Die Ränder der Welt

Karl-Ernst Herrmann 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Er zaubert wohl am liebsten Weltränder. Getupftes, Schwebendes, Feinstgezeichnetes, das mit Poesie jeden Untergangsgedanken lächerlich macht - aber die Poesie zugleich doch als das Lächerlichste zeigt. Weil Poesie Wurzeln zu schlagen versucht in gewittriger Luft. Karl-Ernst Herrmann: Bühnenbildner bei Peter Zadek, Peter Stein, Luc Bondy, Thomas Langhoff, Claus Peymann.

Seine Kunst lebt vor allem in den Stücken von Thomas Bernhard, Peter Handke, Botho Strauß. Jüngst am Berliner Ensemble inszenierte Peymann die Komödie »Die Macht der Gewohnheit« von Bernhard, und Herrmann errichtete also seinen Rand der Welt. Eine winzigst gebuckelte gelbe Holzbretterscheibe, dahinter, in der Ferne, die Silhouette eines Zirkuszeltes, dazu ein Landschaftsschatten; mittlere Stadt, mittlere Erhebungen - Ferne und Nähe verbunden durch eine Telegrafenleitung, darauf ein paar Vögel. Sinnbild für die ewige Zirkus-Weltreise durch die Provinz. Der Weltenrand wird während der Aufführung die Himmelsfarbe wechseln: Eines langen Tages Reise in die Nacht. Unser aller Weg.

Erinnerung: »Die eine und die andere« von Strauß, ebenfalls am BE, Regie: Luc Bondy. Herrmann gab der Bühne einen Rahmen aus feinen Neonröhren; blinkende Warnleuchten wanden sich, entlang imaginärer Straßenkurven, in die Tiefe des Raumes; und einmal, da oszillierten über der Szene Neonfäden wie wechselndes Wolkengewebe. Impressionismus, fein geädert sozusagen, aber aus Fantasien, die nicht mehr wissen, was wirkliche Wolken einmal waren; Bilder in jenem Design, an welches moderne Erleuchtungen gebunden sind. Zarteste Verlustanzeigen, seit es unsere schöne neue Welt gibt.

Herrmann, 1936 in Neukirch in der Lausitz geboren, gehörte einst zur Westberliner Schaubühne am Lehniner Platz: die prinzipiellste Ensemblegründung der Bundesrepublik. Inbild einer Truppe. Zornig auf die Väter, leidig der Verkarstungen des Stadttheaterbetriebs, süchtig nach Idee. Eine Art revolutionierendes Theater, Bürger schreckend mit bürgerlichster Treue. Bühnen Herrmanns bestätigen seither die alte Wahrheit: Kino ist die Diktatur des Auges, denn die Kamera zwingt dich ins Bild, dem du nicht ausweichen kannst; Theater aber ist die Demokratie des Auges, du kannst schauen, wohin du willst. Und also wurde Herrmann ein Szenenmaler des Geheimnisses, das er gern irgendwohin tupft. Ganz oben am Seitenportal ein Olivenzweig des Friedens oder ein winziges Vogelnest. Kaum bemerkbar, wie alles Wesentliche. Kleiner Startplatz für das komplizierte Naturwunder der Höhenflüge.

Ein Geschenke-Verstecker. Ein Detail-Akrobat. Zuschauen wird zum Beobachtungsglück. Alles leicht, luftig, liebenswert. Und entrückt. Aber die Lieblichkeit warnt, und das Entrückte täuscht. Am Rand der Herrmann-Welten tänzeln die Menschen, als gäbe es keinen Abgrund als den, der die selber sind. Am morgigen Freitag wird der Bühnenbildner - der mit seiner Frau Ursula auch Opern inszenierte, in Salzburg, Brüssel, Wien, Paris - 80 Jahre alt.

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