»Angela Merkel hat es doch auch geschafft!«

Warum Sexismus in der Arbeitswelt dennoch ein Problem ist: Argumente gegen gängige Mythen und Abwehrbehauptungen - Teil VIII

  • Anna Schiff
  • Lesedauer: 4 Min.

»Das ist doch kein Sexismus, das ist doch ein Kompliment …« Wer Sexismus zum Thema macht, hört nicht selten solche Sätze. Eine nd-Serie in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung will den Blick dafür schärfen, dass Sexismus ein strukturelles Problem unserer Gesellschaft ist. Wer Sexismus thematisiert, stellt immer auch die Frage nach der Macht, nach ihrer ungleichen Verteilung und nach den Strategien, mit denen diese Verhältnis­se aufrechterhalten werden. Es geht um Argumente gegen gängige Mythen und abwehrende Behauptungen, mit denen Kritik an Sexismus zum Schweigen gebracht werden soll.

»Die Frauenquote ist der größte Beitrag zur Gleichberechtigung seit Einführung des Frauenwahlrechts. Nach der politischen Macht bekommen Frauen endlich einen fairen Anteil an der wirtschaftlichen Macht.«
Bundesjustizminister Heiko Maas, März 2015

»Die Frau Familienministerin soll nicht so weinerlich sein, sondern sie soll den Koalitionsvertrag umsetzen, dann ist alles in Ordnung.«
Volker Kauder, Unionsfraktionschef, November 2014

Was ist dran?

Es stimmt. Die rechtliche und berufliche Situation von Frauen in der BRD hat sich in den letzten 40 Jahren zweifelsohne deutlich verbessert. Es stimmt ebenfalls, dass es vonseiten des Staates Bemühungen gibt, berufliche Benachteiligungen von Frauen zu reduzieren. Herr Maas hat recht, wenn er die Bedeutung der Einführung der gesetzlichen Frauenquote hervorhebt, die nach langen Diskussionen im März 2015 endlich beschlossen wurde.

Herr Maas irrt allerdings insofern, als dass er bei seinem Vergleich einen entscheidenden Punkt übergeht: Das Frauenwahlrecht, das 1918 eingeführt wurde, galt für alle Frauen, die eingeführte Frauenquote betrifft nur einige wenige: Sie bezieht sich auf die Besetzung der Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Großunternehmen und liegt bei 30 Prozent. Von der Neuregelung sind ab 2016 also rund 110 Unternehmen betroffen. Grob geschätzt profitieren von dem neuen Gesetz also 180 Frauen. Doch nur weil einige wenige »Ausnahme-Frauen« ihre beruflichen Chancen verbessern können, ist Sexismus als interaktionelles und strukturelles Problem in der Berufswelt noch nicht beseitigt.

Sexismus gehört für Frauen zum (beruflichen) Alltag. Frauen müssen noch immer gegen Vorurteile bezüglich ihrer beruflichen Fähigkeiten aufgrund ihres Geschlechts antreten. Es ist kaum vorstellbar, dass Unionsfraktionschef Volker Kauder einen männlichen Kollegen, mit dem er politisch nicht einer Meinung ist, als »weinerlich« bezeichnet hätte. Frauen gelten als »Zicke« oder »schwierig«, wenn sie bestimmend auftreten, während Männern ein solches Verhalten nicht nur zugestanden, sondern es geradezu von ihnen erwartet wird.

Sexismus gehört auch deshalb zum Berufsalltag von Frauen, weil es sich um ein strukturelles Problem handelt. Frauen verdienen weniger als Männer. Diese Lohndifferenz wird als Gender Pay Gap bezeichnet und betrug laut Statistischem Bundesamt 2015 rund 21 Prozent. Der durchschnittliche Bruttostunden- verdienst von Frauen belief sich 2015 auf 16,20 Euro, der von Männern auf 20,59 Euro. In den neuen Bundesländern lag der Gender Pay Gap bei 8 Prozent, in den alten Bundesländern bei 23 Prozent.

Schaut man sich die Lohnunterschiede innerhalb der unterschiedlichen Branchen bei gleicher Qualifikation, Erfahrung, Tätigkeit und Erwerbsbiografie an – der sogenannte bereinigte Gender Pay Gap betrug hier 2010 durchschnittlich 7 Prozent –, wird klar, dass Frauen vor allem auch deshalb weniger verdienen, weil sie in Berufen arbeiten, die per se schlechter bezahlt werden. In Branchen wie dem Gesundheitswesen und der Sozialarbeit, in denen überwiegend Frauen tätig sind, wird Arbeit grundsätzlich schlechter bezahlt als in männerdominierten Branchen.

Der Begriff Care-Arbeit (engl.: care = versorgen) bezeichnet diejenigen Tätigkeiten, bei denen Menschen für andere Menschen sorgen. Gemeint sind damit Haushaltsarbeiten wie Wäschewaschen oder Essenkochen, Kinderbetreuung oder die Pflege von erkrankten oder alten Angehörigen. Ohne Care- Arbeit würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Diese Arbeit wird zum überwiegenden Teil von Frauen geleistet. Im Durchschnitt arbeiten sie pro Woche 4 Stunden unbezahlt, bei Männern sind es 2,5 Stunden. Viele Frauen verringern ihre Lohnarbeitszeit, um die unbezahlte Care-Arbeit leisten zu können, die Zeit und Energie kostet – was einen weiteren Grund für die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen darstellt und auch dazu beiträgt, dass Frauen einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt sind als Männer.

Es gibt also einen direkten Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Anerkennung von Berufen, der Bezahlung und dem Geschlecht, das in der jeweiligen Branche dominant vertreten ist und deshalb mit diesen Berufen konnotiert wird. In der Tendenz werden Männerberufe besser bewertet als Frauenberufe. Die Bewertung kann sich allerdings verschieben, sobald das jeweils andere Geschlecht den Beruf ausübt: Computerprogrammierung war in den Anfängen zum Bespiel ein Frauenberuf, vergleichbar mit dem der Sekretärin, und wurde gesellschaftlich entsprechend gering geschätzt. Heute handelt es sich um einen hoch bezahlten, angesehenen, männerdominierten Beruf.

Die Broschüre, auf der diese Reihe basiert, ist gerade als »luxemburg argumente« von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben worden. Die Autorin ist Anna Schiff. Ein Interview mit ihr gibt es hier zum Nachhören. Die llustrationen stammen von Marie Geissler.

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