Laden, aufstellen, abdrücken!
Im Schießen gewinnt Brasilien seine erste Medaille, Vietnam sein allererstes Gold
Bei Olympia geschieht immerzu Historisches: Welchen Wettkampf man auch besucht, er wird am Schluss Rekorde oder Medaillen aufweisen, die es angeblich in die Geschichtsbücher schaffen. Der erste Sieg einer Singapurerin in einem olympischen Fechtduell, die erste Aborigine, die je an einem olympischen Beachvolleyballturnier teilnimmt, Japans erster Schwimmolympiasieger, im Radsport Belgiens erste Goldmedaille seit Tia Hellebauts Olympiasieg 2008: Die olympischen Nachrichten quellen über von Athletinnen und Athleten, die Historisches schaffen.
Weil sie die erste olympische Medaille Brasiliens in Rio miterleben wollten, hatten sich am Samstag gut 600 Leute in den nördlichen Stadtteil Deodoro begeben, genauer genommen in die »Vila Militaria« das »militärische Dorf«, das in diesen Tagen als Olympiapark Deodoro fungiert. Hier nahm Sportschütze Felipe Almeida Wu im Wettbewerb Luftpistole zehn Meter Anlauf auf einen Platz unter den ersten drei: Ein 24-jähriger Sportsoldat aus São Paulo, Sieger der Panamerikaspiele 2015 und Weltranglistenerster, von dem die fußballvernarrten Zeitungen und Fernsehsender Brasiliens bisher nur 2015 Notiz genommen hatten, nach seiner Mitteilung, er trainiere lieber im eigenen Haus, statt Geld für das Training auf einer der schlecht ausgestatteten Schießanlagen der brasilianischen Metropole auszugeben.
Auch in Brasilien führt die Sportart wie vielerorts auf der Welt ein Nischendasein. Zyniker mögen einwenden, dass das in einem Land, in dem jährlich Tausende durch Waffengewalt sterben, womöglich gar nicht so schlecht ist. Doch diese Grundsatzfrage stellten sich die Besucher des olympischen Wettkampfs nicht. Sie staunten eher, dass es im Schießen so spannend zugeht.
Das Wettkampfformat ist stimmig: Acht Finalisten nehmen auf acht Bahnen nebeneinander Aufstellung, im Hintergrund läuft leise Musik aus Cowboyfilmen. Die Gesichter der Finalisten sind in Großaufnahme auf den Monitoren zu sehen: ernste Mienen, reglose Antlitze, Konzentration. Auf das Kommando des Schiedsrichters: »For the next competition shot: Load! Stand!« (Für den nächsten Wettkampfschuss: Laden! Aufstellen!) wird gezielt und abgedrückt. Das Trefferbild wird eingeblendet und die Genauigkeit aufs Zehntel hinter dem Komma bemessen. Alle zwei Schüsse schließlich scheidet derjenige mit den wenigsten Punkten aus.
Die Brasilianer fanden schnell Gefallen daran: Weil sich ihr Landsmann schon nach wenigen Schüssen an die Spitze des Feldes setzte, machten die brasilianischen Fans ordentlich Krach. Dass sich ihr »Wu, Wu, Wu!« wie ausbuhen anhörte, war ihnen egal. Ein Gegner nach dem anderen schied aus, der Favorit Jongoh Jin aus Südkorea als Fünfter, der chinesische Olympiasieger von 2008 Wei Pang als Dritter. Vor dem letzten Schuss führte Wu mit wenigen Zehnteln vor dem Vietnamesen Xuan Vinh Hoang, sein letzter Schuss traf bei guten 10,1 Sekunden, sein Kontrahent stand noch da und visierte an. Sekunde um Sekunde verstrich, das »Wu! Wu! Wu!« schwoll an, dann drückte der 43-jährige Vietnamese ab: 10,7 Punkte! Gold für Vietnam, Silber für Brasilien mit insgesamt 0,4 Zählern Rückstand.
Artig gratulierte Wu dem Vietnamesen, dann konnte er endlich das tun, was aus Gründen der Konzentration zuvor nicht ging: Er wandte sich seinem Publikum zu und jubelte. »Diese Silbermedaille ist wie ein Sieg«, freute er sich nach der Siegerehrung und zeigte sich geschichtsbewusst: Er hoffe, dass dieser Erfolg auch dem Schießsport in Brasilien Aufmerksamkeit verschaffe, seit 1920 habe schließlich kein Brasilianer mehr eine olympische Medaille im Schießen gewonnen: »Vielleicht fangen ja jetzt ein paar Leute mehr damit an.«
Sein vietnamesischer Bezwinger hingegen konnte sich an einer wahrhaft historischen Tat erfreuen: Xuan Vinh Hoang, der mit olympischem Rekord von 202,5 Punkten siegte, ist nun der erste Goldmedaillengewinner seines Landes, das in seiner Geschichte lediglich zwei Medaillen im Taekwondo zu bejubeln hatte. »Ich bin überglücklich, Gold für Vietnam«, sagt Hoang: »Diesen Tag werde ich nie vergessen.«
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