Schulterblick oder echte Mitbestimmung?

Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften richten zum ersten Mal Mieterräte ein

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Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften richten zum ersten Mal Mieterräte ein. Aushänge hatten Interessierte aufgerufen, sich um die Mitarbeit zu bewerben. Dann lagen die Briefwahlunterlagen in den Hausbriefkästen. Über 60 Bewerber kandidieren z. B. auf der Liste der degewo.

Das Anfang 2016 in Kraft getretene Berliner Wohnraumversorgungsgesetz, das die Bildung von Mieterräten festlegt, war ein Kompromiss zwischen Senat und den Befürwortern eines Mietenvolksentscheides. Aufgabe der Mieterräte ist es, Stellung zu beziehen zu Planungen bei Neubau und Modernisierung, bei der Quartiersentwicklung sowie bei Gemeinschaftseinrichtungen.

Absolute Premiere ist die Mieterstimme in den Chefetagen. Ein Mitglied des Mieterrats wird zusätzlich zu einem Gasthörer in den Aufsichtsrat des Wohnungsbauunternehmens entsandt und ist dort stimmberechtigt. Zudem soll dem Mieterrat frühzeitig die jährliche Investitionsplanung vorgestellt werden. Das bedeutet: Erstmals werden die Mieter der rund 292 000 städtischen Wohnungen an Unternehmensentscheidungen beteiligt.

Nun zwei Mietergremien

Bislang gab es lediglich Mieter»bei«räte, deren Kompetenzen sich im Wesentlichen auf Anhörungs- und Vorschlagsrechte im Bereich Wohnumfeld und Betriebskosten beschränkten. Bei den »harten Themen« wie An- und Verkäufen oder Sanierungsprogrammen blieben sie außen vor. Entsprechend schwach war häufig die Beteiligung. Mieterbeiräte soll es neben den Mieterräten weiterhin geben. Beide Gremien sollen kooperieren - mit dem Ziel, mehr Mieter für die Mitarbeit zu gewinnen.

Die Unternehmen riefen die Mieter dazu auf, sich an den Wahlen zu beteiligen. Wahlberechtigt sind Mieter, die über 18 Jahre alt sind und seit mindestens sechs Monaten als Hauptmieter eine Wohnung haben. Die gleichen Voraussetzungen gelten für Mieter, die für den Mieterrat kandidieren.

Diese Phase ist bereits abgeschlossen - mit guter Resonanz, wie es heißt. Nun stehen gehen die Briefwahlen kurz vor dem Abschluss. Jeder Haushalt hat nur eine Stimme, unabhängig von der Anzahl der Hauptmieter. Die Wohnungsbaugesellschaften haben für die Durchführung der Wahlen in ihren Bestandsgebieten zunächst Wahlbezirke gebildet, in denen für jeweils 5000 bis 8000 Haushalte ein Mitglied des Mieterrats gewählt wird.

Je nach Unternehmensgröße wird es fünf- bis zwölfköpfige Mieterräte geben. Für die ehrenamtliche Arbeit zahlen die Unternehmen eine kleine Aufwandsentschädigung (200 Euro pro Jahr). Außerdem unterstützen sie die Arbeit mit Räumlichkeiten und bei der Erstellung von Informationsflyern.

Etwas mehr darf's schon sein

Der Berliner Mieterverein (BMV) begrüßt die neuen Mitwirkungsmöglichkeiten. »Für die Mieter werden damit mehr Transparenz und Kontrollmöglichkeiten geschaffen«, so Geschäftsführer Reiner Wild. Es bleibe jedoch abzuwarten, wie die verstärkte Einbindung in die Tat umgesetzt wird. Ein wenig mehr als eine »Interessenvertretung für den Blick über die Schulter«, wie es die Wohnungsbaugesellschaft Mitte formuliert, darf’s schon sein. Beim BMV hatte man schon lange auf eine Ausweitung der Mitspracherechte gedrängt.

Den Initiatoren des Mietenvolksentscheids geht die Demokratisierung nicht weit genug. Mit nur einer einzigen Mieterstimme im Aufsichtsrat, noch dazu ohne Vetorecht, seien die Einflussmöglichkeiten gering. Die Mitgestaltung beschränke sich faktisch auf ein Informationsrecht. Das könne unter günstigen Umständen Transparenz gegen Skandale schaffen. Eine ernstzunehmende Mitbestimmung stelle man sich anders vor. Aus: MieterMagazin 7+8/2016

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