Brexit vermiest die Stimmung
Bei den DAX-Konzernen haben sich die Aussichten seit dem Referendum eingetrübt
So ganz rund lief es bei der Allianz nicht. »Das zweite Quartal wurde insbesondere durch ausgesprochen hohe Schäden aus schweren Überschwemmungen und Stürmen in Europa geprägt«, zog Konzernchef Oliver Bäthe am Freitag Bilanz für die Zeit von April bis Juni. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sackte das operative Ergebnis des Versicherers und DAX-Konzerns um 17,2 Prozent auf 2,4 Milliarden Euro ab. Vorbehaltlich »unvorhergesehener Ereignisse oder unerwarteter Turbulenzen an den Kapitalmärkten« will man aber dieses Jahr noch immer rund 10,5 Milliarden Euro Gewinn machen.
Mit seinem Gewinnrückgang ist Deutschlands größter Versicherer im Club der 30 größten hiesigen Konzerne - dem Deutschen Aktienindex (DAX) - nicht allein. Bei sechs von 17 Unternehmen, die bereits neue Quartalszahlen veröffentlicht haben, schrumpfte der Gewinn, wie eine erste Auswertung der Beraterfirma EY Anfang der Woche zeigt. Um knapp ein Prozent ging dabei der Gesamtumsatz zurück. Beim Gewinn waren es acht Prozent. »Die anhaltende Rezession in Russland und Brasilien und die abgeschwächte Dynamik in China bremsen das Wachstum spürbar«, meint Mathieu Meyer, Mitglied der Geschäftsführung bei EY.
Besonders Banken und Autobauer mussten einstecken: Bei Deutscher Bank und Commerzbank gingen die Gewinne um 67 beziehungsweise 18 Prozent zurück. Bei Volkswagen und Daimler waren es ein Minus von 46 beziehungsweise zwölf Prozent. Gerade bei VW und Deutscher Bank waren die miesen Zahlen jedoch aufgrund diverser Skandale vor allem selbstverschuldet. Und es gibt auf der anderen Seite Unternehmen wie SAP und Adidas. Der Softwarekonzern konnte seinen Gewinn um gewaltige 87 Prozent steigern, der Sportausstatter um 77 Prozent. Von einer Krise kann also den EY-Ökonomen zufolge insgesamt keine Rede sein. »Die Unternehmensgewinne sind auf hohem Niveau«, so Meyer.
Dennoch: Ein von den meisten Beobachtern unvorhergesehenes Ereignis lastet derzeit auf der Stimmung der Konzerne. »Wichtige Branchen - allen voran die Autobranche - könnten schon bald die Folgen der Brexit-Entscheidung zu spüren bekommen«, schätzt Meyer. Die DAX-Unternehmen erwirtschaften nämlich rund 70 Prozent ihrer Umsätze im Ausland. Und mit einem Volumen von 89,3 Milliarden Euro ist Großbritannien der drittwichtigste Abnehmer deutscher Exportwaren.
Beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung warnt man bereits, dass das Votum der Briten für einen Austritt aus der EU die hiesige Wirtschaft belasten könnte. Demnach könnte das Bruttoinlandsprodukt dieses Jahr um 0,1 Prozent und nächstes Jahr um 0,3 Prozent weniger wachsen als bisher angenommen.
Auch beim gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) blickt man etwas sorgenvoller in die Zukunft: »Bisher gibt es noch keine sichere Datengrundlage, aber die ersten Anzeichen deuten für die Konjunktur in Großbritannien nach unten«, sagt IMK-Konjunkturexperte Thomas Theobald gegenüber »neues deutschland«.
Dass die Bank of England gerade den Leitzins gesenkt und angekündigt hat, Anleihen in Höhe von 70 Milliarden Pfund zu kaufen, ist für ihn ein Zeichen, dass es nicht mehr rund läuft im Inselstaat. Und wenn die Nachfrage dort einbricht, dann kann dies über den Handelsweg eben auch für die deutsche Wirtschaft schlecht sein, weil deren Produkte weniger in Großbritannien abgesetzt werden.
So hat auch das IMK seine Prognose für 2016 und 2017 gesenkt. Zwar kostet der Brexit dieses Jahr vermutlich nur wenig Wachstum, 2017 könnte er aber für ein halbes Prozent weniger verantwortlich sein als in der März-Prognose angenommen. Demnach könnte das Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent in diesem auf 1,3 Prozent im nächsten Jahr zurückgehen.
Neben den negativen Handelseffekten kann der Brexit Theobald zufolge vor allem durch die gestiegene Verunsicherung auf den Finanzmärkten und die damit einhergehenden Effekte für die realen Investitionen die hiesige Konjunktur dämpfen. »Man konnte relativ schnell nach dem Brexit-Votum erhebliche Schwankungen auf den Finanzmärkten beobachten«, so Theobald. Derzeit hätten sich die Finanzmärkte zwar wieder etwas beruhigt. »Bis zur endgültigen Entflechtung Großbritanniens von der EU kann es aber immer wieder zu turbulenten Phasen auf den Finanzmärkten kommen«, meint der IMK-Ökonom.
Und die Forscher vom IMK schätzen, dass sich die Austrittsverhandlungen bis ins Jahr 2018 hinziehen werden, weil sich allein die rechtliche Entflechtung vermutlich schwierig gestalten wird und zudem politische Unwägbarkeiten wie die Rolle Schottlands bestehen. Insofern wird es wohl noch viele Zitterpartien wegen des Brexit geben.
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