitäten, die nichts weiter sind als das alltägliche Balzverhalten zwischen Mann und Frau«, ab und resümierte: »Ich möchte nicht Mann sein in dieser Welt, in der bereits 13-Jährige mit Push-up-BHs zur Schule gehen.«
Nach den Straftaten in der Kölner Silvesternacht forderte sie aber, dass ein »Aufschrei gegen die Täter nicht ausbleiben darf«. Jedes Jahr kommt es bei Großveranstaltungen wie dem Münchner Oktoberfest oder rund um den Karneval zu Übergriffen – doch nie folgte bisher eine vergleichbare Empörungswelle. Betroffene wurden bisher auch noch nie dazu aufgerufen, sich bei der Polizei zu melden.
Weshalb sind die mediale Aufmerksamkeit und die Sorge um die Sicherheit von Frauen hier geringer? Weil in diesen Fällen die Täter nicht ins Bild passen. Deshalb werden hier Übergriffe als Feierlaune heruntergespielt und Frauen wird suggeriert, sie übertreiben oder hätten selbst Schuld, schließlich wisse man ja, worauf man sich einlasse. Dieser Vergleich verharmlost nicht, was den Betroffenen der Silvesternacht widerfahren ist, sondern macht auf die Ungleichbehandlung der Opfer, aber auch der Täter aufmerksam.
Es ist rassistisch, wenn die Hauptursache für sexualisierte Gewalt in dem kulturellen Hintergrund oder der ethnischen Herkunft von Tatverdächtigen gesucht wird, wie in Reaktion auf die Ereignisse in der Silvesternacht 2016 geschehen. Schnell standen alle »Fremden« unter Generalverdacht. Viele Menschen sahen sich in ihrem Rassismus bestätigt und wurden darin von der medialen Öffentlichkeit und anderen Akteuren bestärkt.
Pegida NRW rief im Januar 2016 unter dem Motto »Pegida schützt« zu einer Kundgebung in Köln auf. Pegida-Initiator Lutz Bachmann posierte in den sozialen Medien mit dem geschmacklosen Schriftzug »Rapefugees not welcome« – woraufhin Grünen-Landesvorsitzende Jürgen Kasek Anzeige wegen Volksverhetzung erstattete. Und auch die Bundesregierung nutzte die rassistische Stimmung, um neue Gesetze zu erlassen: Das Aufenthalts- und Asylrecht wurden verschärft und Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.
Derartige politische Maßnahmen und Parolen sind keine Präventionsmaßnahmen, sondern sie instrumentalisieren die Ereignisse, um Positionen zu rechtfertigen, die schon vor den Vorfällen gefordert wurden. Echte Präventionsmaßnahmen wären eine flächendeckende Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt.
In der medialen Reaktion auf die massiven Übergriffe in der Silvesternacht wurde zudem auf ein weit verbreitetes und traditionsreiches rassistisches Narrativ zurückgegriffen: Der schwarze/fremde Mann bedroht die weiße Frau – der weiße Mann beschützt die weiße Frau und sein Land. Das zeigte sich in aller Deutlichkeit in den Titelbildern, etwa der »Süddeutschen Zeitung«, dem »Focus« oder dem österreichischen »Falter«, auf denen jeweils weiße Frauen zu sehen waren, die von schwarzen Männern bedroht oder angefasst wurden.
Wer rassistische Bilder benutzt, um über sexualisierte Gewalt zu sprechen, der oder die hilft den Opfern nicht, schadet aber all den Menschen, die ohnehin von Diskriminierung und Rassismus betroffen sind. In der öffentlichen Debatte um die Kölner Silvesternacht ging es auch nicht darum, über sexualisierte Gewalt aufzuklären, sondern darum, die Täter als Fremde auszugrenzen. Sexualisierte Gewalt wurde als Bedrohung von außen inszeniert, die nicht zu Deutschland gehört. Die Mehrheitsgesellschaft konnte sich ihrer selbst vergewissern: Nicht wir haben ein Problem mit Sexismus und sexualisierter Gewalt, sondern die. Nicht wir müssen uns ändern, sondern die müssen sich integrieren.
Sexismus und sexualisierte Gewalt sind aber nichts, was nach Deutschland gebracht wurde, sondern strukturelle Probleme unserer Gesellschaft, die breit diskutiert und sachlich analysiert werden müssen. Die Erklärung ausnahmslos.org forderte genau das und setzte ein wichtiges Zeichen gegen die Instrumentalisierung der Straftaten der Kölner Silvesternacht für politische Zwecke.
Die Broschüre, auf der diese Reihe basiert, ist gerade als »luxemburg argumente« von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben worden. Die Autorin ist Anna Schiff. Ein Interview mit ihr gibt es hier zum Nachhören. Die llustrationen stammen von Marie Geissler.
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