Dutzende Demonstranten in Äthiopien getötet
Laut Amnesty International fast 100 Opfer / Regierung will Entwicklungsprojekte trotz Protesten durchsetzen
Addis Abeba. Beim gewaltsamen Vorgehen von Sicherheitskräften gegen regierungskritische Demonstranten sind in Äthiopien am Wochenende dutzende Menschen getötet worden. Es gebe Berichte über 48 bis 50 Todesopfer in der Region Oromia, sagte ein Oppositionsvertreter am Montag der Nachrichtenagentur AFP. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International gab die Zahl der Todesopfer mit 97 an.
Ein Diplomat ging von 49 Toten im westlichen Oromia sowie in Amhara im Norden Äthiopiens aus. Offenbar hätten sich in den Gebieten spontane Proteste ausgebreitet. »Die brutale Reaktion der Regierung droht noch mehr Wut auszulösen und es schlimmer zu machen«, sagte der Diplomat, der nicht namentlich genannt werden wollte.
Die Zahl der Todesopfer drohe noch zu steigen, weil es zahlreiche Verletzte gebe, sagte der Chef des oppositionellen Oromo-Volkskongresses, Merera Gudina. Die äthiopischen Behörden blockieren seit Freitag den Zugang zu sozialen Online-Netzwerken. Diese spielen in dem ostafrikanischen Land eine zentrale Rolle bei der Organisation von Protesten.
Die regierungskritischen Demonstrationen breiteten sich am Wochenende trotz des harten Vorgehens der Regierung bis in die Hauptstadt Addis Abeba aus. Im Stadtzentrum hatten sich am Samstag etwa 500 Menschen versammelt und »Wir wollen unsere Freiheit« sowie »Befreit unsere politischen Gefangenen« gerufen. Die Polizei löste die Versammlung gewaltsam auf.
In der Region Oromia gibt es bereits seit Ende vergangenen Jahres immer wieder Auseinandersetzungen. In Amhara wurden jüngst aufflammende Proteste zusätzlich durch die versuchte Festnahme zweier Lokalpolitiker angefacht, die sich gegen die Pläne zur Zusammenlegung zweier Bezirke gestemmt hatten. Die Protestierenden eint der Unmut über die Regierung, die mehrheitlich der ethnischen Gruppe der Tigray entstammt und der die Demonstranten Diskriminierung vorwerfen.
Die aktuellen Auseinandersetzungen haben dabei einen eindeutigen Ausgangspunkt: den »Masterplan« für Addis Abeba. Dieser wurde zwar mittlerweile nach Protesten offiziell aufgegeben. An den darin vorgesehen Projekten wird aber weiterhin festgehalten. Äthiopiens Hauptstadt soll demnach mit einigen Oromo-Gebieten im Umland »verbunden« werden. Dies würde eine Ausweitung des Stadtgebietes von rund 54.000 Hektar auf 1,1 Millionen Hektar Land bedeuten.
Die Gebietsreform trifft vor allem die Oromo-Bauern im Umkreis der Hauptstadt. Zehntausende fürchten ihre Vertreibung aufgrund der neuen Siedlungs- und Investitionsprojekte. Viele haben bereits ihren Lebensunterhalt verloren, nachdem in den vergangenen Jahren gezielt Farmen für den Export von Rosen nach Europa angelegt wurden. Die Oromo-Bauern haben normalerweise keine Mitsprache an den Entwicklungsprojekten der Regierung. Kritiker warnen, dass die Souveränität der Gemeinden bedroht ist. nd/Agenturen
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